Mickry 3 im Espace libre Centre Pasquart 2011
Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 16. Dezember 2011
Im Espace libre des Centre Pasquart sind „Mickry 3“ zu Gast, das heisst,Zürcher Frauenpower hoch drei. Ihre Installation ist pop- und comicnahe, frech und hintergründig.
„Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“ ist der Titel der Szenerie, die Mickry 3 im Espace libre installiert hat. Sie zeigt eine blauäugige „Mutter“ mit Kröten-Stammbaum, die sich vom Publikum dabei ertappt sieht, wie sie am Boden verstreute Scherben einer ebenfalls weissen Figur zusammen wischt. Ein Kriminalfall? Die Vorgeschichte von Mickry 3 gibt Anhaltspunkte.
Die drei Studentinnen an der F + F, Schule für Mediendesign in Zürich, waren zwischen 18 und 21 Jahre alt, als sie 1999 erstmals in der Zürcher Subkultur auftauchten und sogleich auf Erfolgskurs einschwenkten. Rotzfrech zwischen Agitation und Subversion agierend, präsentierten die Postfeministinnen in In-Off-Spaces in Zürich, Hamburg und anderswo was das Lifestyle-Herz begehrt: Neue Lungen für Raucher, Brüste jeglicher Grösse, Beauty- und Cinderella-Sets für unterwegs, fein säuberlich in Plastiksäckchen verschweisst. Zu haben ab Fr. 5.95.
Bereits in dieser Werkphase zwischen Lifestyle und Comic westlicher und östlicher Prägung hat Szenisches Bedeutung. Es folgen die als Kartonreliefs gefertigten „Mickrymorphosen“, der „Bamboo Salon“, den sie 2005 im Kunsthaus Pasquart zeigen. Es kommen die „Golden Cut“ nach Alten Meistern und ab 2008 heisst es „Get Physical“. Noch einmal werden alle Register der sexualisierten Langstrassen-Kultur ausgefaltet, nun als eigentliche Skulpturen, oft aus farbenfroh bemaltem Ytong – ein schnitzbares Dämm-Material.
Parallel entwickelt sich ab ca. 2007 auch ein Strang, welcher dem Tier in vermenschlichter Form Bedeutung gibt, etwa in „Do not believe in Apes“ oder in der Reihe der „Sumpfkrähe“ (meist Styrofoam geschnitzt und bemalt). Es ist nicht Zufall, dass die Tiere fast immer eine weibliche Dominanz beinhalten.
Und nun also die „Mutter der Porzellankiste“, eine Redewendung, die vermutlich eine Verballhornung von „Vorsicht ist die Mutter der Weisheit“ ist, was Mickry 3 sicherlich bekannt ist. Die Inszenierung hat eine „Schwester“, die „Granny grogi“ heisst und zur Zeit in der National Galerie in Prag ausgestellt ist. Zusammen mit „Frau Kröte bestellt den Garten“ (2010, Kunstsammlung der Stadt Zürich) zeigt die für den Espace konzipierte Installation einen Trend zum Rollenspiel, zur Reflektion über Lebenssituationen und -veränderungen. Immerhin gehören ja die 3 Mickrys Christina Pfander, Nina von Meiss und Dominique Vigne mittlerweile zu den 30+, sind somit dem Alter der „frechen Gören“ entwachsen.
Mit drei 2010 entstandenen Lithographien geben die drei im Espace einen Mini-Abriss ihrer künstlerischen Herkunft. Darin drei Handschriften erkennen zu wollen, ist nicht möglich; zu sehr sind sie als Dreiheit bekannt geworden; übrigens eine Seltenheit in der Kunstszene.
Wie ist auf dieser Basis die Bieler Arbeit zu interpretieren? Die Kröte ist eine „Matrone“, dick, faltig, wachsam und wer weiss, vielleicht auch ein bisschen hinterhältig. Der Kröterich? Nie gehört. Höchstens das Krötenmännchen, nicht gerade eine flattierende Bezeichnung. Doch für die am Boden liegenden Scherben, die „Un-Vorsicht“, ist wohl nicht er verantwortlich; eher hat sie in einem Wutausbruch Geschirr zerschlagen und kann es nun nicht mehr vertuschen. Eine Mutter-Tochter-Geschichte?
Für künstlerische Relevanz reicht das noch nicht, zu ihr gehört auch die skulpturale Qualität der „Granny“, deren Kopf sich je nach Lichteinfall in weitere Köpfe im Profil aufsplittet, Weibliches und Männliches verschmilzt und so Vielheit ausdrückt. Subtil ist auch die Annäherung an den Begriff „Porzellan“ durch die Farben weiss und blau und den durch eine Lackschicht akzentuierten Glanz. Mickry 3 werden da ihren Weg weiter finden!
Info: 2009 erschien im Bieler Verlag „Clandestin“ eine erste Monographie zu „Mickry 3“, die noch heute relevant ist. Sie ist für 58 Franken an der Kasse des Pasquart erhältlich.
Bildlegende:
Die Installation „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“ von Mickry 3 im Espace libre des CentrePasquArt. Bild: azw