Zwischen Pop Art und Grossmutters Nähzimmer

Matthias Weischer im Museum Allerheiligen in Schaffhausen

Bis 12.08.2007

Ein 34-jähriger Künstler, dessen Bilder von Sammlern rund um den Globus „gejagt“ werden, koste es, was es wolle (eine sechsstellige Zahl auf jeden Fall), macht mehr als nur stutzig. Ist da ein Genie geboren oder ist der Künstler Spielball eines aus dem Ruder gelaufenen Kunstmarktes? Oder beides?

Dass Matthias Weischer, der von der Berliner/Leipziger Galerie Eigen + Art vertreten – besser: „behütet“ – wird, ausgerechnet in einem kleinen Kunstmuseum wie Schaffhausen, seinen ersten Auftritt in der Schweiz bestreitet, zeigt, dass dem „Shooting Star“ Prestigeorte offenbar wenig wichtig sind wenn die „Chemie“ mit dem Kurator, in diesem Fall Markus Stegmann, stimmt. Es kommt hinzu, dass Weischers Galerist Gerd Harry Lübke seit der Präsentation seiner damals noch stark im Spannungsfeld Ost/West stehenden Galerie Eigen + Art im Museum Allerheiligen (1994) eine besondere Beziehung zu Schaffhausen hat.

Die Ausstellung zeigt Bilder, die zwischen Sommer 2006 und Februar 2007 in Leipzig entstanden sind; nicht eines nach dem anderen, sondern fast alle gleichzeitig. Wie ein Choreograph inszeniert Weischer die Innenräume, die seine Bilder seit 2000/2001 charakterisieren. Er setzt die Möbel, die Lampen, die Bilder, die Teppiche, die Paravents, stellt das „Bäumchen“, drapiert die Vorhänge, reliefiert die Wände, schafft sie mit dem Rakel wieder fort, platziert sie neu oder in einem anderen Bild, lässt entstehen, zerstört, verschiebt bis schliesslich – eine Deadline zum Beispiel – dem kaleidoskopischen Spiel, ob vollendet oder nicht, ein Ende setzt. Das Raffinierte ist, dass das Spiel mit Versatzstücken nicht nur bildnerische Relevanz hat, sondern gleichzeitig mit einer gehörigen Portion Ironie auch die Kunst- und Designgeschichte mit einbezieht. So trägt Pinocchio die Zielscheibe à la Jasper Johns in den Innenhof der „Waldbühne“. Und da wird sie „zufällig“ vom Schatten einer rauschenbergschen Pinup-Silhouette „getroffen“.

Weischer betont im Katalog-Interview mit J.Chr. Ammann, dass es ihm nicht um Geschichten gehe. Seine Bilder haben denn auch keinerlei Kreuzworträtsel-Charakter, sondern evozieren in faszinierender Verschränkung von Zeit- und Erinnerungsebenen eine Atmosphäre, die gleichzeitig durch und durch konstruiert ist – die fein sichtbaren Gitterlinien betonen es – wie auch ein Tummelfeld für die Erinnerungen der Betrachtenden. Es ist auch keine Pittura metafisica, die Weischer malt, und doch ist da die Faszination ob zugleich nicht und doch Zusammengehörendem, dem Gefühl in Grossmutters Nähzimmer oder Grossvaters Cheminée-Raum zu sein und ebenso in einem Pop Art Museum, in dem gerade Paul Klee gezeigt wird. Das alles funktioniert indes nur, weil Weischer ein hervorragender Maler im Stil der Leipziger Schule ist, der gekonnt mit Licht- und Schattenwürfen umzugehen weiss, der tragende Raumproportionen zu schaffen vermag und diese über Bilder in Bildern respektive Fenster so ausweitet, dass die Räume beflügeln und nicht einengen. Dies obwohl die Entwicklung der Bildfarbigkeit aus einem rembrandtschen Braun heraus durchaus auch etwas Biederes an sich hat.

Ausgangspunkt sind Weischer denn auch oft Abbildungen aus muffigen 1950er-Jahr-Möbelkatalogen, potenziert durch das Abgetakelte, das der aus Westfalen stammende, bei seiner Ankunft im Osten (1995) noch vielerorten vorfand. In den jüngsten Bildern ist eine Verkleinerung der Räume zugunsten einer Konzentration auf wenige, eher lyrisch-phantastische Assoziationsketten feststellbar. Und wer weiss, vielleicht lenkt der derzeitige Aufenthalt des Künstlers in der Villa Massimo in Rom den Blick bald schon aus dem Fenster in die Landschaft.

Es ist leicht nachvollziehbar, dass Weischers Malerei auf Kunstsammler wie ein Magnet wirkt – denn sie antwortet auf die Hektik des weltweiten Wandels mit einem in Wert setzen von Retrospektivem und dies auf einer Bühne, die nicht spezifisch besetzt ist, sondern Plattform für eigene Spaziergänge sein kann. Ob indes aus dem Frühwerk in den nächsten 30 Jahren ein Oeuvre majeure des 21. Jahrhunderts entsteht, wird sich erst noch zeigen müssen. Der Kunstmarkt ist auch ein Modemarkt.