www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in  Bieler Tagblatt vom 5. Juli 2011RA Grani

Der Kurator des Espace libre mag es makaber: Die Sommerausstellung 2010 hiess „Anleitung zum Mord“, die aktuelle „Sport ist Mord“. Dennoch ist der Tenor ein anderer.

Es war anzunehmen: Monsignore Dies trug unter Churchills flapsigem Bonmot „Sport ist Mord“  nicht Youtube-Filmchen zu Pannen im Sport zusammen. Was er im Espace libre alias „Aufbahrungsraum“ zeigt, sind viel mehr deftig punkige und unzimperlich ironische Multimedias aus verschiedensten „Sport“-Stadien. Da geht’s beim Schach ohne Rücksicht auf Verlust darum, wer wen mit welchem Zug schachmatt setzt. Christoph Lambert touchiert mit seinem Mahnmal für die unbekannte Prostituierte  die Pornographie ohne mit der Wimper zu zucken. Auch die plumpe Penis-Pumpe von „xxx“ gehört in diese Rubrik, umso mehr als der „Bieler Kunstschaffende“ seinen Namen dafür nicht preis geben will.

Wer also  den Eindruck hat, solcherart Kunst habe er da jetzt genügend gesehen und rechtsumkehrt machen will, soll noch einen Moment Geduld haben. Denn hinter dem Lauten, gibt’s auch Feines. Zum Beispiel eine Lang-Hantel für Bizeps-Süchtige, die Schallplatten statt Kilo-Scheiben summiert. Peter Gysi geht es dabei, das sieht man auf den ersten Blick, nicht um die Anekdote, sondern um die Geometrie von Linie und Kreis. Dass das eine auch das andere ist, ergibt die Spannung (und das Lachen). Da ist auch wieder einmal das mit Ironie und Tragik gewürzte Video von Barbara Meyer Cesta (2005), das einen Ball zeigt, der so lange in dieselbe Ecke katapultiert wird bis er sich in seine Bestandteile auflöst. Und da ist, last but not least, ein Platten-Spieler, der auf seinem Gehäuse eine kleine Magnet-Figur ohne Aussicht auf Erlösung ewig umgehen lässt (Strotter Inst.).

Der Kurator zwängt das Thema nicht ins Korsett. Dass Sport und Kampf sehr nahe beieinander sind und das Todes-Risiko oft tatsächlich nicht weit weg, demonstriert unter anderem das Bild eines blutenden Boxers von Jerry Haenggli. Dass Sport auch unerwartete Blickwinkel beinhaltet, zeigt andererseits das Doppel-Video von susanne muller, das die Saltos von Claudio Capelli „zählt. Vor neun Jahren turnte er für die Künstlerin mit einer Helmkamera (Video 1) und hat seither nie aufgehört, sich in der Luft zu drehen (Video 2).

Und da ist noch etwas, das die Ausstellung respektive den Kurator kenntzeichnet; etwas typisch bielerisches. In der Bieler Altstadt – vielleicht müsste man auch sagen, im Bieler Untergrund – tummeln sich viele ausgesprochen kreative Geister; sie sind weder Musiker noch Elektroniker noch bildende Künstler im engeren Sinn und doch alles zusammen. Monsignore Dies fühlt sich ihnen zumindest nahe und darum ist es ihm ein Anliegen, sie in seine Projekte einzubeziehen. So tritt in der Ausstellung ein „Bruder Bernhard“ auf, der eigentlich Hotcha heisst. Er zeigt ein mit Abzeichen dekoriertes Video-Objekt, das in Film und Schrift von Schützenvereinen, Karl Marx und Frauendiskriminierung in den 1950ern erzählt und letztlich in den Satz mündet: „Es gibt noch viel zu viel Pädäm“. In dieselbe Kategorie gehört Flo Kaufmanns „Guillotine“, die zuschlägt so bald man ihr zu nahe kommt. Beides ist keine grosse Kunst, aber ein Beweis, dass es in Biel das Salz, das es braucht, damit die Szene einer Stadt lebendig und experimentell bleibt, auch wirklich gibt.

Die Ausstellung dauert bis 21. August. Der Espace libre unterhalb des Filmpodiums hat dieselben Öffnungszeiten wie das Centre Pasquart.

 

Bildlegenden:

Kampf oder Sport?  Jerry Haenggli malt die Doppelbödigkeit. Bild: azw

Bruder Bernhard: „Es gibt immer noch zuviel Pädäm“ – Videoinstallation. Bild: azw