Uwe Schloen Lorna Bornand Jean Paul Blais Espace Art Etage Biel 2011

Stilles Denken in der Aufbahrungsdisco

www.annelisezwez.ch      Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 31. Januar 2011

Wer die nahe beieinander liegenden Espace libre und Art Etage im Pasquart-Areal besucht, ist einem heftigen Kontrastprogramm ausgesetzt: Einem „Garten der Lüste“ da, „Stillem Denken“ dort.

Uwe Schloen liebt Silikon – das zähe weisse Material, das wir von Fugen her kennen. Der 62-jährige deutsche Künstler überzieht damit grob gehauene, hölzerne Figuren in linearen Bahnen oder als Noppenmuster. Das Silikon ist neben Holz und Blei sein Markenzeichen.  2006 baute er im Rahmen von „Art Canal“ entlang der Zihl ein schwimmendes Silikon-Badezimmer. Im Espace libre nun lässt er damit einen ebenso an Dantes „Divina Comedia“ wie an Hieronymus Bosch erinnernden „Garten der Lüste“ entstehen. Eine schauerliche Vision, die die Liebeslust zum höllischen Frust verkommen lässt.

Die raumfüllende Installation ist wie ein externer Beitrag zu den „ Lust und Laster – die sieben Todsünden“ im Kunstmuseum und im Zentrum Paul Klee in Bern. Ja, sie wäre sogar eine Aufwertung des entsprechenden Kapitels im Klee-Zentrum! Denn Schloen haut selbst über die Stränge, macht den „Garten der Lüste“ zur überbordenden Kakteen-Landschaft, zur flimmernden „Aufbahrungsdisco“. Die ganz aus Silikon geformte und bläuliche bemantelte Marien-Figur in der Ecke des Raumes ist hilflos gegen das Lästern und das Hohnlachen im Raum. Allerdings hört man die „falschen“ Töne, spürt die Dekadenz und erkennt sie als Kehrseite von Wehmut und Trauer.

Wäre da nicht immer auch der Humor des Künstlers deutlich sichtbar, wäre da nicht der verkappte Comic-Künstler in ihm, man würde von Apokalypse sprechen oder – so wie die Tod-Sünden im Spätmittelalter als moralische Abschreckung dienten – von einem Mahnmal wider die Unfähigkeit des Menschen zu echter Beziehung. Denn das Silikon ist nicht nur Masche, sondern als Abdichtungs-Material auch symbolisch gemeint. Schloen spricht von einer „Vergletscherung“ der Welt. Er selbst liebt Kommunikation – er arbeitet zwar auch in seinem Atelier nahe der polnischen Grenze, aber viel lieber ist er unterwegs, von Ausstellung zu Ausstellung. Wie er nach Biel kommt? Ganz einfach, er gehört wie der Bieler Pavel Schmidt und andere zum Clan, der sich in den italienischen Gärten von Pole Wiedmer und Daniel Spörri trifft.

Stilles Denken und feines Haar

Wer den Kunstmarkt bedienen will, muss bei den verwendeten Materialien an den Faktor „Haltbarkeit“ denken. Ein Uwe Schloen foutiert sich darum. In der diesmal wohl gesitteten, eine traditionelle Form  von Kunst präsentierenden Ausstellung in der Art Etage hingegen sind die Hölzer geschliffen und poliert, die schwarze Farbe makellos aufgetragen, die roten Pinsel- respektive Farbstift-Zeichnungen hinter Glas geschützt. Sie werden das Silikon mit Sicherheit überdauern. Die Werke des in Lausanne wirkenden Franzosen Jean Paul Blais (geb. 1951) und der ebenfalls in der Waadtländer Metropole tätigen Lorna Bornand (geb. 1969) bieten keinerlei Schwierigkeit, sich mit ihnen anzufreunden, möglicherweise mit ihnen zuhause zu leben. Die beiden Ausstellungen in Espace und Art Etage markieren die zwei Pole des Kunstbetriebs – des in die öffentliche Diskussion eingreifenden einerseits, des nach innen gekehrten, quasi privaten andererseits.

Jean Paul Blais’ Holz-Reliefs sind mit „La silence de la pensée“ übertitelt. Das heisst sie sind formal so weit reduziert, dass sie nur erzählen, was wir von ihnen im meditativen Zwiegespräch hören wollen. Wir können über durchschimmernde Schichten mit ihrem Untergrund beschäftigen, da und dort mit ihren Jahrringen oder auch der „Sprache“ ihrer Einkerbungen und Unterteilungen. Und sicher haben wir Lust (heimlich) darüber zu streichen, um die leicht bombierte Oberfläche als sanfte Wölbung zu spüren.

Ihren Pfiff erhält die Ausstellung durch die Kombination mit den Arbeiten auf Papier von Lorna Bornand; insbesondere jenen, die auf den zweiten Blick verraten, dass sie sich von Haaren inspirieren lassen, von weich gewellten, von frech zu „Kappen“ gebundenen, von fein ausgefransten und mehr. Die Künstlerin verrät, dass ihr Frisurenmuster aus dem alten China beim Malen Pate standen. In der Kombination mit den in Schwarz ruhenden Holzreliefs von Jean Paul Blais sind sie gleichsam züngelnde Lebendigkeit, verführerische Sinnlichkeit, welche das „Stille Denken“ zumindest kitzeln.

Die Ausstellung ist von Seiten der Galerie-Leitung her eine bewusste Hommage an die Romandie, die in Ausstellungen in Biel (zu) selten präsent ist. Beide Künstler sind rund um Lausanne bekannt, stellen aber erstmals in Biel aus. Auch wenn die Kunst in der Romandie bis heute einen starken Zug zur Tradition aufweist, hätte man sich für diesen wichtigen Programmpunkt der Art Etage zwei etwas aufmüpfigere Positionen gewünscht.

Ausstellung im Espace bis  13. März. Offen wie Centre Pasquart. Ausstellung in der Art Etage bis 26. Februar. Offen: Mi-Sa 14-18, Sa 11-18 Uhr.

Links: www.aufbahrungsraum.ch und www.art-etage.ch

Bildlegenden:

Hieronymus Bosch nachempfunden: „Der Garten der Lüste“ von Uwe Schloen im Espace libre. Foto: azw

 In der Art-Etage zeigen Lorna Bornand (links) und Jean Paul Blais (rechts), beide aus Lausanne, Arbeiten auf Papier und Holzreliefs. Bild: zvg

 

 

Die Künstler

Uwe Schloen – geboren 1958 in Kuhstedt/Niedersachsen. 1984 – 1987 Studium der Bildhauerei und Malerei in Hamburg. Seit 1987 freischaffender Künstler. Letzte Ausstellungen in Paris, Bremen, Tartu (Estland), Camaguey (Kuba), Civitella d’Agliano (Italien), Hamburg, Berlin.

Jean Paul Blais – geb. 1951 in Tunesien. Französischer Staatsangehöriger. Seit 1973 in Lausanne ansässig. Kam über Tusch-Zeichnungen, Eisenskulpturen, Radierungen zu Reliefs mit Tannen-Holz, die heute im Zentrum stehen. Zur Ausstellung in Biel ist ein Katalog erschienen.

Lorna Bornand – geboren 1969 in Lausanne. 1991-1995 Absolventin der Ecole supérieure d’art visuel in Genf. Lebt als freischaffende Künstlerin in Lausanne. Letzte Ausstellungen in Genf, Yverdon, Freiburg, Lyon.