VR Susan Hodel Galerie Rössli Balsthal 2012

Gitternetze

 

Es gibt Künstler, die wehren ab, wenn die Besucher ihrer Ausstellung immerfort wissen wollen, wie die Bilder, die Objekte, die Fotos entstanden seien. Sie wollen lieber über Inhalte sprechen. Bei Susan Hodel, in deren Schaffen ich hier und heute einführen darf, ist es ein bisschen umgekehrt. Ziehen Sie jetzt aber nicht den Schluss, dass die Bilder deswegen keine übergeordnete Bedeutung hätten, es ist nur … halt … eins nach dem andern.

Susan Hodel ist im Sternzeichen des Krebses geboren. Der zeigt seine Befindlichkeit nicht auf dem Präsentierteller, versteckt sich lieber und schaut durchs Gitternetz. Das Gitternetz – sei es aus Streifen von Blechdosen, sei es die gewobene Leinwand, sei es Zerschnittenes und wieder Vernähtes, seien es Fäden, die Horizontale und Vertikale bilden, sei Acrylfarbe, die Streifen zieht oder Aquarellfarbe, die sich geschichtet und gereiht zu netzartiger Struktur fügt (siehe Bild rechts) – das Gitternetz ist (fast) omnipräsent im Werk von Susan Hodel.

Doch das Thema ist nicht eigentlich das Netz, sondern seine Beschaffenheit, seine Konstruktion, seine Materialität – es ist nicht dasselbe, ob ein Gitter spiegelt, ein Netzwerk abschirmt wie ein Paravent oder ob das Auge durch die Öffnungen gleichsam  hinein gezogen wird.

Wir haben in dieser Ausstellung alle drei Versionen, und mehr dazu. Wir haben auch eine Zeitspanne von fast 20 Jahren. Dass wir das kaum merken, ist ebenfalls Ausdruck einer Art Netzwerk.

Wäre Susan Hodel eine Performance-Künstlerin, würde sie wohl in einer Umhüllung auftreten, die ihr netzwerkartig Schutz und Durchblick ermöglicht. Gerade so wie dies die Bilder auch symbolisieren, obgleich ihre textile Struktur nicht im Vordergrund steht.

Umso interessanter ist es, die Arbeitsmethode der Künstlerin zu analysieren. Beim Blendwerk aus Aludosen-Streifen, bei den textilen Arbeiten (siehe Bild links) können wir das mit Leichtigkeit. Da bedarf es keiner Worte von mir.

Aber lassen sie mich nacherzählen, wie die Aquarelle – die neuesten Arbeiten von Susan Hodel – entstehen.

Am Anfang steht ein Blatt Büttenpapier. Das zeichnet sich dadurch aus, dass es an den Rändern ganz leicht gewellt ist und nicht  von einer Maschine in einen exakten rechten Winkel geschnitten ist. Regel und Abweichung – etwas, das wir mitdenken müssen. Dann nimmt die Künstlerin Massstab und Bleistift und zieht Linien – horizontale und Vertikale. Die Abstände sind in etwa dieselben – jedoch geschaut, nicht gemessen und damit auch ganz subtil in die Abweichungen des Papiers integriert. Wenn sie – gleichsam mit der Lupe – schauen, sehen Sie diese Bleistiftstriche teilweise. Es sind Hilfslinien, doch zugleich ein Schritt auf dem Weg, den die Künstlerin offensichtlich nicht ausmerzen will, obwohl sie dies sicherlich könnte.

Der nächste Schritt – ich folge hier der Arbeit mit dem Titel „composé“ als Beispiel – ist ein Ausfüllen der Zwischenräume mit einem mit dunkelster Tinte getränkten Pinsel. Tinte, nicht Tusche und nicht Wasserfarbe. Tinte ist untrennbar mit schreiben verbunden.  Und man kann sie kaum mehr löschen. Geschrieben ist geschrieben und gekleckst ist gekleckst. Ihre Verwendung hier hat nicht nur die Funktion von „dunkel“, sondern beinhaltet alles, was wir mit Tinte assoziieren.

Auf diese erste Kolorierung legt Susan lasurgelbe Aquarell-Farbe. Sie wird in unterschiedlichem Mass zu Grün. Die Wasserfarbe ist keine Deckschicht, sie mischt sich, sie hellt das Dunkel auf, aber sie löscht es nicht. Die Hand, die führt, ist keine Maschine, an den Rändern züngelt es zuweilen. Würde sie nun Schicht um Schicht legen, käme es an den Kreuzpunkten der Vertikalen und Horizontalen zu Farbkonzentrationen. Die Kreuzungen bekämen Gewicht. Das will die Künstlerin aber nicht – der Hand-Fluss der Linien soll das Netzwerk bilden. So nimmt sie sogenanntes „chinesisch weiss“ und tupft die Kreuzungen aus. Wie viele  sind es wohl?  

Klammer: War ich nicht bei meinen Recherchen zu Emma Kunz immer die Zählerin? – Ja! – Also, los! Zählen! – Ich glaube die Zahl bis heute nicht – 147 vertikale x 191 horizontale Linien gibt 28 000! – Da müssen wir noch gesondert darüber nachdenken.

Vorerst kommt die nächste Schicht – das Grün verändert sich, tendiert zum Gelb – Gelb ist Licht – das Bild beginnt zu schillern und zuletzt legt die Künstlerin noch eine Schicht Muschelgold oben drauf; allerdings nur in der Vertikalen. Gold von unten nach oben, von oben nach unten.  Essentiell ist, dass die aufwendige Methode einen räumlichen Effekt erzeugt. Das heisst wir haben es nicht mit einem Gewebe zu tun, sondern mit einem Gitter, das durch jedes kleine weisse Quadrat Eingang und Durchgang erlaubt. Ganz wie einst in den grossen textilen Arbeiten geht es um die Verbindung von davor und dahinter.

Wie weit wir in unserer persönlichen Interpretation das Abstrakte betonen, wie weit wir symbolische Inhalte zulassen wollen, ist jedem einzelnen anheim gestellt. Susan Hodel selbst tendiert – wenn ich das richtig verstanden habe – eher zum Phänomenologischen, das heisst zur bildlich erzeugten Realität wie wir sie bildbetrachtend erkennen können.

Eines aber ist sicher, niemand hier wundert sich nach dem Geschilderten, dass die Fertigstellung eines einzigen Aquarelles gut einen Monat dauert!

Man sagt gemeinhin, dass die Herstellung eines Werkes nicht relevant sei für dessen künstlerische Qualität. Das ist nicht falsch. Aber In diesem Fall ist hier ist der Faktor Zeit und Dauer ein wesentliches Merkmal. Ich führe jetzt nicht das Modewort der „Entschleunigung“ ins Feld. Denn Susan Hodel hat schon immer enorm lang an einem einzelnen Werk gearbeitet  und sie sagt, „ich liebe es, zu tun, ich will diese Linien ziehen und es macht mir Spass, die Parameter der gegebenen Struktur bis ins Detail auszuloten. Es ist spannend zu sehen, wie jede Schicht verändert.“

Ich muss gestehen, ich könnte das nie. Ich sehe aber mit Bewunderung, wie dieses Ausharren, dieses beharrliche Voranschreiten eine Verdichtung erzeugt, die Teil des künstlerischen Werkes ist, das Machen darum in diesem Fall Teil der künstlerischen Qualität.

Und noch etwas: Je präziser man schaut, desto vielfältiger wird jedes einzelne Blatt. Doch das war schon bei den grossen gestreiften Leinwänden so: Die Ränder sind wichtig, da zeigen sich die Untergründe, da sieht und spürt man, dass Vergangenes zwar überdeckt, aber nie ausgelöscht wird, da realisiert man die Parallele zum Leben, dass wir selbst auch in Schichten leben, auftürmen, aber trotzdem immer das Ganze sind, im Hellen wie im Dunkeln. Und dass dies Reichtum und Individualität bedeutet.

Dieses Nahe hinschauen offenbart auch wie viele kleine Abweichungen es gibt – etwas, das aus einer gewissen Distanz betrachtet, in keiner Weise relevant erscheint. Und es wird ganz klar: Das ist keine Konkrete Kunst!!!! Es ist zwar ohne Zweifel so, dass die Zürcher Tradition der konkreten Kunst Susan Hodel einen Background bietet, aber viel wichtiger ist einerseits die Affinität der Künstlerin zum  Textilen und andererseits zum Muster, das aus einzelnen Elementen eine ausgreifende Struktur schafft. Von da her kommt zum Beispiel die Schuppenhaut der Schlange, die in ihrem Werk immer wieder auftaucht – auch in dieser Ausstellung.

Das bringt mich auf einen weiteren Aspekt:

So wie in den Aquarellen jede Linie – gerade durch die kleinen Abweichungen – in Beziehung zu ihrer Umgebung steht, wie der Begriff des Netzes auch relationale Momente beinhaltet, so steht es auch mit dem Gesamtwerk der Künstlerin.

Dass wir hier in dieser Ausstellung ein Aludosen-Geflecht haben, das vor fast 20 Jahren – somit ganz zu Beginn der freien künstlerischen Tätigkeit von Susan Hodel – und keinerlei Probleme haben, dieses in den Kontext der neuesten Arbeiten zu stellen, bedeutet nicht, dass sich das Werk der Künstlerin quasi im Kreis dreht, sondern vielmehr dass sie immer wieder – und meist unbewusst – Beziehungen schafft zwischen den einzelnen Schaffensphasen. Da kann bei einer Durchsicht des Lagers Jahre nach dem initialen Gebrauch plötzlich ein Abfallprodukt einer früheren Arbeit zum Vorschein kommen und sich quasi durch die Hintertüre wieder in den Diskurs einschalten. Im Sinne einer versteckten und nun am Rande wieder sichtbar gewordenen Schicht.

Dies ist hier der Fall bei den beiden Werken, die ein textiles, mit Caput mortuum grundiertes Rasterwerk mit Lineaturen aus Schlangenhaut-Imitationen (siehe Bild links) kombinieren und auf diese Art Regel und Abweichung, auch von Menschenhand auf die Multiplikation von Quadraten reduzierte Ordnung einerseits und reiche, in Jahrtausenden gewachsene Musterung andererseits miteinander kombinieren.

 

Noch ein letzter Punkt ist mir wichtig:

Kein Werk steht für sich, immer gibt es Bezüge. Von den Konkreten haben wir bereits gesprochen respektive Susan Hodels Werk davon abgegrenzt. Da gibt es als mögliche Referenz auch die Minimal Art, da gibt es die Lineaturen einer Agnes Martin, doch das reduzierende, quasi auf sich selbst zurücknehmende Moment, das der Minimal Art eigen ist,  gibt es nicht bei Susan Hodel; da ist eher versteckter Reichtum angesagt. Man könnte auch eine Typologie der Gitterwerke in der Kunst anlegen – spontan kommen mir die Vertikal-Horizontal-Zeichnungen von Günther Förg in den Sinn, die Landschaft auf oben und unten linkes und rechts komprimieren, – bei Recherchen fände man da sehr vieles, das letztlich im Detail aber immer wieder anderes meint. Am nächsten kommen wir vielleicht, wenn wir uns die Wandlungen in der Kunst der 60er- und 70er-Jahre in Erinnerung rufen, die Zeit, in der erstmals nichtklassische Materialien die Kunst erobert haben, sich mit der 1968er-Entwicklung auch ganz persönliche, empfindungsmässige, körperliche Momente als Spuren  in die Kunst einmischen, seien diese gegenständlich oder abstrakt. In unserem Kontext seien zum Beispiel die mäanderenden Netzwerke von Brice Marden erwähnt, die ihren Niede

rschlag auch im Schlaufen formenden Stahlband (siehe Bild rechts) in dieser Ausstellung finden.

Leider ist der Einfluss der Textilkunst auf diese Entwicklung bis heute nicht eigentlich untersucht – da gibt es in der Kunstgeschichte immer noch die alte Abwehr gegen das Kunsthandwerk, auch wenn sich junge Kunstschaffende heute einen Deut darum scheren, ob man nun sticken, Fäden ziehen oder was auch immer dürfe oder nicht. Im Werk von Susan Hodel wäre der Einfluss der klassischen Textilkunst ein wesentliches Reservoir, um ihre Kunst in einem grösseren Kontext zu verorten. Die zwei Beispiele von Kunst mit textilen Materialien in dieser Ausstellung lassen es erahnen. Und ich darf ihnen verraten, dass im Atelier weitere Arbeiten ausgehend von diesen zwei Beispielen im Entstehen sind.

Formale Verortung ist eines, philosophische ein anderes. Und da nennt Susan Hodel unter anderem ihre Liebe zum französischen Philosophen Roland Barthes, in dessen Schriften  aus dem 1960er-Jahren, das heisst nach einer längeren Reise nach Japan,  man den schönen Begriff der „sinnlichen Lektüre“ findet, als Gegenstück zum Sinn gebenden Zeichen unserer westlichen Denkweise. Das finde ich sehr stimmig für diese Ausstellung und in diesem Sinn wünsche ich Ihnen eine „sinnliche Lektüre“ der Werke von Susan Hodel und danke fürs Zuhören.