Luc Mattenberger Installation Centre Pasquart Biel 2010

Die Kräfte der Kunst an die Grenzen führen

 www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 27. Dezember 2010

Die Installation von Luc Mattenberger in der Salle Poma im Pasquart gibt dem „schönsten Museumsraum der Schweiz“ eine neue Dimension. „Black Matter“ bringt den Raum zum Atmen; aber nicht nur.

Der 1980 geborene Genfer Luc Matten-

berger hat den diesjährigen„x-mas+“-Wettbewerb gewonnen. Dabei geht es um eine mit 5000 Franken dotierte Einladung, die Salle Poma mit einer raum-

greifenden Installation zu bespielen. Auf die Frage, warum sich seiner Ansicht nach trotz prominenter Ausschreibung im Kunstbulletin, nur gerade sieben Kunstschaffende beworben hätten, meint er: „Viele haben Angst davor“. Und: „Dieser Raum erlaubt keine Fehler“.  Er wisse nicht, ob er vor fünf Jahren schon den Mut gehabt hätte.

Dass der 30-Jährige jetzt die Herausforderung gepackt hat, ist in gewissem Sinn Teil seiner künstlerischen Recherche. Bekannt geworden ist der Absolvent der Genfer „Haute école d’art et de design“ mit motorbetriebenen Objekten, die funktionell und nutzlos Energie versprühen, sei es als Helikopter-Skulptur mit lärmendem Rotor, sei es als Rucksack mit Benzin-Motor oder als motorbetriebener „Lüster“ in luftiger Höhe.

Einerseits sind diese Objekte zweifellos Männerträume. Harald Szeemann hätte sie möglicherweise 1975 in der Ausstellung  „Junggesellenmaschinen“ gezeigt. Andererseits sucht Mattenberger mit jedem Objekt gleichzeitig Grenzen zu testen und Situationen anzudeuten, die mit Notfällen zu tun haben. Helikopter kommen oft bei Rettungsaktionen zum Zug. Die Lichtkugel, die der Künstler in einer Video-Performance durch eine verschneite Landschaft zog, wird bei Lawinen-Niedergängen eingesetzt. Und so wie Rettungsaktionen oft risikoreich sind, beinhalten auch Mattenbergers Kunst-Objekte vielfach Momente latenter Gefährlichkeit.

Die Installation „Black Matter“ in der Salle Poma kann man poetisch interpretieren, als monumentale Kautschuk-Haut, die sich durch Zugkräfte von den  Raum-Wänden löst und die Architektur zum „atmen“ bringt. Das ist aber nur eine Seite. Der Eindruck des „lebendigen“ Raumes darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Installation eine komplexe Angelegenheit ist. Die Kraft, mit welcher der Motor über ein raumquerendes Seil am runden, metallenen Verschluss-Deckel ziehen darf, musste sorgfältig berechnet werden. Gerne, so hört man aus dem Kommentar des Künstlers heraus, hätte er das Vakuum hinter der Kautschuk-Haut noch mehr ausgereizt, das Ein- und Ausatmen noch deutlicher, noch hörbarer herausgeschält, aber die Physik respektive die Risiko-Kalkulation setzte Grenzen. Den Mut zu haben, sie ultimativ auszuloten ist indes Teil der künstlerischen Vision und zwar sowohl technisch wie inhaltlich. Denn wer sagt, dass dieses Ziehen mit aller Kraft nicht auch das Bild für eine Befreiungsaktion sein könnte? Das heisst die Technik und die Evokation von Denkfeldern laufen parallel; sie sind gleichermassen entscheidend für die Wirkung der Arbeit zwischen geradezu körperlich erfahrbarer Faszination und urplötzlich einsetzender Angst, zwischen Leben und Tod letztendlich.

Die Bieler Installation ist für Mattenberger Neuland. Der antreibende Motor ist nicht mehr Selbstzweck, sondern überträgt seine Kraft auf ein anderes Material. Nicht zufällig eines, das hautähnlichen Charakter hat.  Im Atelier des Künstlers in der „Usine“ – einem der wichtigsten Künstlerkollektive der Rhonestadt – ist ein einfaches Modell an der Wand angebracht. Mattenberger ist indes nicht primär ein Tüftler wie andere „Maschinenbauer“ in der Kunstszene. Als Verwandter zu nennen wäre viel eher Roman Signer. Er ist auch nicht Handwerker und nicht Ingenieur. Er sieht sich erstaunlicherweise viel näher bei seiner Mutter, die als Mikrobiologin Grundlagenforschung betreibt. „Ich habe eine Vorstellung, eine Idee und dann muss ich herausfinden, wie sie technisch beschaffen sein muss, damit sie funktioniert“, sagt er.  In seiner Kunst  gehe es ähnlich wie in der Humanwissenschaft um  die Erforschung von Produktion, Nutzung und Verteilsystemen von Energie.

Das Atelier des Künstlers sieht nicht aus wie eine Produktionsstätte; nicht nur weil es klein ist, sondern auch weil er lieber draussen agiert. Mattenberger ist ein Networker sowohl was sein kulturpolitisches Enagement in Genf anbetrifft – das sei quasi das väterliche Erbe, sagt er – wie auch seinen kommunikativen Auftritt in der Kunstszene. Wer zu Ausstellungsauftritten kommen wolle, müsse dies kund tun, sagt er und dies nicht erst seit der Ausschreibung des „x-mas+“-Wettbewerbes. Ein wichtiger „Motor“, so der Künstler, sei  2007 die Zuerkennung des „Preis der Nationalversicherung“ im Rahmen der Basler „Liste“ gewesen. Inzwischen figuriert er nicht nur unter den Künstlern der Genfer Galerie „Analix Forever“, sondern stellt seither auch in kleineren und grösseren Gruppenausstellungen in Graz, Basel, Bologna, Nantes, Mailand, Tokyo aus.  Ausstellungsmöglichkeiten seien Inspirationsfelder, sagt er. Man darf gespannt sein, was er im Sommer 2011 in der nationalen Freilichtausstellung in Môtiers zeigen wird.

 

Info: Die Installation „Black Matter“ im Museum Pasquart ist nur  noch bis zum 2. Januar 2011, d.h. bis zum Ende der Weihnachtsausstellung der Bieler Kunstschaffenden zu sehen.

Link: www.lucmattenberger.com

 

Die Salle Poma

Der Oberlichtsaal des 1999 vom Architekturbüro Diener&Diener erbauten Pasquart-Neubaus ist gleichsam das Herz des schwarzen Kubus.

Er hat eine Bodenfläche von rund 320m2 und eine Wandfläche von rund 400m2.

Der relativ schmale Eingang betont die Öffnung in die Grösse des Raumes.

Das wechselnde Licht lässt ihn Organismus erscheinen.

Die erste Rauminstallation verwirklichte im Sommer 2000 die Berner Künstlerin Marianne Grunder mit ihrem vielteiligen, skulpturalen „Intérieur“. Nachhaltig in die Erinnerung eingeschrieben haben sich auch die Raum-Inszenierungen von Markus Raetz, von René Zäch,  susanne muller, Petra Grünig, Charles Sandison, Constantino Ciervo, Isabelle Krieg, Victorine Müller, Reto Leibundgut, Verena Lafargue u.v.a.m.                        azw

 

 

Bildlegende:

Der Genfer Künstler Luc Mattenberger fügt der Geschichte der Salle Poma mit „Black Matter“ ein überzeugendes neues Kapitel hinzu. Hier mit Dolores Denaro an der  Pressekonferenz  Foto: azw