Ego Documents im Kunstmuseum Bern 11/08

Das Selbstporträt im Zeitalter des Multimedialen

annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Mittelland Zeitung vom 15. November 2008

„Ego Documents – Das Autobiografische in der zeitgenössischen Kunst“ ist das Thema der ersten Ausstellung von Kathleen Bühler als Kuratorin Gegenwart am Kunstmuseum Bern

Nur gut sechs Monate nach ihrem Amtsantritt als Leiterin der Abteilung Gegenwart des Kunstmuseums Bern präsentiert Kathleen Bühler (geb. 1968) bereits eine erste Themenausstellung mit 21 Positionen aus den Jahren 1964 bis  2008. Dass ihr dies substanziell gelingen konnte, verdankt sie der Möglichkeit, ihre Disseration zu den autobiografisch und genderthematisch wichtigen Experimentalfilmen der US-Künstlerin Carolee Schneeman (geb. 1939) in die aktuelle Kunst auszuweiten.

Alles, was wir tun, hat im weitesten Sinn autobiografische Aspekte. Eine Ausstellung mit bild-künstlerischen Werken muss darum einen Fokus einkreisen. Bühler wählte hiezu das Porträt im multimedialen Spiegel von Lebensgeschichten, sei es die eigene, jene der Eltern oder fiktiv angeeigneter Personen.

Es waren die Künstlerinnen der 60er-/70er-Jahre, welche das Thema aus der Starre des gemalten Selbstporträts lösten und facettenreich aufzufächern begannen. Bühler vermeidet es aus der Optik von 2008 richtigerweise die Genderthematik zu sehr herauszuheben; rund 40% der vertretenen Künstler sind Männer. Wobei sich nicht überraschend zeigt, dass die Künstlerinnen meist sehr authentisch von sich selbst ausgehen, während die Künstler gerne Fiktionales einschleusen oder sich auf ein Vis-à-Vis konzentrieren.

So faltet zum Beispiel Nicolas Nixon anhand von jährlichen Fotografien seiner Partnerin und ihrer drei Schwestern das Moment von Lebenszeit von 1975 bis 2007 aus. Während der Albaner Anri Sala Filmdokumente aus der politisch aktiven Zeit seiner Mutter, deren Tonspur verloren ging, inhaltlich zu rekonstruieren versucht.

„Es war mir ein wichtiges Anliegen“, so Kathleen Bühler, „Werke zu wählen, die sowohl eine private wie eine öffentliche Relevanz haben“. So wie Carolee Schneemanns Experimentalfilm „Fuses“ von 1964/67, der, in stark bearbeiteter Form, die Künstlerin im Liebesakt mit ihrem Mann zeigt, um, erstmals überhaupt, weibliche Sexualität in Bildsprache umzusetzen.

Ein weiteres konzeptuelles Moment geht dahin, Positionen aus verschiedenen Kulturen Raum zu geben. So stehen im Kapitel „Lebensgeschichten“ die Vorhangbahnen mit eingenähten Gegenständen von Grossmutter, Mutter und der Künstlerin Xiaoyuan Hu selbst  mehreren Video-Tagebüchern der Amerikanerin Sadie Benning als Teenager und der 3-Kanal-Dia-Schau „Shade of Times“ der Schweizerin Annelies Strba gegenüber.

Dem Autobiografischen quasi eingeschrieben ist das Thema des Erinnerns. Es spiegelt sich unter anderem in einer vielteiligen Serie der Solothurner Künstlerin Annatina Graf von 2006. Indem sie Schnappschüsse aus dem Kinder-Fotoalbum mit Silberfarbe in Malerei auf Leinwand überträgt, tritt Sehen und Verschwinden in ständigen Wechsel.

Mehrere Installationen entstanden vor  Ort. Neben jenen der beiden jungen Schweizerinnen Isabelle Krieg und Ana Strika auch die provozierende von Elke Krystufek (Bild). Um mehrere herausfordernd blickende Selbstporträts hat die Wienerin frei ab Bauch formulierte tagebuchartige Pinseleien zu ihrer aktuellen Arbeit, ihren sexuellen Bedürfnissen, zum Welt-, Wirtschafts- und Kunstbetrieb drapiert.

Es ist keine epochale Ausstellung, die Bern zeigt, aber eine reiche, spannende, zweifellos sehenswerte Schau.

Bis 15. Februar 2009. Film-, Performance- und Führungsprogramm: www.kunstmuseumbern.ch. Katalog: 50 Franken.