Marie-José Burki im Helmhaus in Zürich, 2007

Verschmelzung von Kamera- und Betrachterauge

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Kunstbulletin Juni 2007

Im Zentrum der umfangreichen Ausstellung steht der 2003 begonnene Video- und Fotografie-Zyklus „De nos jours“, der in Kapitel wie „là“, „dedans“ oder „ici-même“ unterteilt ist. Er zeichnet sich durch eine suggestive Verschmelzung von Kamera- und Betrachter-Auge aus und vernetzt gleichzeitig Zeit- und Raumebenen.

Seit 20 Jahren beschäftigt sich Marie-José Burki  mit dem Medium Video, das sie neuerdings mit Fotografie kombiniert. Das Schaffen der 1961 in Biel geborenen, in Brüssel lebenden und in Hamburg lehrenden Absolventin der Genfer Mixed Media Klasse von Silvie und Chérif Defraui (Abschluss: 1989) wurde seit ihrer Teilnahme an der Documenta 1992 von wichtigen Häusern gezeigt. Was ihre Arbeit auszeichnet, ist die Verquickung konzeptueller und eminent bildnerischer Ansätze, die unmittelbar am Leben Mass nehmen. Als Surplus kommt die stete Reflektion der Geschichte und der Eigenschaften des Mediums selbst hinzu.

„De nos jours“ ist – das mag zunächst erstaunen – ein ganz auf den Menschen fokussierter Zyklus, selbst da wo er nicht (mehr) anwesend ist. Männer, Frauen, Kinder beim Picknick im Park, vor, während und nach einer alkohohlträchtigen Party, einem opulenten Mahl, draussen auf der Strasse, am Rand des Bassins, drinnen in der Wohnung.  Im Gegensatz zu – einer Pipilotti Rist zum Beispiel – findet bei der gleichaltrigen Burki keine Ich-Identifikation mit den Figuren statt – die Frau, die auf der Sofa liegt und nach durchzechter Nacht darüber sinniert, was sie denn eigentlich wolle in diesem Leben, ist keine Projektion der Künstlerin. Die Ich-Figuren sind die Betrachtenden, die Burki durch eine ausgesprochen langsame und oft lineare Kameraführung so sehr zu selbst „Filmenden“ macht, dass sie (ungefragt) zu Teilnehmenden werden. Unterstützt wird dieser Effekt dadurch, dass die Figuren mehr durch ihre Körper(haltungen) sprechen denn durch ihr Gesicht – vielfach sind die Köpfe regelrecht abgeschnitten, was indes weniger als Dekonstruktion, denn als gezoomte Nähe zum Körper wahrgenommen wird. Und dort, wo die Figuren – meist Frauen – integral erscheinen, schauen sie nie in die Kamera, sind nie auf Dialog ausgerichtet, sondern stets bei sich. Das macht sie zu Plattformen für eigene Gedanken und Assoziationen. Auf dem Weg dahin lässt die Regisseurin und Kamerafrau vielfach Inszeniertes und Zufälliges verschmelzen.

Der aus sieben, meist mehrteiligen Kapiteln bestehende Zyklus kommt fast ohne Ton aus – einzig in „De nos jours (dedans)“ hört man Bach und Bob Dylan. Auch Worte sind, anders als früher, auf Schlagzeilen in achtlos herumliegenden Zeitungen reduziert, haben aber dennoch Antennen-Funktion. Gleichzeitig nimmt Burki auch sich selbst zurück. Hatten ältere Videos von „Animaux“ (1991) bis zu „Was würde Franz wohl den Vögeln sagen“ (2000) oft einen kritischen Unterton, so versucht Burki in der Sozialstudie „De nos jour“ die Menschen bei ihren Erfahrungen abzuholen.
Raffiniert ist, wie die Künstlerin, insbesondere im vierteiligen „de nous jour (là)“, die Zeitlichkeit des Films durch die Projektion auf unterschiedlich grosse Styropor- Pannels und durch verschiedene Filmlängen räumlich und zeitlich verschiebt und das Geschehen dadurch auf einer Parallelebene in eine Systematik des Reflektierens verwandelt. Zeitlichkeit und Mehrfach-Wahrnehmung charakterisieren auch die Kombinationen von Fotografien und Flachbildschirmen auf Wandkonsolen, sei es, dass dadurch eine Fotoreihe in Bewegung versetzt wird oder umgekehrt oder eine Gleichzeitigkeit verschiedener Distanzen (drinnen und draussen z.B.) anvisiert wird.