Als die Videokunst den Raum eroberte

Ausstellung Kunstmuseum Luzern

Annelise Zwez, Mittelland-Zeitung, 20. März 2008

Das Kunstmuseum zeigt Schweizer Videoinstallationen der 1970er und 1980er-Jahre; auch eine Eldorado für Freaks alter TV-Technologie

Hannes Vogel: Der „Lichthof“ (1984) zeigt das Lichtflimmern auf sieben zeittypischen Monitoren. Bild: zvg„Heutzutage leben die Künstler länger als ihre Werke“, soll die frühere Video-Beauf-tragte des Zürcher Kunsthauses, Ursula Perucchi, einmal gesagt haben. Und genau da liegt der Grund für die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum Luzern: „Aktive Archive“, ein Joint-Venture von Bundesamt für Kultur (BAK), Institut für Kunstwissen-schaft (SIK) und Berner Hochschule (HKB), zeigt auf, dass es höchste Zeit ist, sich der Pionier-Arbeiten der Videokunst in der Schweiz anzunehmen, um sie am Leben zu erhalten. Denn längst sind alte Bänder verklebt und die frühen Bildröhren-Fernseher, ja bereits die ältesten Beamer, nicht mehr erhältlich.

Nach aufwändiger Recherche, Rekonstruktions- und Konservierungsarbeit können nun in Luzern Videoinstallationen von Alexander Hahn, Hannes Vogel, Guido Nussbaum, Chérif und Silvie Défraoui, Gérald Minkoff und Muriel Olesen sowie anderen mehr annähernd in Originalpräsentation gezeigt werden. Ein Stück lebendige Kunstgeschichte! Zum Beispiel ist da, als älteste Arbeit, Gérald Minkoffs „L’envers à l’endroit“ (die Kehrseite auf der richtigen Seite) von 1970, eine Installation aus Schrift, Fernsehbild, Spiegel und Kamera, die sich mit dem Sprachbild und seiner technisch-visuellen Wiedergabe befasst. Oder Hannes Vogels „Vom Fernsehen und der Illusion dabei zu sein“ von 1977, eine Closed Circuit-Installation mit drei sich verjüngenden Monitoren, die zu einer Kamera führen, die eine an der Wand befestigte Wegmarke filmt und überträgt.

Zwei Dinge lassen sich erkennen. Zum einen: Die frühesten Videoinstallationen befassen sich mit der Theorie des Mediums und zeigen sich oft kritisch gegenüber dem Fernsehen. Eric Lanz vergleicht etwas später das Fernsehen gar mit einer den Gorgonen, die jeden der sie anschaut, zu Stein erstarren lassen. Zum andern: Die Wiege der Videokunst in der Schweiz liegt in Genf, wo damals auch Deutsch-schweizer wie der Basler-Bündner Hannes Vogel studierten.

Der Titel „Schweizer Videokunst der 70er- und 80er-Jahre“ ist etwas verwirrlich. Zwar gibt es da ein Fernseh-Kabinett, in dem frühe, inzwischen auf DVD übertragene, Videobänder von René Bauermeister über Urs Lüthi bis Anna Winteler gezeigt werden, doch ganz primär geht es um die Anfänge der Videoinstallation, der sich durch zeittypische Projektion oder Vielteiligkeit zur Raum-Skulptur weitenden Videoarbeit. Diese wird ab den 1980er-Jahren vermehrt zum erzählerisch-poetischen Medium. Etwa in der raumfüllenden Inszenierung von Muriel Olesen „ La vidéo, je m’en balance“ von 1984, einem Highlight der Ausstellung. Da gibt es zwei auf Schaukeln montierte Diabild-Projektionen, die eine nackte, junge Frau auf einer Schaukel zeigen, die von vier ebenfalls auf Schaukeln montierten Kameras aufgenommen und auf TV-Geräte übertragen werden. Durch antippen der Schaukeln gerät dabei alles in Bewegung.

Die Konzentration auf die Präsentation von Video im Raum hat ihren guten Grund: Die Sorge der Kunstwissenschaft gilt nicht nur den Bändern, sondern ebenso sehr deren möglicher Präsentation am Ende des analogen Zeitalters. In jedem Raum findet man ein Interview, in dem die Künstler unter anderem gefragt werden, ob sie sich ihre Arbeit auch auf Flachbildschirmen vorstellen können. Ja, meinen die einen, nein die anderen, darunter der Aargauer-Basler Guido Nussbaum, denn die fünf Camcorder, die er 1988 auf einen sich drehenden Globus ausrichtete und die Bilder auf fünf kugelförmig zusammengebaute Fernsehmonitore übertrug, würde durch den Verlust der damals typischen Bildschirmkrümmung an Inhaltlichkeit verlieren.

Info: Die Ausstellung dauert bis zum 4. Mai. Der Katalog erscheint im Herbst.

Link: www.kunstmuseumluzern.ch