www.annelisezwez.ch      Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 25. Juni 2011visualcage

Die Ausstellung von Pat Noser im Museum Pasquart ist den Reisen der Bieler Künstlerin in die „Verbotene Zone“ von Tschernobyl gewidmet. Malerei und Feldforschung gehen Hand in Hand.

Pat Noser ist sich nicht sicher: Ist die durch die Katastrophe von Fukushima  aktualisierte Thematik  ihres seit 2006 vorangetriebenen Tschernobyl-Projektes ein Glücksfall oder eine Belastung für ihre erste Museumsausstellung? Vielleicht beides. Ein Glücksfall dahin gehend, dass eine wegen Radioaktivität angeordnete Sperrzone uns alle beschäftigt; die Künstlerin quasi zur richtigen Zeit mit der richtigen Thematik auftritt. Eine Belastung aber auch, weil Pat Nosers Bilder weder auf  Moral noch auf Politik ausgerichtet sind, sondern mittels Malerei die emotionale Qualität eines Ortes zwischen Todesnähe und (Über-)Lebenskraft zum Ausdruck bringen wollen.

Die Inszenierung der Ausstellung, die erweitert auch den Katalog mit integriert, zeigt ein kluges Balancieren zwischen den Hintergrundfakten, die als eine Art Wand-Zeitung den Korridor tapezieren, und grossformatigen Dokumentar-Fotografien im Wechsel mit repräsentativen Ölbildern in den Sälen. Es ist dabei der Kraft von Nosers „Peinture“ zu verdanken, dass die Essenz auch in der Vielfalt bei der Malerei bleibt.

Insgesamt vier Mal reiste die Künstlerin nach Kiew und von hier mit Privatpersonen in die 30-Kilometer-Zone rund um das 1986 geborstene Atomkraftwerk. Tief beeindruckt und mit einer „unendlichen“ Menge von Fotografien kam sie jeweils zurück. Im Projekt, mit dem sie sich beim Kanton Bern um ein Reisestipendium beworben hatte, sprach sie von einer Bestandesaufnahme der Landschaft vor Ort, insgeheim wusste sie aber, dass eigentlich die Menschen das waren, was sie interessierte. Nur, würde es gelingen, mit ihnen in Kontakt zu treten? Es gelang, denn für die in der Zone des Todes Wohnenden ist jeder Besuch ein Fest. Trotz immanenter Gefahr ass und trank sie mit ihnen und lernte ihr Leben zu spüren.

Die Bilder die sie schliesslich malte, sind nun beides: Landschaft und Leben. im Niemandsland.

Pat Noser bezeichnet ihren Mal-Stil als Fotorealismus. Das ist richtig und falsch in einem. Noser geht zwar von Fotografien aus und malt diese im engeren Sinn abbildend, doch im Gegensatz zu den Fotorealisten ist ihr Ziel nicht ein illusionistisches. Nie würde man in der Ausstellung die Fotos und die Malerei, die oft direkt nebeneinander hängen, verwechseln. Die Fotos sind ihr vielmehr „Modell“ für eine Malerei realistischer Ausprägung wie sie sich seit Courbet im späteren 19. Jahrhundert bis heute entwickelt hat. Pat Noser hat sich hier indes eine ganz eigene Position erarbeitet. Man spürt, dass sie die Pop Art kennt, die Kunst des Alltags, der Vereinzelung und Monumentalisierung der Dinge. Man erkennt, dass sie mit geprägt ist vom kritischen Umgang mit der (Um)-Welt wie er die Kunst seit den 1970er-Jahren charakterisiert. Dem Niedergangs-Szenario setzt sie aber eine Malerei entgegen, die das Gegenteil anstrebt. Souverän spielt sie mit dem Licht wie es die Maler vor und nach 1900 zelebrierten. Sie gibt jeder Form ihre helleren und ihre dunkleren Zonen, sei es ein gelbes Kopftuch, eine Hand, ein Busch, eine Blüte, ein Glas mit eingemachten Gurken. Da ist keine expressionistische Steigerung, keine surreale Verfremdung, keine „wilde“ Gestik.  Gleichwohl ist im Abbild, in der Übersetzung der Fotografie in Farbe und Licht Nosers Betroffenheit, ihre Anteilnahme, ihr Staunen, ihr Fragen mit enthalten.

Die Spannung zwischen der farb- und lichtdurchfluteten Malerei und der unsichtbar zerstörenden Radioaktivät wird in der visuellen und intellektuellen Wahrnehmung zu etwas Unfassbarem. Wem soll man nun glauben, der wieder erstarkenden, die Reste der Zivilisation in absehbarer Zeit völlig vereinnahmenden Natur? Oder den Fakten der Geigerzähler? Pat Noser behauptet nicht. Sie sagt: „Ich weiss es nicht“. Sie lacht auch mal und pinselt für alle, die behaupten, rund um Tschernobyl wüchsen riesige Pilze, einen überdimensionierten Rothut.  Sie malte im Nachgang zu ihren Reisen auch nicht nur nach Fotografien aus der Sperrzone, sondern ebenso Motive, auf die sie in Kiew stiess und schafft so eine Gleichzeitigkeit mehrerer Realitäten in der Ukraine.

Die Ausstellung ist ein geschlossenes Ganzes. Es reiht sich indes nahtlos in das Gesamtwerk der 1960 geborenen Bieler Künstlerin. Auch wenn die Dimension des Themas sie innerlich zu einem Respekt aufrief, den sie in anderen Serien –  von den Körperfleisch-Bildern über die Penisse mit Mäschchen bis zu den ornamentalen  Regenwürmern – nonchalant über Bord wirft.

Bilder: azw