Nationale Kunstausstellung im Gürbetal

Auf dem Laufsteg durch den Autofriedhof

www.annelisezwez.ch    Bieler Tagblatt, 18. Juni 2008

Sie hat mit Nostalgie, mit Natur, Kunst und Paragraphenreiterei zu tun: Die Freilichtausstellung im Autofriedhof im Gürbetal. Ein Besuch ist ein Erlebnis.

Annelise Zwez

Es ging durch die Medien: Im Gürbetal zwischen Bern und Thun gebe es einen Autofriedhof wie anno dazumal. Die Natur habe die rostenden Karrossieren schon fast unter sich begraben. Doch jetzt sei es definitiv: bis Ende 2008 müsse er weg.

Die Umwelt-Paragraphenreiter werden trotz der einmaligen Fauna und Flora in und zwischen den alten Borgwards, Fiats, Fords und VWs wohl die Oberhand behalten. Es sei denn….nein, auch Künstler sind keine Zauberer. Oder nur ein bisschen. Heinrich Gartentor, Ex-Kulturminister und aktueller Präsident der „visarte Schweiz, der in Biel schon mal eine Künstler-Fussball-EM durchführte, hat das Kunststück zuwege gebracht: Er hat sich die Bewilligung erkämpft, den Autofriedhof für vier Monate als Zone für Kunst nutzen zu dürfen und eine „Nationale Kunstausstellung“ durchzuführen. 24 Kunstschaffende aus Biel, Bern, Berlin, Genf, Lausanne…. sind mit dabei.

„Lost objects“ von Res Ingold in der „Nationalen Kunstausstellung“ im Autofriedhof von Kaufdorf im Gürbetal. Bild: E. Halder

Gartentors eigener Beitrag zur Freilichtausstellung ist dabei das Masterpiece: Er liess einen hölzernen Laufsteg bauen, auf dem die Besuchenden durch und über den Friedhof spazieren können. Nie würde man denken, dass einem vergammelte Autowracks derart in die Knie fahren können, dass man dem Heulen nahe ist. Doch da ballen sich so viele Erinnerungen, da verbinden sich Zeit, Vergänglichkeit und die Kraft der Natur  zu einem Stück Schweizer Sozialgeschichte wie man sie sonst kaum je erlebt.

Wer nun meint, die zeitgenössische Kunst könne zu vielen Autogeschichten doch gar nichts beitragen, der irrt – glücklicherweise. Denn vor allem jene Kunstschaffende, die es wagten, sich direkt in das Dickicht von Blech und Brombeerranken vorzuarbeiten, zeigen zum Teil Eindringliches, Köstliches und mit Humor zum Nachdenken Anregendes. Stefan Banz und Caroline Bachmann – man erinnere sich ihrer Einzelausstellung im Centre PasquArt vor zwei Jahren – haben mit einem Helikopter einen kleinen Fiat 500 aus dem Friedhof geflogen, gelb gespritzt und den Topolino als „Giallo Limone“ wieder an seinen Platz auf dem Dach eines einstigen Lieferwagens zurückgestellt. Da wird nicht nur jenen warm ums Herz, die in den 1960er-Jahren nach Italien in die Ferien fuhren, sondern auch allen Freunden von Malerei, denn was Banz/Bachmann inszenieren, ist ein Stück Malerei, ist eine Hommage an die Leuchtkraft der Farbe inmitten stiller Laubbraun, Moosgrün, Rostrot und Modergrau.

Oder: Res Ingold – das ist der Künstler, der seit Jahren von Berlin aus die „Ingold Airlines“ betreibt – er hat Hunderte von kleinen, farbigen „Lost objects“ wie Tinky Toys, Stofftiere, Puppen, alte Kameras und vieles mehr auf die Kühlerhauben alter (Ford)Taunus, (Opel) Records, Citroëns, DKWs verteilt und erinnert damit nicht zuletzt an die Kindheit jener, die einst mit ihren Eltern in just diesen Autos unterwegs waren.

Geheimnisvoller sind die roten, gelben und  blauen, blechernen Treppenabhänge, die Rudolf Steiner und Barbara Meyer Cesta (Leubringen) in den Boden der alten Ersatzteilhalle eingebaut haben. Denn da wird die Szenerie plötzlich gespenstisch und man weiss nicht mehr so recht, ob man sich vielleicht gar nicht im Gürbetal, sondern in den Kulissen für einen Kriminalfilm befindet. Es gibt mehr: Eine subtile Audioarbeit mit Vogelgezwitscher und Pferdegetrampel (Herbert Distel), ein Video mit Autospuren (Peter Stämpfli), in Plastik Eingeschweisstes (Anna Amadio) oder mit Bausteinen Eingemauertes (Bob Gramsma).

Profitieren die Projekte im eigentlichen Autofriedhof vom Miteinander von Kunst und Schrott, müssen sich die Werke im weiteren Gelände durch sich selbst behaupten und der virtuellen Konkurrenz der vielen Freilichtausstellungen hier und dort trotzen. Das gelingt nicht allen, wohl aber der Genfer Gruppe „collectiv fact“, die als Top auf drei aufgetürmte Limousinen einen Streifenwagen der Polizei platzierte und damit das Thema Verfolgungsjagd ad absurdum führt. Nachdenklichere Arbeiten wie jene von Hannah Külling haben es in diesem Umfeld nicht einfach: Die Bielerin pflanzte mit Buchs, wie man ihn von Friedhöfen her kennt, eine Umrandung, welche das Logo von Mercedes, Friedens- und Frauenzeichen kombiniert und mit Verweisen auf Kennedy, Thelma&Louise sowie ihren Vater an den Tod im Auto erinnert.

Info: Mi – So 11 – 19 Uhr. Anreise per Zug mit der S3/S33 ab Bern Richtung Thun bis Kaufdorf. Von da ist es fünf Minuten bis zum Eingang. Ein Buchkatalog ist erhältlich. Link: www.autofriedhof.ch

Die Teilnehmenden
Dida Zende, kulturTV.ch (Roger Lévy)
Hannah Külling, Reto Leibundgut
Martin Bucher, Chantal Michel
Dominik Stauch, Kai Rheineck
Kassandra Becker, Collectif fact
Simone Zaugg, Gerber/Bardill
Haus am Gern, Res Ingold
Lang/Baumann, Bachmann/Banz
Herbert Distel, Aldo Mozzini
Natsuko Tamba, Peter Stämpfli
Daniel Ruggiero, Bob Gramsma
Anna Amadio    (azw)