Das Bieler Kunstjahr 2011

Das Jahr der personellen Wechsel

Das Bieler Kunstjahr 2011 geht weniger durch herausragende künstlerische Ereignisse als vielmehr durch Diskussionen um Personen in die Annalen ein. Nicht, dass die Kunstschaffenden der Region und die Gäste aus dem In- und Ausland,die hier ihre Bilder, ihre Installationen, Fotografien, Videoarbeiten und Performances präsentierten, nicht für manches kleine Highlight gesorgt hätten, doch Wellen warf Ende Januar der offizielle Rücktritt von Dolores Denaro als Direktorin des Centre Pasquart. Man wusste um die langen Absenzen der Direktorin (Mutterschaftsurlaub, Krankheit, Ferien), man wusste auch um  interne Unstimmigkeiten, aber man wusste auch um den Ehrgeiz Denaros, „ihr“ Haus weiterhin zu führen, die nationale Position, welche sie mit der Qualität ihrer Ausstellungen errungen hatte, zu festigen. Doch schliesslich wurde der Druck zu gross und DD reichte den Rücktritt per Ende 2011 ein; so wie es bei ihrem Stellenantritt 2002 eigentlich vorgesehen war, nämlich nach 10 Jahren einen Wechsel herbeizuführen. 

Nach eigenen Aussagen wollte sie ihr letztes Jahr noch geniessen, doch ein unglücklicher Sturz im April, der eine komplizierte Knieoperation notwendig machte, verunmöglichte dies. Gut stand das Programm für die ersten Monate und die verpflichteten KünstlerInnen respektive die eingeladene Gastkuratorin trieben ihre Konzepte  mehr oder weniger allein weiter, sodass nach aussen alles „normal“ verlief und auch die internationale Themenausstellung, diesmal zur Archäologie in der zeitgenössischen Kunst, konnte realisiert werden. Die Crew des Hauses mit Iréne Zdoroveac, Paolo del Merico und vielen anderen hielten das Schiff mit ausserordentlichem Einsatz über Wasser. Die Verdienste Dolores Denaros werden an anderer Stelle in diesem Buch gewürdigt.

Was die Kunstszene umtrieb, war die Frage nach der Nachfolge. Leider wurde die Ausschreibung etwas gemächlich angegangen, sodass erst im Juli fest stand: Die neue Direktorin heisst Felicity Lunn. Die national und international gut vernetzte Kunstfachfrau mit englischen Wurzeln arbeitete zuletzt für die UBS Art Collection, wo sie für Regionen Schweiz und Europa zuständig war, hat aber auch kuratorische Erfahrung, u.a. aus ihrer Zeit als Leiterin des Kunstvereins Freiburg i.Br. und ihrer Zeit an der Whitechapel Gallery in London. Was die 48-jährige engagierte Zürcherin erst im August erfuhr: Für 2012 gab es noch kein Ausstellungsprogramm, geschweige denn zusätzliche Finanzen, ohne die der Ausstellungsbetrieb kaum aufrecht erhalten werden kann. So musste Lunn noch vor Stellenantritt erste Weichen stellen.

Per Ende Jahr trat überdies Jean-Pierre Bechtel aufgrund der reglementarischen Amtszeitbeschränkung als Präsident der Stiftung Pasquart zurück. Was ihn in all den Jahren ausgezeichnet habe, so einMit-Stiftungsrat, sei nicht nur sein enormer Einsatz gewesen, sondern auch seine „olympische Ruhe in Krisenzeiten“. Zum neuen Präsidenten wurde  der Künstler und ehemalige Leiter der Schule für Gestaltung Bern und Biel, Urs Dickerhof, gewählt.

Eine präsidiale Rochade gab es auch beim Kunstverein. Nach dem abrupten Rückzug von Nadja Schnetzler 2010 und der Interimspräsidentschaft von Judith Luks konnte nach intensiven Recherchen Alexandra Talman fürs Präsidium gewonnen werden. Talman lebt seit 2007 in Biel, ist beruflich in leitender Stellung bei der Pro Helvetia tätig und privat die Lebenspartnerin von Pierre-Edouard Hefti, Adjunkt der Kulturabteilung der Stadt Biel. Bereits nach wenigen Monaten wurde spürbar, dass sie dem eng mit dem Centre Pasquart verbundenen Verein ein neues Selbstbewusstsein vermitteln will.  

Doch nicht nur im Pasquart gab es Wechsel: Kaum wurde bekannt dass Pietro Scandola die Leitung des „Neuen Museums Biel“, der Fusion von Museum Neuhaus und Museum Schwab, übernehmen würde, lieferte der Kurator der Abteilung Kunst und Illustration Schlagzeilen: Thomas Schmutz (geb. 1969) wurde nach nur zweijähriger Amtszeit in Biel als Vizedirektor ans Aargauer Kunsthaus in Aarau gewählt, wohl um dort der bedeutenden Sammlung an Schweizer Kunst bis zurück ins 18. Jahrhundert zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen. Im Museum Neuhaus trat Schmutz 2011 unter anderem als Kurator der Ausstellung „Eine malerische Reise von Basel nach Biel um 1800“ in Erscheinung. Mit der Langzeitausstellung „Sélection tropicale“ ( mit Werken von Paul-André Robert) wurde erstmals auch die interne Einbindung der „Fondation Collection Robert“ in die Tätigkeit des Museums manifest.

Schmutz’s Nachfolgerin heisst Bernadette Walter. Die Walliserin promovierte 2005 an der Universität Bern zum Dr. phil. und war bisher sowohl als Dozentin wie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Graphik-Abteilung der ETH  resp. dem S

chweiz. Institut für Kunstwissenschaft tätig.

Bezüglich des privaten Sektors sei an dieserStelle auch auf den fliessenden  Generationenwechsel in der Galerie Mayhaus in Erlach hingewiesen, die neu von René Steiner und seinem Sohn Ilya gemeinsam geführt wird. Die ersten Ausstellungen brachten einerseits ein Bekenntnis zur Region, andererseits aber auch ganz klar zum Kunstmarkt.

Das Bieler Kunstjahr als Ganzes überblickend, sind drei Veranstaltungen hervorzuheben: Der Joli mois de mai, die Fototage und das „Nine Dragon Heads“-Symposium. Der Jolimai, die jährliche Parade der Künstlergesellschaft Visarte, lud zum 

10-Jahr-Jubiläum zu einem Feuerwerk an Veranstaltungen weit über die bildende Kunst im engeren Sinn hinaus. Durch den Einbezug der sogenannten „Voirie“ auf der Hinterseite der Alten Krone – ein abgetackelter Industrieraum wie ihn die alternative Kulturszene liebt – fand vielfach eine Verlagerung der Vernissage statt oder Bildendes und Musikalisches teilten sich das Raumangebot. Den grossen Hit gab es zum Auftakt. Stadtwanderer Benedikt Loderer äusserte sich für einmal zur Kunst, zu fünf Künstler-Charakteren: Dem Forscher, der Ergriffenen, dem Auch-Künstler, dem Erotomanen und dem Wut-Künstler. In eigentlichen Bühnen-Szenen lieh er seine Stimme einem weltklugen Analysten, einer gefühlvollen Malerinnenseele, einem pragmatischen Macher, einem lasziven Verführer und einem wütenden Polterer.  

Köstlich war aber auch das „Zeit-Schiessen“ von Pavel Schmidt, das selbst eingefle

ischte Pazifisten zu „Scharfschützen“ machte. Lustvoll poetisch gab sich hingegen das Frauentrio Beck/Sinniger/Lebon, das in der Voirie eine eigentliche Lustwiese installierte.  Ganz im Gegensatz zum Trio Lambert/Haenggli/Dies, das den Raum in eine verruchte Punk-Rock-Disco verwandelte, was zu später Stunde undangesichts leerer Wodka-Flaschen beinahe zu einem Zwischenfall mit der Polizei führte. Neben Fulminantem – dazu ist auch Vladimir Heiz’ brillante Wortkaskade zu zählen –  gab es freilich auch Braves, Gewöhnliches – Einabendausstellungen eben.  Der Gesamtaufmarsch an Kunstschaffenden – zum Jubiläum waren als Gäste auch Nicht-Visarte-KünstlerInnen geladen – war jedoch beeindruckend und wohl so etwas wie der Ausdruck des vielzitierten „Spirit of Biel“, der Kultur als Gemeinschaft zu zelebrieren vermag.

Auch die Fototage feierten Jubiläum. Entsprechend umfangreich präsentierte sich die 15. Ausgabe mit dem Titel „Le temps fait son oeuvre“, was mit der Übersetzung als „Zahn der Zeit“ aufzeigt, dass es nicht nur um die Zeit in der Fotografie ging, sondern auch um Themen wie Vergänglichkeit, Zerstörung, Auflösung. Diese Auffächerung des Themas  war denn auch die Qualität des von Hélène Joye Cagnard und Cathérine Kohler kuratierten Festivals. Denn das Thema Zeit an sich wurde in den letzten Jahren vielfach abgehandelt. Als eigentliche „Bieler Arbeit“ entstanden die grossformatigen Camera obscura-Belichtungen von Andrea Good, welche den Abbruch der Vereinigten Drahtwerke in statische Licht-Bilder verwandelten. Künstlerische Highlights waren u.a. die Gigapan-Panoramen von John Divola, die Nachtlandschaften von Roger Frei, die abstrakten Fotopapiere von f&d cartier, die „Explosionen“ von Martin Klimas. (Mehr zu den Fototagen auf Seite…..)

Nicht weniger als 25 Kunstschaffende aus allen 5 Kontinenten versammelte das erstmals in der Schweiz stattfindende „Nine Dragon Heads“-Symposium in Biel. Vor 15 Jahren von Park Byoung Uk initiiert, hat es seine Wurzeln in Südkorea und fand bisher primär im asiatischen Raum, aber auch in Sarajewo statt, stets mit Beteiligung von Schweizer Kunstschaffenden, darunter die in Prêles wohnhafte susanne muller. 

Zusammen mit Daniela de Maddalena und Annelise Zwez, die später zum Netzwerk stiessen, holte sie das Symposium nach Biel. In der Art Etage präsentierten die KünstlerInnen ihre künstlerische Herkunft, mit dem Velo erkundeten sie die Stadt, im Lokal-int. diskutierten sie über Biel und ihre Arbeit, auf dem Zentralplatz gaben sie Performances. Auf Exkursionen begegneten sie den „Pfahlbauern“, in einem Workshop arbeiteten sie mit Studierenden der Schule für Gestaltung, im Areal des Strandbades präsentierten sie die Teil jedes Symposiums bildende „artist to artist“-Performance mit Land Art, Skulpturen, Texten, Interventionen, Tanz. Nicht zuletzt durch breite mediale Präsenz (Telebilingue, Bieler Tagblatt etc.) stiess das  Symposium in Biel auf Resonanz und die Kunstschaffenden äusserten sich begeistert über ihren Aufenthalt im Seeland.

Die bedeutendesten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in Biel finden fraglos im Centre Pasquart statt. Highlight des Jahres 2011 war nicht „Arkhaiologia“ – obwohl Simon Fuijwaras Verwandlung der Salle Poma in eine fiktive archäologische Stätte herausragend war. Zu sehr war die Ausstellung aus dem Wissensschatz

ensschatz der jüngeren Kunstgeschichte zusammengewürfelt, zu wenig versuchte sie Aktuelles (z.B. Querverbindungen zu den Pfahlbaustätten am Bielersee) einzubinden. Ein Resultat der personell schwierigen Situation im Haus. Highlight war auch nicht  die Einzelausstellung des Internationalen Anatoly Shuralev – hier setzten die finanziellen Möglichkeiten zu enge Grenzen für neue Arbeiten vor Ort. Die Privat-Sammlung von Thomas Spielmann hingegen brachte einen spannenden Einblick in die jüngere Kunst in der Schweiz (von Roman Signer über Josef Felix Müller bis Jules Spinatsch und Martina Gmür) und ebenso die von Sibylle Omlin kuratierte Aquarell-Ausstellung „à l’eau“ mit einem schönen Bogen von den 1970er-Jahren bis heute. Die raumfüllende Schwarz-Weiss-Zeichnung von Julia Steiner (Manor-Preis-Bern 2011) ergänzte die Geschichte der Salle Pomaum eine wichtiges Kapitel.

Höhepunkt im Sinneinhaltlicher Vertiefung in ein spezifisches Thema war jedoch die Einzelausstellung der Bieler Malerin Pat Noser, die ihre mehrmaligen Reisen in die Sperrzone rund um das Atomkraftwerk von Tschernobyl in eine sehr persönliche, malerische Vision umsetzte. Betroffenheit und Anteilnahme, Fragen und Staunen bestimmte die realistisch-expressiv und zugleich peinture-betont gemalten Bilder, nicht die durch die Ereignisse von Fukushima angeheizte Diskussion um Atomkraftwerke. Dadurch gelang es Pat Noser, dem schwierigen Thema eine behutsam emotionale und menschliche Dimension zu geben. Von nachhaltiger Bedeutung war auch die zeitgleich stattfindende Retrospektive zum Werk von Franziska Megert, welche die Stellung der in Düsseldorf lebenden Bernerin  als internationale Multimedia-Pionierin eindrücklich aufzeigte und mit neuen Arbeiten die ungebrochene Kraft der Künstlerin unter Beweis stellte.

Eine weitgehende Erneuerung zeigte die  traditionell vom Kunstverein betreute „Weihnachtsausstellung“. Auf Betreiben der Museen von Thun und Langenthal wurde erstmals eine gesamtbernische Jahresausstellung mit acht Standorten von Interlaken bis Moutier lanciert. Acht unabhängige Juries  stellten aus denselben 339 zentral eingereichten Dossiers ihre Ausstellung zusammen. Skepsis hier und dort führte dazu, dass viele etablierte Künstler keine Dossiers präsentierten (Biel ist mit rund 65 Bewerbungen gut vertreten). Doch das Experiment „Cantonale Berne Jura“ gelang trotzdem, die angestrebte qualitative Steigerung wurde mehrheitlich erreicht. Biel mit Hannah Külling, Caroline Nicod und Annelise Zwez als Jurorinnen wählten ca. 1/3 Künstler aus der Region und 2/3 aus dem ganzen Kanton, wobei Bern Stadt einen Schwerpunkt bildete. Gesamthaft waren gut 60 Positionen vereint, was Biel zur grössten der acht Ausstellungen machte. Erfreulich war, dass weitere 20 KünstlerInnen aus der Region von anderen Instituten zur Teilnahme eingeladen wurden (erwähnt seien zum Beispiel Monsi

gnore Dies und Pawel Schmidt in der Kunsthalle Bern, Ise Schwartz in Interlaken, Michèle Dillier und Marcel Freymond in Thun, Daniela da Maddalena und Aurélie Jossen in Langenthal, Luo Mingjun und Jerry Haenggli in Moutier).

Den xmas+ Wettbewerb, das heisst die Einladung zur Realisierung einer Installation in der Salle Poma) gewann 2011 Gilles Porret (Genf/Bière). Er verwandelte den Boden mit 285 Holzpaletten in 11 Farben in ein schillerndes Farbenmeer.

Den im Rahmen der Jahresausstellung jurierte Anderfuhren-Preis ging 2011 an  den Bieler Maler Gilles Pellaton (geb. 1982). In einem Kabinett zeigte er eine Auswahl seiner erzählerischen, fantastischen und malerisch dichten „Landschaften“. Zusammen mit einer Serie von Guss-Objekten des Nidauer Plastikers Patrik Harter (geb. 1978), welchem der Anerkennungspreis zugesprochen wurde.

Zum „full house“ zählte in der Vorweihnachtszeit wie immer auch die „Selection“ des Photoforums mit Diego Saldiva (geb. 1983) als Preisträger.

Zu den aktivsten Bieler Kunst-Veranstaltern zählte auch 2011 das von Chri Frautschi betriebene Lokal-int. (Fast) jeden Donnerstag fand eine Vernissage statt und die Künstler engagierten sich zum Teil enorm. Pawel Ferus zum Beispiel installierte einen riesigen schwarzen „Meteor“ im Innern des Schaufenster-Raumes. Männiglich fragte sich wie der da hineinkam. Spuren an den Wänden verrieten es indes: Er entstand vor Ort!

Auch Patrik Harter realisierte ein gigantisches Werk. Er führte die Unebenheiten des Verbundstein-Vorplatzes in eine wellenförmige, fast bis zur Decke reichenden Skulptur im Innern weiter. Im Gegensatz zu den sehr materiellen Beispielen zeigte Bianca Dugaro subtile Experimente der Herstellung von Bildern (z.B. Buttermilch über einer Häkeldecke, durchgepauste Fotografien, ein quadratischer Eiguss). Die Vielfalt war erneut beeindruckend und schloss auch viele spartenübergreifende Veranstaltungen (Musik/Literatur) mit ein; umso erfreulicher, dass die Stadt Biel dies erkannte und die Aufhebung der Unterstützung von Off-Spaces durch das Bundesamt fürKultur „auffing“ und dem Lokal-int. fortan eine minimale finanzielle Basis garantiert.

Ähnlich wie das auch beim Espace libre der Künstlergesellschaft „Visarte“ der Fall ist. Kurator war hier 2011 noch einmal Monsignore Dies. Obwohl sein Einsatz wiederum bewundernswert war und er mit Ausstellungen von Uwe Schloen (D), Köppl/Zacek, mit „Sport ist Mord“, der „Retrospektive“ des Lokal-int. und der Einladung des Künstlerinnentrio  „Mickry3“ qualitativ Gutes nach Biel brachte und mit Punk-Rock-Musik lautstark aufmischte, sind vielen Besuchern die dunklen Plakate mit den Zensurbalken über den Augen langsam „verleidet“. Sie warten auf den Wechsel zu Laura Sanchez als Kuratorin im Frühling 2012.

Die Bieler/Seeländer Galerienszene ist nach wie vor bescheiden. Silvia Steiner – die grand old lady unter den Schweizer Galeristinnen – ist glücklicherweise immer noch aktiv, wenn auch etwas weniger. Ihre vier Ausstellungen galten im Berichtsjahr Flavio Paolucci (TI), Ise Schwartz (Biel), dem Stilleben sowie dem im Burgund lebenden Maler Alfred Wirz.Mehrere bemerkenswerte Ausstellungen zeigte 2011 die Art Etage im Hochparterre des Pasquart-Verwaltungsgebäudes; gemeint sind insbesondere die erstmalige Präsentation der in Basel lebenden Deutschen Anja Ganster, deren hell erleuchtete nächtlichen Alltags-Szenen in Form von Malerei überzeugten, sowie die an der Kippe zwischen Realität und Fiktion angesiedelte, erzählerische Malerei von Tilo Baumgärtel, einem Vertreter der sogenannten Leipziger Schule.

Aktiv waren im weiteren die Gewölbe-Galerie mit ihrem eher traditionellen Programm – herausgehoben seien die „Kokons“ von Isabelle Hofer-Maigraitner – ferner die Alte Krone mit einem qualitativ selten überzeugenden Potpourri, aber auch die Schule für Gestaltung, die ihre Studierenden mit Auftritten im eigenen Haus nicht zuletzt die „Kunst des Ausstellens“ (inklusive Preisvergaben) lehrt. Ins Blickfeld der Bieler gehört auch der kunstwerkraum Ins von Marlise Oechslin, der mit Werken von Adrian Fahrländer (Skulptur), Primula Bosshard (Fotografie), Anita Vozza und Thomas Schori (Fotografie/Skulptur) qualitätvolle Ausstellungen zeigte. Aus dem Kunstbetrieb verabschiedet hat sich hingegen der „artCornerch2500“ an der Zentralstrasse.

Mehrfach lud der Weyerhof in Nidau zur Vernissage, wobei es sich mehrheitlich um von Künstlergruppen selbst organisierte Werkschauen handelte, wie zum Beispiel „carte blanche“ oder „Mostra“ mit Werken von susanne muller, Enrique Munoz Garcia, Rolf Neeser, Ruedi Schwyn, Lorenzo le kou Meyr, Urs Dickerhof, René Zäch u.a.m. Trotzdem wurde auch 2011 das Profil des für die Präsentation von Kunst nur mässig geeigneten Kulturkellers noch nicht nachhaltig fassbar.

Eine schwierige Position hat auch die Kulturmühle Lyss, die von den eingeladenen Kunstschaffenden her stark auf Biel ausgerichtet ist, von den Bielern aber nicht gebührend wahrgenommen wird, obwohl im vielräumigen und mehrstöckigen alten Gebäude schon mehrfach ausserordentliche Ausstellungen statt gefunden haben. 2011 war u.a. eine Werkschau von Verena Lafargue Rimann zu sehen. Insbesondere die mit Ingenieur Thomas Batschelet realisierte „metaphysische“ Installation war einmalig: Unter dem Titel „Catching the vanishing“ zeigte sie drei Spiegel als Tryptichon. Die Künstlerin schrieb mit einem Apfelstück darauf, doch nichts war  zu sehen. Bis ein Kälte-Motor zu surren begann, die Spiegel sich beschlugen und Worte wie „Reflète ce qu’il y a dans ton coeur“ sichtbar wurden.

Nach aussen weniger aktiv war 2011 die Galerie 25 in Siselen; die Retrospektive von Ruth Burri (Bern) im Oktober war indes ein kleines Highlight. Deutlich weniger aktiv war auch die Galerie Vinelz von Martin Ziegelmüller (zu sehen waren u.a. Werke von Lorenzo le kou Meyr). Das ist nicht verwunderlich, arbeitete der 76-jährige Seeländer Künstler doch mit all seiner Kraft für die grösste und bedeutendste Ausstellung seiner Karriere. Das Kunstmuseum Bern und das Kunsthaus Langenthal  zeigten gemeinsam eine umfassende Retrospektive und publizierten eine umfangreiche Monographie. Der Akzent lag dabei ganz auf der Malerei und – subjektiv betrachtet – vielleicht etwas zu wenig auf der kulturkritischen und umweltengagierten, das Oeuvre zum Gesamtkunstwerk weitenden Persönlichkeit Ziegelmüllers. 

Erfreulicherweise sind auch von anderen Bieler Kunstschaffenden wichtige Ausstellungen im „Ausland“ zu vermelden, allen voran „HausamGern“ (Rudolf Steiner/Barbara Meyer Cesta), das 2011 nicht nur Auftritte in Bern, Môtiers und Pfäffikon, sondern auch in Litauen, Albanien und Israel hatte. Erwähnt seien aber auch Kardo Kostas Land art-Projekte in Spanien und Argentinien – der naturnah arbeitende Bieler Holzbildhauer hat in den letzten Jahren vermehrt zu seinen biographischen Wurzeln zurück gefunden. Aufgelistet seien ferner der Auftritt von M.S. Bastian/Isabelle L. an der „cutlog – Messe für zeitgenössische Kunst“ in Paris, von Pawel Schmidt in Rheinfelden (D), die Ausstellungen von Aurélie Jossen in Modena, von Béatrice Gysin, Urs Dickerhof, Jerry Haenggli, Willi Müller in Bern, Heinz-Peter Kohler und Zacek/Köppl in Zürich, von Luo Mingjun in Basel und Peking, von Antal Thoma, Gil Pellaton und Marcel Freymond an den Swiss Awards in Basel. Thoma wurde daselbst für seine ebenso krud-fantastischen wie herausragend inszenierten Fotografien mit einem Kiefer Hablitzel-Preis ausgezeichnet.

Nicht unerwähnt bleiben darf das Filmpodium, das in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein immer wieder Kunst und Film verknüpft, 2011 u.a. mit der Präsentation des Films zum „Phantom“ Banksy, aber auch mit der Filmpremière „Heinz Peter Kohler“ von Peter Wyssbrod. Last but not least sei die Veranstaltungsreihe „Montag um Sieben“ aufgeführt, die einmal im Monat an der Quellgasse 3 spartenübergreifend Musik, Literatur und bildende Kunst bis hin zum Theater als kostbare Performances präsentiert.

Publizistisch war das Bieler Kunstjahr  2011 kein üppiges. Abgesehen von den Katalogen zu den Ausstellungen im Centre Pasquart – u.a.zu Pat Noser, Franziska Megert und Arkhaiologia – ist nur der neue Bildband von Heini Stucki „Wasserskorpion und Riemenzunge“ – eine „Liebeserklärung an die hiesige Artenvielfalt“, wie die neue Kulturredaktorin des Bieler Tagblatts, Simone Tanner schreibt – zu nennen. Dokumentarisch nicht zu unterschätzen ist überdies der in Form von 13 Copy-Zines erschienene Katalog zu Chri Frautschis Lokal-int.

 

Bildlegenden v.o.n.u.

Dolores Denaros letzte Ansprache; zur Eröffnung der thematischen Ausstellung zur Archäologie in der zeitgenössischen Kunst im September 2011. (Bild: azw)

Felicity Lunn; ab 2012 Direktorin des Kunsthauses im Centre Pasquart. (Bild: zvg)

Am „Jolimai“ in der Alten Krone und in der Voirie lieh Benedikt Loderer seine Stimme unter anderem einer „gefühlvollen Malerinnenseele“. (Bild: azw)

Der Musiker Housi Koch für einmal als Scharfschütze; in Pavel Schmidts „Zeitschiessen“ (zu treffen waren Wecker verschiedenster Art). (Bild: azw)

Das Frauentrio Beck/Sinniger/Lebon inszenierte in der Voirie eine Lustwiese. Annelise Zwez geniesst sie. (Bild: Daniela de Maddalena)

Zum Nine Dragon Heads-Symposium in Biel gehörten zahlreiche Performances. Hier zieht die internationale Künstlergruppe nach Anleitung von Bernhard Gerber (Bern) ihre Kreise auf dem Zentralplatz. (Bild: zvg) 

Simon Fujiwaras Verwandlung der Salle Poma in eine archäologische Stätte. (Bild: azw)

Die Bernische Manor-Preisträgerin Julia Steiner schrieb mit ihrer Wand-Zeichnung ein weiteres Kapitel in die Annalen der „Salle Poma“. (Bild: azw)

Daniela da Maddalena (Biel) präsentierte an der erstmals kantonal durchgeführten „Weihnachtsausstellung“ ihren „Selectomat“ („Kunst für den Hunger zwischendurch“) im Kunsthaus Langenthal. (Bild: azw)

Preisträger des xmas+-Wettbewerbes war der Romand Gilles Porret. (Bild: azw)

 Jede Woche Kunst – das Lokal-int. blieb auch 2011 seinem herausfordernden Konzept treu. Im Juni realisierte Patrik Harter (Nidau) eine Verbundstein-„Welle“, die aussen und innen verband. (Bild: azw)

Flavio Paolucci in der Galerie Steiner an der Seevorstadt 57 in Biel. (Bild: azw)

Verena Lafargue stellte ihre Ausstellung in der Kulturmühle Lyss unter den Titel „Catching the Vanishing“. (Bild: azw)