Stecher Nele im Museum Allerheiligen Schaffhausen

Manor Kunstpreisträgerin

Annelise Zwez, Kunstbulletin 4 2008

Nele Stecher (geb. 1970) ist bereits die 13te Künstlerin, die den Manor-Preis Schaffhausen erhält. Zu den seit 1987 Ausgezeichneten gehören unter anderem Yves Netzhammer, Olaf Breuning und Zelkja Marusic/Andreas Helbling.

Nele Stecher fiel in den letzten Jahren mit eigenwilligen, Text und Fotografie in Wechselwirkung stellenden „Family Stories“ auf. Jetzt ist für die Manor-Preis-Ausstellung „Report from Home“ dazugekommen. Was die Zyklen charakterisiert, ist, dass die Fotografien nachgestellte Szenen zeigen. Das heisst, bezogen auf die Familien-Geschichten, dass das Teenager-Girl aus dem Album nun mehr als 30 Jahre alt ist und die Eltern in der Badewanne auch zwei Jahrzehnte älter als die Erinnerung der Künstlerin.


Für „Report from Home“ heisst es, dass die in häuslichem Umfeld oder in Freizeit-Szenen gezeigten Männer, Frauen und Paare eine Abbildung aus einem Klatschheft wie der „Bunten“ oder dem „Gala“ reinszenieren. Daraus kann man schliessen, dass Nele Stechers künstlerischer Impetus nicht das Ablichten von Situationen anpeilt, sondern das Verifizieren bestehender (Cliché)-Bilder. Wie um sie in einer zweiten Lesung auf ihren Gehalt zu prüfen respektive die Abweichungen festzustellen.

Weil aber auch diese Ab-Abbilder wieder nur die „halbe Wahrheit“ erzählen, stellt die Künstlerin manchen einen Text gegenüber. Eine Kurzgeschichte freilich, die nicht analysiert, sondern einen bis an die Grenze des Surrealen reichenden Kontext schafft. Da ist zum Beispiel – in „Report from Home“ – eine braungebrannte, junge Frau, die an einem Sommermorgen beim Kaffee auf der Terrasse sitzt und „Tränen lacht“. Die Geschichte dazu berichtet von einem Ehemann, der die Beziehung zu seiner Frau mit der immer selben Story erzählt, um die Lacher auf seiner Seite zu haben. Die zwei Seiten der Medaille begegnen sich also nicht illustrativ, sondern bieten maximal die Möglichkeit einer Assoziation.

Nele Stecher arbeitet langsam. Das Bedenken ist ihr so wichtig wie das Machen. Und so musste/wollte sie sich nach den beiden erfolgreichen Serien im Kreis der Familie zunächst bewusst werden, was denn der Kern sei. Der Titel der Schaffhauser Ausstellung benennt ihre Analyse: „Die Organisation der Liebe“. „Mich interessieren“, so Nele Stecher, „die vielen kleinen Strategien, mit denen Menschen, die in einer Beziehung zueinander stehen, ihrer Verbundenheit Ausdruck geben.“

Die Darstellungsform, die Stecher wählt, hat in gewissem Sinn Buch-Charakter. Das heisst die Fotografien sind nicht zu Grossformaten aufgeblasen, sondern zusammen mit den gleichwertigen Texten zu einer lockeren, auf derselben Distanzebene auf Lesen und Betrachten hin ausgerichteten Wandinstallation gruppiert.

Simuliert sie in „Family Stories“ und „Family Portrait“ mit Format-Variationen den Album-Charakter, schafft sie in „Report from Home“ mit einheitlichen A3-Grössen eine gewisse Strenge,  die zugleich auf die stärkere Autonomie der Teile wie auf ihre strukturellen Analogien hinweist. Ganz allgemein schlägt der noch nicht abgeschlossene „Report from Home“ ein neues, vermehrt von aussen betrachtendes Kapitel im Werk Stechers auf und dies  zweifellos mit dem Potenzial für weitere Sequenzen.