Felicita Themenausstellung Pasquart 2010
Bringt Buddha das begehrte Glück?
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 18. September 2010
Die internationale Themenausstellung des Pasquart ist 2010 dem Glück in der zeitgenössischen Kunst gewidmet. Mit Felicità feiert das Bieler Kunsthaus auch sein 20-Jahr-Jubiläum.
Kassandra Becker (geb. 1966) hat für Felicità Freude, Glück und Emotionen in der zeitgenössischen Kunst drei grosse Buddha-Köpfe geschnitzt. Man dürfe sie berühren, heisst es. Mit fernöstlichem Gedankengut Vertraute wissen, Buddha berühren verheisst Glück. Allerdings solle man nie den Kopf anfassen. Was tun, wo Becker nur Köpfe anbietet?
Geradezu exemplarisch trifft die Arbeit der in Karlsruhe lebenden Jurassierin das Konzept der Ausstellung, die Glück unter verschiedensten Blickwinkeln zeigt; heiter, lebensfroh, ironisch, aber auch still und in sich gekehrt, zuweilen ambivalent und fragil. Dolores Denaro ist auch dieses Jahr ihrem Prinzip treu geblieben. Sie versteht ihre Themenausstellungen nicht als Verdichtungen, nicht als persönliche Manifeste, sondern als Plattform der Möglichkeiten. Bei Themen, die gesellschaftliche Phänome nachzeichneten, wie zum Beispiel Helden oder Branding war das wohl der richtige Ansatz, wird hingegen etwas so Kostbares wie das Glück als Wundertüte angeboten, ist das nicht so einfach anzunehmen.
Die Kuratorin scheint das dahingehend gespürt zu haben als sie allen Kunstschaffenden einen Raum für sich allein zuwies und somit in Mireille Gros chinesischer Ambiance ebenso wie in Frédéric Posts ironischem Therapieraum die Gelegenheit individueller Vertiefung bietet.
Wurden in den letzten Jahren grossmehrheitlich bereits bestehende Arbeiten gezeigt, so erlebte Denaro diesmal mehrfach, dass die Künstler und Künstlerinnen es vorzogen, eine Arbeit für die Ausstellung herzustellen. Schon lange hätten sie ein Projekt im Kopf….Das besagt zum einen, dass das Thema aktuell ist Biel ist nicht der einzige Ort, wo unter diesem Titel eine Ausstellung stattfindet. Gleichzeitig weisen die Reaktionen von Christine Streuli, Monika Dilier u.a. aber auch auf ein Zögern. Darf man sich heute mit Glück befassen, wo doch die Tagesaktualität von Unglück dominiert wird?
Man darf das zeigt Felicità deutlich. Man mag zwar bedauern, dass die Ausstellung ein Puzzle ist und keine berührende Verdichtung evoziert, aber man wird ihr nicht absprechen, dass sie eine grosse Anzahl hervorragender Arbeiten bündelt.
Eine davon ist der Glücksvorrat von Monika Dillier (geb. 1947 in Sarnen). Die Installation umfasst drei im Raum hängende Inseln in Form von Sprechblasen auf denen Glasscherben arrangiert sind. Es sind freilich nicht zufällige Fragmente, sondern mit einem Glasbläser erarbeitete und mit Farben gefüllte Formen. Gezielt schlug die Künstlerin mit einem Hammer auf sie ein ich musste mich überwinden, gesteht sie im Gespräch. Doch nun liegen die an den Rändern sorgfältig geschliffenen Scherben als malerische, vielleicht sogar erotische Objekte da und verführen zu sinnlichen Insel-Träumen.
Viele Kunstschaffende arbeiten mit Verheissung unter anderem auch Sonja Alhäuser (geb. 1969 in Kirchen/DE), die ganz real – ein Bad in wunderbarer Schokolade anbietet. Aber gerade deswegen sind jene Arbeiten spannend, die Glück darzustellen versuchen wie zum Beispiel die finnische Künstlerin Katharina Bosse (geb. 1968), die sich selbst mit ihrem kleinen Sohn und in Erwartung ihres zweiten Kindes zeigt; nackt mit grossen Brüsten und dickem Bauch. Eine sehr direkte Arbeit, die aber gerade durch den Verzicht auf ästhetische Überhöhung Nähe zeigt ( von Ferne winken die Bilder von Paula Modersohn-Becker von 1907!).
Eine ganz andere, beeindruckende Arbeit stammt von Christine Streuli und Jens Nordmann (Zürich/Berlin). Klar, dass Denaro an den Schweizer Pavillon in Venedig dachte, als sie Streuli einlud, doch Streuli wünschte sich das Glück, zusammen mit ihrem einstigen Studienkollegen Jens Nordmann (geb. 1973 in Haan) einen Raum zu gestalten. Das Glück, das sie zeigen, ist nicht in erster Linie ein Werk für das Publikum, löst darum im 1sten Moment möglicherweise Befremden aus. Die Wände zeigen vor allem Spuren gemeinsamer glücklicher Arbeit. Doch je länger man verweilt, desto mehr hört man das Lachen der zwei und mag je nach Disposition vielleicht sogar ein bisschen neidisch sein auf deren Glück.
Als einzige Künstlerin aus der Region ist die Bieler Fotografin Tiziana de Silvestro (geb. 1956) in der Ausstellung vertreten. Mit einer treffenden Arbeit. Seit mehreren Jahren ist sie als Kamera-Auge bei Gay-Kreuzfahrten mit dabei und fotografiert die gleichsam ausserhalb von Norm und Raum und Zeit gelebte Extase homosexueller Lust und Freude.
Was für ein Kontrast zu den zwei grauen und zusätzlich grau gespritzen monochromen Lastwagenplanen von Fabrice Gygi aus der Sammlung des Pasquart! Doch der Provokateur unter den Schweizer Künstlern nannte die Arbeit, die er 2003 im Haus zeigte, Happyness Overdose und meinte damit das Zusammenfallen aller Farben in Grau.
Die Beteiligten
Es sind 23 Positionen in der Ausstellung vertreten, 11 Schweizer und 12 internationale.
Insgesamt: 16 Künstlerinnen und 11 Künstler
Teils von internationalem Renommée wie Rodney Graham, David Claerbout, Marc-Camille Chaimowicz, Ingeborg Lüscher, Markus Raetz, Christine Streuli oder Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger.
Auch hierzulande Unbekannte wie Sonja Alhäuser, Sascha Pohle, Michael Ashcroft, Katharina Bosse oder Beate Gütschow
Ferner Jungtalente wie Martina Gmür oder Vidya Gastaldon
Mehrere Gruppen wie Elina Brotherus&Hanna Brotherus & Lauri Astala (Finnland)
azw
Reiches Programm
Die Vernissage von Felicità findet am Samstag, 18. September 2010, 17 Uhr statt. Performances: Glücksspiel mit den Gebrüdern Ritalin, Tischsittenklangzeug mit Strotter Inst., Monsignore Dies und der Agentur (17 Uhr) und Braunes Bad eine süsse Verführung, inszeniert von Sonja Alhäuser (17.30 Uhr). Ab 16.45 Uhr findet die Kindervernissage (ab 5 Jahren) statt.
Felicità ist nicht zuletzt doppelte Jubiläumsausstellung. Vor 20 Jahren realisierte Andreas Meier die erste Ausstellung im Alten Spital und vor 10 Jahren wurde der Diener & Diener-Bau eingeweiht. Am 23. Oktober wird das Buch zum Anlass vorgestellt. Mehrere Veranstaltungen erweitern die Ausstellung, u.a. eine Lesung von Antoinette Rychner, Absolventin des Literaturinstituts ( 4. Nov., 19 Uhr), ein Filmabend mit Pepperminta von Pipilotti Rist (9. Nov. 20.30 Uhr). Ferner finden am 9. Oktober und 21. November Feste der Glückseligkeit mit Monsignore Dies statt. Einen Link zur Ausstellung Glück im Kunstraum Kreuzlingen (Jan. 2011) bildet die Nacht-Performance Carpe noctem des Teams für parasitäre* Gastarbeit vom 29./30. Oktober.
Info: Führungen/Nocturnes, Vermittlungsprogramm einsehbar auf www.pasquart.ch
Bildlegenden v.o.n.u.
Martina Gmür: „Der Turm“, Wandarbeit Treppenhaus
Dominik Stauch: Tinkerbell – Audiovisuelle Installation in der Salle Poma
Christine Streuli/Jens Nordmann: „Immer weiter vorher nachher“ – Raumarbeit
Monika Dillier: Glücksvorrat, Installation, Altbau 2. Stock