Beatrice Gysin_ Espace libre_Portrait Biel 2009

Archäologie der Zukunft

Seit Béatrice Gysin (62) nun auch ihr Atelier an die Albert-Anker-Strasse verlegte, ist die Dozentin an Schule für Gestaltung durch und durch Bieler Künstlerin; im Espace libre zeigt sie es ab 5. Dezember 2009

 

„Archäologie der Zukunft“  nennt Béatrice Gysin ihre erste Einzelausstellung in Biel. Kein leicht verständlicher Titel. Zu sehen sein werden rund ein Dutzend meist polierte Alabaster-Reliefs, deren Oberfläche weich modelliert ist. Sie sind – Fundstücken gleich – in dunkel-graue Schachteln eingepasst und liegen auf langen Tischen zur Einsicht.

Von was erzählen sie? Der Zürcher Künstler Jan Morgenthaler sprach kürzlich im Zusammenhang mit seinem für 2010 angesagten Limmat-Projekt „ transit maritim“ auch von Archäologie der Zukunft und präzisierte: „In den Sedimenten lagert nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Ahnung der Zukunft“. Was er für den urbanen Raum formulierte, ist bei Béatrice Gysin ähnlich, aber sehr viel körperlicher und sehr viel abstrakter angedacht, eher lyrisch, vielleicht sogar melancholisch formuliert.

 

„Ein entscheidendes Moment war für mich, als ich vor einigen Jahren anhand einer Zeitungsfoto plötzlich für mich erkannte, dass es gar keine Bilder gibt. Nur Scheinbilder, die Gefühle, Spuren, Bewegungen ausdrücken. Dass ich damit leben muss, nicht zu wissen.“ Dass Béatrice Gysin das nicht einseitig negativ sieht, zeigen zum einen die ästhetische Erscheinung ihrer Bleistift-Zeichnungen, Fotografie-Bearbeitungen, Heliogravuren, ihrer Steine, Gitter, Gläser, zum andern die feinen, auch handwerklichen Bezüge zur eigenen Person.

 

Dieses Ich-Moment kann sich dabei sehr verschieden zeigen: Lustvoll, wenn die Künstlerin in eine fiktive „Bibliothek“  mit Zeichnungsblättern eine Kinderzeichnung schmuggelt und sagt: „Die Intensität, mit der meine Hand als Kind gezeichnet hat, ist heute immer noch dieselbe, nur die Motive sind anders“.  Rückbesinnung bestimmt aber auch die Serie der Alabaster: „Der Stein, der Stichel, das Schleifpapier, meine Hand, die arbeitet – das kann ich als „Realität“ erkennen, greifen, sehen, spüren. Alles andere weiss ich nicht, kann ich nur als intuitive Spur andeuten, als Fliessen von etwas, das es als Impuls in der Vergangenheit gab und hoffentlich auch in der Zukunft geben wird; darum spreche ich von Archäologie der Zukunft“.

 

Dass nichts ist wie es ist, ist eigentlich nichts Neues im Schaffen von Béatrice Gysin. Schon die allerfrühesten, eigenen Zeichnungen – damals mit Pinsel und Wasserfarbe gemalt – zeigten Gemüse und Früchte, die sich von ihrer gegebenen Form und Farbe „emanzipierten“. Lachend erzählt die Künstlerin von den blauen Erdbeeren, die sie in ihrer allerersten Ausstellung, 1977 auf Schloss Jegenstorf zeigte. Ganz so humorvoll waren die Arbeiten allerdings nicht gemeint, ihnen folgten in den frühen 1980er-Jahren Gegenstandsversamm-lungen, zum Beispiel mit einer kleinen toten Maus, einer Vogelfeder, Hänsels Knöchlein, einem winzigen Käferpanzer und mehr; Spuren des Lebens im Bild des Todes.

 

Es war damals in der Kunst die Zeit der „Spurensicherung“ aktuell; für Béatrice Gysin war da aber auch ganz stark ihr eigenes, noch unsicheres Suchen nach ihrer Identität als Frau in einer sich wandelnden, aber noch nicht gefestigten neuen Zeit. Sie hatte Angst seinerzeit als sie ausgerechnet im Mai 1968 erstmals allein nach Paris kam und beinahe „Krieg“ auf den Strassen herrschte. Auch später, zurück in Bern, allein mit ihren zwei Kindern, sah sie vor allem die Bedrohung der Welt und der Natur, die sie doch so liebte, deren Geheimnisse ihr einst in Zürich ihr Grossvater nahe gebracht hatte.

 

Erst in den 1990er-Jahren, nun bereits seit Jahren mit einem Teilzeit-Pensum als Zeichenlehrerin an der Grafik-Abteilung der Schule für Gestaltung in Bern tätig, kann sie sich „von sich selbst lösen“, wie sie sagt. Wie ein Rhizom kann sie nun die Fäden, die sie  in Tausenden von Nächten am Zeichentisch angelegt hat, in alle Richtungen wachsen lassen. Sie lässt das Gemüse nun nicht mehr mutieren, sondern dringt mikroskopisch in seine Fasern und Formen ein und freut sich über die „fremden“ Bildstrukturen, die sich daraus ergeben.

 

Sie weitet die Palette der Materialien, „zeichnet“ mit Heftklammern, lässt Gitterstrukturen in Kunststoff lasern etc. Sie beginnt auch direkt auf die Wand zu zeichnen – das scheinbar Ungegenständliche des Motivs verbindet sich so mit der Materialität der Mauer und lässt ihre Präsenz als Zeichnerin spürbar werden. Dass ihre Arbeiten viel Zeit brauchen, gehört mit zum Konzept; Intensität sei nicht in Sekundenschnelle zu haben, sagt sie. Und nichts sei schöner als sich stundenlang im Zeichnen „zu verlieren“.

 

Bedeutung erhielt in den letzten Jahren auch die Fotografie – gefundene, vor allem aber eigene. Sie ermöglichen Wandlung, zum Beispiel von Körper-Haut in Bild-Haut oder von Haar in Linien, von Haar-Knäueln in feine Gespinste, die heliograviert nicht mehr sind, was sie waren und nochmals fotografiert und als Negativ ausgedruckt, ihren Bild-Weg immer weiter gehen, ohne zu wissen wohin. „Ich habe noch tausend Ideen, was ich machen möchte“, sagt die Künstlerin,  „nie so sehr in meinem Leben wie heute; das geniesse ich, auch wenn ich weiss, dass meine Arbeiten für viele Leute eher schwierig sind und ich kommerziell gewiss nicht von Erfolg sprechen kann, aber für mich stimmt es so wie es ist.“

Info: Espace libre/Centre Pasquart: 5. Dezember  (Vernissage) bis 3. Januar. Sonntag, 13. Dezember 16 Uhr: Künstlergespräch.

Béatrice Gysin

5. 2. 1947            Geboren in Zürich

1964-1968           Ausbildung in Grafikdesign und Farbgestaltung

1968-1975           Aufenthalt in Paris

1974/77               Geburt von Sarah, Yves

1976-2006           Wohnt und arbeitet in Bern

seit 1977             Ausstellungen im Raum Bern/BaselSolothurn; 2008 Gal. Beatrice        Brunner, Bern, Weihnachtsausstellung Museum Pasquart, Biel

Ab 1981              Dozentin an der Schule für Gestaltung Bern, später Biel

Seit 2006            Lebt mit ihrem Partner in Biel

2008                   Erscheint die Monographie „Béatrice Gysin“ mit Unterstützung des Kantons