Haus am Gern Besprechung Monographie 2011

Wo ist eigentlich das Haus am Gern?

 www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 5. Januar 2011

„Haus am Gern“ ist ein „Unternehmen nach den Regeln der Kunst“, betrieben vom Bieler Künstlerpaar Barbara Meyer Cesta und Rudolf Steiner. Die „Produkte“ sind jetzt in einer „Mono“ dokumentiert.

Wo eigentlich das „Haus am Gern“ liege werde er oft gefragt, schreibt Lokal-Int.-Betreiber Chri Frautschi in einem der 20 Einzelhefte in der Monografie zu den Aktivitäten von Barbara Meyer Cesta und Rudolf Steiner alias „Haus am Gern“. Kein Problem: „Du gehst erst mal links, der Provokationslinie entlang…. beim fallenden Rössli biegst du ab Richtung Fremder Sender…nach ca. 475 Metern hörst du die Hasenglocke…bleib auf dem Hauptweg, denn beim streikenden Museum hängen die Young Responsible Artists rum…“. Schliesslich: „Von dort aus kannst du’s sehen: gleich neben dem Turm von Münchhausen“.

Das ist eine im Tonfall träfe Beschreibung der im Heft „Projekte 1998 – 2010“ aufgelisteten rund 50  meist interaktiven Aktionen des seit gut 10 Jahren in Biel lebenden Künstlerpaars.

Was  die Ideen von Haus am Gern von anderen künstlerischer Interaktions-Projekten unterscheide, so Thomas Schönberger am ersten „Mono“-Gespräch an der Universität Bern am 15. Dezember 2010, sei das Zielpublikum der Interaktivität. Die nun als Fülle fassbaren Projekte hätten selten das Publikum im Visier. Sie integrierten vielmehr die Vertreter der Öffentlichkeit, der Behörden, die Akteure des Kunstbetriebs, auch Handwerker und Kunstschaffende.

Damit wies Schönberger auf den politischen Impakt, der bei aller Ironie und aller subversiven Infiltration, den Stachel der Kunst von Haus am Gern ausmacht. Dabei kann es um „alte Schinken“ im Kunstmuseum Bern gehen, um ein (aus finanziellen Gründen) „streikendes“ Museum (das Pasquart), um das Gerücht eines vom Himmel auf einen Traktor fallenden, toten Pferdes (Rapperswil) oder um ein Bundesratsfoto mit Immigranten-Kindern.

Haus am Gern schafft selten Kunstwerke im engeren Sinn; als Firma initiieren Steiner/Meyer Cesta Projekte oder lassen Kunstwerke von Dritten anfertigen. Die köstlichen „Tintin“-Zeichnungen „l’art n’a pas d’idée, elle est l’idée“ (K. Fiedler,1841-1895), die in alle Monografie-Hefte integriert sind, bilden zusammen mit der Zeichnungsserie „Show us Buy us Sell us“ (2009) eher die Ausnahme.

Das hatte bisher zur Folge, dass die Substanz des Werkes für ein grösseres Publikum nur schwer fassbar war (ausser man habe sich Punkt für Punkt durch die Website geklickt). So war es ein guter Entscheid der kantonalbernischen Kunstkommission, Haus am Gern im alle zwei Jahre durchgeführten Wettbewerb um einen Publikations-Beitrag zu berücksichtigen. Dank weiterer Sponsoren (darunter die Stadt Biel) ist nun der ebenso originelle wie informative 25-teilige Schuber mit Einzelheften zu wichtigen Projekten erschienen. Morgen Donnerstag findet nach Zürich und Bern die  Bieler Buch-Vernissage im Lokal-Int. statt.

Sinnvoll ist die Monografie auch deshalb, weil sie das Künstlerduo zwang, alle relevanten Bilder, Dokumente, Texte zusammenzutragen und so in eine gültige Form der Dokumentation zu bringen. Der Aufwand dafür brachte Barbara Meyer Cesta in den letzten Monaten an den Rand der Verzweiflung. Doch es hat sich gelohnt! Neu lebendig wird nun zum Beispiel die in einen künstlerischen Kommentar von Haus am Gern umgeformte Rückführung eines einst von den Béliers gestohlenen Zahnrades. Ein „Fall“, der im Jura  2007 dank Haus am Gern „heisse“ Diskussionen auslöste und erst kürzlich mit einer „Gedenktafel“ endete.  Das gilt auch für „Fallada“, bei dem Haus am Gern 2005 die „urban legend“ eines vom Himmel fallenden toten Tieres in den Landwirtschafts-Kontext übersetzte und dabei die Fähigkeit der Pferde-Liebhaber Ironie und Realität zu unterscheiden, kapital überschätzte und in einen Strudel privater und behördlicher Entrüstung geriet (das BT berichtete).

Andere Projekte kommen mit kleineren Heften aus, so zum Beispiel die 2001 vom Atelier Robert in Biel ausgehende Aktion „Faktura“, als Haus am Gern zusammen mit ihrem „Art Inspector“ Peter Vittali an Harald Szeemann und andere Persönlichkeiten Rechnungen verschickte für die Zeit, welche sie an sie gedacht hätten; im Fall von Szeemann 13.2 Minuten à Fr. 3.50, somit  Fr. 46.20. Was zu einem Fax aus Tegna führte, in dem Szeemann schrieb: „Bitte nicht zu viel denken!“. Nicht alle verstanden freilich den Humor des Unterfangens…

Obwohl die Monografie im Heft „Index“ einige übergreifende Beschreibungen respektive ein Interview enthält, fehlt ihr ein Haupttext, der das Schaffen von Haus am Gern in einen internationalen Kontext zeitgenössischer Kunst stellen würde. Auch wäre ein Verweis darauf, dass die beiden Kunstschaffenden auch einzeln im Kunstbetrieb auftauchen – Rudolf Steiner zum Beispiel mit seinen „Shooting“-Arbeiten, Barbara Meyer mit ihrem in Aegypten gedrehten Video „Eat at Joes“ – sinnvoll gewesen. Schade auch, dass die Romands sprachlich gänzlich ausgeschlossen sind. Dennoch ist es  – wie einst beim Duo Hauser/Chiarenza (Relax) – für Biel zweifellos ein Gewinn, dass die „Firma“ ihren Sitz im Pasquart-Annexbau hat und zahlreiche Aktionen Biel respektive das Seeland als Hintergrund haben.

Link: www.hausamgern.ch

Extra

Die 20 Hefte gehen unter anderem folgenden Projekten vertieft nach:

Selbstporträt als Künstlerpaar

Art Process Inspector

NJAHBIC (Never judge a horse by its colour)

Musée en Grève

Fallada

Lifetime Europe

Steady Rise

NFP (Naked People Finder)

HIBK (Had I but known)

Die Hasenglocke

Kidswest Bundesrat

                                                           

Bildlegenden:

Der Weg zu „Haus am Gern“ führt  entlang der Provokationslinie…. Abbildung aus der 20teiligen, neuen Monografie zum Schaffen des Bieler Künstlerpaares Rudolf Steiner/Barbara Meyer Cesta. 

 

In jedem Heft findet sich eine Zeichnung aus der Serie „L’art n’a pas d’idée, elle est l’idée“