Bundeskunstsammlung: Ankäufe der letzten 10 Jahre_ Grenchen 2009
Three leap seconds later
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 20. Mai 2009
Der Bund hat seit 1888 eine Kunstsammlung geäufnet, die heute 20 200 Werke umfasst. Ein Teil der Ankäufe seit 1998 ist jetzt in Grenchen ausgestellt, ein Panoptikum aktueller Schweizer Kunst.
Wenn am Fernsehen Bundesräte, hohe Bundesbeamte oder Schweizer Botschafter im Ausland zu politischen Themen Stellung nehmen, so stehen sie oft vor Kunstwerken. Die Funktion der Bundeskunstsammlung ist es unter anderem, repräsentativen Räumen mit Kunst Charakter zu geben. Gleichzeitig war und ist die Sammlung aber auch ein Kunstförderungsinstrument. Darum ist sie auch eher ein Panoptikum als eine Nationalgalerie.
Wenn das Kunsthaus Grenchen nun Beispiele von Ankäufen der letzten 10 Jahre zeigt, so ist das dementsprechend nicht ein gültiger Querschnitt aktueller Schweizer Kunst. Direktorin Eva Inversini, die selbst einmal ein Jahr im Depot der Sammlung arbeitete, hat vielmehr die Chance gesehen, mit einer solchen Ausstellung bedeutende zeitgenössische Werke in ihr kleines Museum zu holen. Und die von Pierre-André Lienhard betreute Bundeskunstsammlung erhält damit ihrerseits Öffentlichkeit etwas, das sie ansonsten kaum hat, umsoweniger als sie weder kunsthistorisch aufgearbeitet, noch wie zum Beispiel die Sammlung der Stadt Biel im Internet einsehbar ist. Die letzte grosse Ausstellung zum Thema fand 1988 zum 100-Jahr-Jubiläum im Aargauer Kunsthaus statt.
Der Titel der Grenchner Schau heisst Three leap seconds later (drei Schaltsekun-den später). Damit verweise die Ausstellung auf den Zwischenraum, in dem Kunst entstehe, sagte Lienhard an der Vernissage. Wenn das auch etwas weit her geholt klingt, so ist doch darauf hingewiesen, dass man die Werke unter künstlerischen Auspizien anschauen soll und nicht mit Argus-Augen analysieren, von wem der Bund für wie viel Geld Werke angekauft hat oder eben auch nicht.
Wie der Rundgang zeigt, ist die Ausstellung auch keine Leistungsschau, das heisst man hat nicht die teuersten Werke der berühmtesten Künstler, die meist eh fest installiert oder an Museen ausgeliehen sind, zusammengezogen, sondern im Gegenteil neben Grossformaten auch schwierig dauerhaft zeigbare Video-Arbeiten, Zeichnungen und Fotoserien ausgewählt.
Gleich der erste Raum im Neubau zeigt, wie Lienhard und Inversini als Kuratoren vorgegangen sind. Es besteht kein Zweifel, dass das globale Unterwegssein, aber auch der multimediale Umgang mit Alltagsbildern ein Thema ist, das Kunstschaffende kritisch und ambivalent beleuchten. Das spiegelt sich in der Gruppierung mit Goftare Nik/Good Words (Malerei nach Fotografie, siehe Bild) von Shirana Shabazi, Wartenden in einer Flughafen-Halle (Fotografie) von Marco Poloni, einer skulpturalen Polizei-Abschrankung von Fabrice-Gygi, dem zeichnerisch modifizierten Fotogrossformat des Fussball-Stadions von Kiew durch Lang/Baumann und einer von Gianni Motti zur Kunst erklärten Fotoserie von Kollateral-Schäden im Bosnien-Krieg.
Erstaunlicherweise gibt es im Altbau aber auch einen Raum, der surreale Momente zeitgenössisch einfängt, unter anderem mit Zeichnungen von Sabina Baumann, digital generierter Büro-Architektur von Collectif-Fact, einer Kaugummi-Skulptur von Markus Schwander, Sternenwelten von Franziska Furter und Michel Grillet sowie Alltagsträumen von Claudia&Julia Müller.
Die Lacher auf seiner Seite hat im Altbau der ewige Provokant Christoph Büchel; seine von unbekanntem Ort herkommenden, deftigen Flüche lamentieren über die Forderung an die Künstler, gopfertami immer neue Ideen erfinden zu müssen…
Wers Analysieren nicht lassen kann, stellt fest, dass neben den Eidgenössischen Stipendien-Wettbewerben auch die vom Bund bespielten Biennalen wie Venedig, Sao Paulo etc. bei den Ankäufen eine wichtige Rolle spielen. In diesen Kontext gehört zum Beispiel die Video-Arbeit Aqui vive la Senõra Eliana M…? der zur Zeit im Atelier Robert in Biel lebenden Ingrid Wildi von 2003. Sie zeigt die berührende Suche der schweizerisch-chilenischen Künstlerin nach ihrer lange verschollenen Mutter in Chile.
Die Ausstellung mag eine gewöhn-liche , das heisst nicht thematisch relevante Gruppenausstellung sein, sie beglückt aber doch durch den Umstand, dass es in einer Zeit, da die Globalisierung den Blick auf das in der Schweiz an Kunst Entstehende nurmehr schwer erkennbar werden lässt, eine Institution gibt, die das Auge dafür nicht verliert und auf hohem Niveau pflegt.
Die Ankäufe haben zwar nicht mehr dasselbe Gewicht wie früher, da aufgrund heutiger, oft situativer Kunstpraxis ein grösserer Anteil des Bundes-Budgets für Preise und Werkbeiträge verwendet wird. Ihr Stellenwert ist dennoch nicht zu unterschätzen und die Praxis vom demnächst in Parlament diskutierten, neuen Kulturförderungsgesetz glücklicherweise nicht akut gefährdet.
Info: Ausstellung in Grenchen bis 26. Juli. Offen: Mi-Sa 14-17, So 11-17 Uhr. Führungen: So 24. Mai, 7./21.Juni, 26. Juli, 11.15 Uhr. Gespräch: Di 16.Juni, 19 Uhr. Lesung: So 5. Juli, 11.15 Uhr. Weiteres: www.kunsthausgrenchen.ch
Highlights
Es ist rund ein Drittel der Bundes-Ankäufe seit 1998 ausgestellt.
Der Ankaufsetat ist variabel, meist etwa 150 000 Franken pro Jahr.
Highlights in Grenchen sind unter anderem:
Endowment (Geschenk), Inkjet auf Papier einer nicht mehr genutzten Plakatwand von Claudio Moser (geb. 1959/Aarau/Basel/Genf)
No Roots , Farbstift/Bleistift-Zeichnung eines quallenartigen Fantasie-Wesens von Vidya Gastaldon (geb. 1974/Besançon/Genf)
Demets Augenblicke, Video eines Mädchen mit schwarzen Kirschen-Augen von Daniela Keiser (geb. 1963 Schaffhausen/Zürich)
Stripping, Fotoserie von Personen in Räumen zwischen innen und aussen von Hubbard/Birchler (geb. 1965/62, Dublin /Baden/Austin USA)
Bildlegenden:
Shirana Shabazzi (Teheran/Zürich): Good Words, Dispersion auf Baumwolle, gemalt von einem iranischen Plakatmaler nach einer Foto der Künstlerin. Bilder: azw
Ingrid Wildi (Chile/Genf/Biel) Ausschnitt aus dem Video Aqui vive la Senõra Eliana M…? von 2003.