www.annelisezwez.ch                             Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 28. August 2011Ceoec

Im Kunsthaus Grenchen ist neu eine Ausstellung mit Werken von Reto Leibundgut und Monica Germann & Daniel Lorenzi zu sehen: Ein Spiel um Wahrnehmung mit Hintergrund.

Die  tausend Möglichkeiten die Welt wahrzunehmen, ist für Eva Inversini, Direktorin des Kunsthaus Grenchen, der unerschöpfliche Fundus der bildenden Kunst. Dass eine Sicht immer wieder von einer anderen gebrochen wird, eins und eins dann nicht zwei, sondern drei oder vier ergibt, fasziniert sie und bestimmt die Wahl der Künstler und Künstlerinnen, die sie in Grenchen zeigt.

Zur Zeit sind das Werke des 1966 in Büren zum Hof geborenen Reto Leibundgut sowie des Solothurner/St.Galler Künstlerpaars Daniel Lorenzi & Monika Germann (geb. 1963/66). Beide Positionen sind in der Region bekannt – Leibundgut inszenierte 2008 die Salle Poma des Pasquart  in Biel mit einer raumfüllenden, farbbetonten Karton-Installation, Germann/Lorenzi zeigten 2010 im Kunstmuseum Solothurn eine im Vergleich zu derjenigen von Grenchen nicht unähnliche Wandmalerei.

Ist die Ausstellung also ein Aufguss? Nein. Oder nur ein bisschen. Sie hat als deutliches Plus, dass die Kombination neuer und älterer Arbeiten – die beiden bespielen sämtliche Räume von Alt- und Neubau – vertieften Einblick in die treibenden Kräfte der Denk- und Arbeitsweisen der gesamtschweizerisch beachteten Künstler gibt. So findet die aus dem Atelier-Fundus von Leibundgut  konstruierte „Wohn-Wand“ im Neubau ein nachvollziehbares – auch radikalisierendes – Echo in den Intarsien, Säge-Stücken, Gobelins und Holzschnitten des Künstlers im Altbau. Und die mit Versatzstücken aus der Natur, dem Bauen und der Musik gestaltete Wandzeichnung von Germann&Lorenzi findet ihre inhaltliche Vertiefung in den „15 Bildern“ der „Renovationsepoche II“ (2011) im obersten Stock des Kunsthauses.

Rücksicht und Radikalität

Die Kombination der beiden Positionen in einer Ausstellung ist möglich, aber nicht ein Highlight, das Unerwartetes zutage fördern würde. Im Gegenteil, man hat  den Eindruck, die Künstler hätten sich im gemeinsam bespielten Neubau bezüglich Brisanz etwas zurückgenommen, um sich nicht zu „verletzen“. So sind die zersägten und puzzleartig wieder zusammengesetzten „Jungfrauen“ von Leibundgut – weibliche Akte aus der Sexindustrie wie sie möglichen Selbstmordattentätern im Internet als „himmlische“ Belohnung versprochen werden   wesentlich radikaler in ihrer Aussage als die raumfüllende Brockenhaus-Wand.

Was indes beiden Werken Leibundguts eigen ist, hat mit anziehender und abstossender sowie kunstimmanenter Vieldeutigkeit zu tun. So kann man die Dinge in der Wohnwand zunächst benennen: ein Sofa, eine Plastikwanne, ein Makramé-Lampenschirm, Koffer, Teppiche usw. Sie lösen unweigerlich Erinnerungen aus, man geht in Gedanken ebenso in die eigene Kindheit zurück wie in Grossmutters Estrich, möchte dies und das in einen Container schmeissen und anderes mit nach Hause nehmen. Die Wand ist ein sich (fast) autonom tragendes, in fragilem Gleichgewicht ruhendes Generationenbild. Lässt man indes die Bedeutungen weg und überschaut das Ganze, erkennt man plötzlich Farbe und Form, Vertikalen und Diagonalen, und sieht auf einmal ein abstraktes Bild. Dass man Teppiche, Ledermöbel und mehr überdies älteren Kunstwerken Leibundguts zuordnen kann, kommt als Surplus noch dazu.

Dasselbe ist auch bei den „Jungfrauen“ theoretisch möglich – man erkennt, dass sie aus alten Schlafzimmer- Schranktüren gemacht sind und als Intarsien altes Handwerk wieder aufnehmen und ihre malerischen Erscheinung fast bis zum Tachismus zurückgreift, doch die Inhaltlichkeit lässt nicht dieselbe Musse zu.

Alles im Fluss

Sehr viel zurückhaltender, uneindeutiger, indirekter ist die Vorgehensweise von Germann&Lorenzi. Ihre Annäherungen an Themen sind ein Herantasten, ein Hinhören wie sich etwas ausbreitet, die Tonart wechselt, aber auch – wie die in die Wandzeichnung eingelassenen Mini-Videos zeigen ­– von kleinen Mäusen angefressen, von Comicfiguren manipuliert werden. Wie subtil sie Dinge auch auf der Gegenstandsebene evozieren, zeigen zum Beispiel einige lose ausgelegte Verbundsteine, auf denen sich ein Plattenspieler befindet, auf dem eine bereits von der Wandmalerei her bekannte Vinylplatte fliessende Orgelklänge verbreitet. Man hört sie zwar kaum, weil ein Super-8-Abspielgerät gleich daneben lärmt und filmisch darauf verweist, dass  auch Wolken ständig in Transformation sind. Dies wiederum wird von Spiegeln in Fliesenform aufgenommen, die  ihrerseits in der Wandmalerei im Neubau  als Umrissformen erscheinen. All das geschieht unter dem Titel „Renovationen“, was letztlich auf der übertragenen  Ebene jene von Eva Inversini gemeinte Wahrnehmung meint, die immer wieder gebrochen und durch neue Sichtweisen ergänzt wird.

Info: Kunsthaus Grenchen, Die Sicht der Dinge, bis 23. Oktober 2011. Mi – Sa 14  – 17, So 11 – 17 Uhr. Link: www.kunsthausgrenchen.ch

 

 

Bildlegenden v.o.n.u.

Monica Germann&Daniel Lorenzi: Enthusiasmus/Lethargie. Bild: azw

Reto Leibundgut: „Wohn-Wand“   Bild: zvg

Reto Leibundgut: „Jungfrauen“. Bild: azw

Monica Germann&Daniel Lorenzi:  Aus „15 Bilder“ der „Renovationsepoche II“. Bild: azw