Zum Tod von Silvia Steiner 2012

Die Kunst war ihre Leidenschaft

www.annelisezwez.ch       Erschienen in Bieler Tagblatt vom 7. Mai 2012

Am 22. April ist Silvia Steiner, Biels bedeutendste Galeristin aller Zeiten, gestorben. „Ich brauche Zeit“, sagte Jörg Steiner. Darum erscheint dieser Text erst heute.

Die Ausstellung der Leben versprühenden Malerei Barbara Ellmerers war die letzte in der Galerie an der Seevorstadt 57. Welche Symbolik! Als hätte Silvia Steiner sie sich zu ihrem Abschied gewünscht. Leben, das kraftvoller ist als irdisches Dasein. Am Sonntag, 22. April, ist Silvia Steiner gestorben, zuhause, im Kreis ihrer Familie, so wie sie sich das angesichts der Unausweichlichkeit des Todes wünschte.

„So lange ich mich noch begeistern kann, mache ich weiter“, sagte sie noch vor wenigen Monaten; und plante. Als nächstes wäre der Maler Franz Wanner mit seinen Bildern nach Biel gekommen; sie hätten geprüft, gefochten und die beste Lösung gesucht für die Präsentation; die Durchblicke, das Licht, die Dialoge der Farben, der Themen, der Bilder beachtet. Und allen die Ausstellung Besuchenden hätte Silvia Steiner mit ihrem ansteckenden Engagement davon erzählt. Nur bei längerfristigen Plänen pflegte sie, halb lachend, halb mehr wissend, zu sagen: „Falls ich dann noch da bin“. Und einen Moment lang spürte man die Dimension ihrer Worte und schwieg. Seit Jahren kämpfte sie mit Unterstützung von Ärzten gegen das Wachstum eines Tumors.

„Silvia Steiner war für Biels Kunst was Vital Epelbaum fürs Kino“, sagt die Bieler Malerin Ise Schwartz. Auch er ist kürzlich gestorben. „Ich habe“, so Schwartz,  „in meinem Leben nie eine Galeristin gehabt wie sie – so korrekt, so anteilnehmend, so nachhaltig darum bemüht, dass eine Ausstellung möglichst zu einer „Win-Win-Veranstaltung“ wird. Andere „Steiner“-Künstler wie Flavio Paolucci, Christina Niederberger, M.S. Bastian/Isabel L.  und viele mehr würden das mit Sicherheit auch so sagen. Silvia Steiner war nicht Kuratorin, sie war Galeristin und bekanntlich leben Kunstschaffende davon, dass ihre Kunst vermittelt wird, ihre Kunst in private und öffentliche Sammlungen gelangt. Das war nie ein einfacher Job – in der Arbeiterstadt Biel schon gar nicht. In den 45 Jahren (!), da die Galerie existierte, hat sich Silvia Steiner schweizweit Respekt verschafft, aber in Scharen sind die Sammler nie nach Biel gekommen. Es ist keine erfundene Anekdote, dass sie wenn nötig mit Bildern unter dem Arm zu einer Kommissions-Sitzung nach Bern oder wo auch immer fuhr, wenn die Zuständigen den Weg nach Biel nicht fanden.

Viele in Biel kannten Silvia Steiner; sie war – oft mit einem eleganten Berret schräg auf dem Kopf unterwegs ­­– eine Frau mit Ausstrahlung. Sie war nie die Frau des Schriftstellers Jörg Steiner – das war sie zwar auch und mit welcher Fürsorge!  Sie war auch die Mutter ihrer beiden Töchter Rachel und Sarah. Aber sie war gleichzeitig Silvia Steiner; eine der wenigen Frauen, denen es schon in den späten 1960er-Jahren gelang, Beruf und Familie gewinnbringend zu verbinden.

Vielleicht spiegelt sich darin Silvia Steiners Herkunft und ihr erster Beruf. Silvia Schluep wurde am 7. Februar 1933 im Pasquart-Spital in Biel geboren. Zuhause war sie im Restaurant Schwanen in der Nähe des Güterbahnhofs. Dass Menschen kamen, bewirtet wurden, diskutierten und wieder gingen, gehörte zum Alltag. Und dann wurde sie Lehrerin; Vermittlerin.  Und überdies Textilkünstlerin. Als solche beteiligte sie sich an Ausstellungen und drei Mal erhielt sie dafür das Eidgenössische Stipendium für angewandte Kunst.

Zu den aktiven Jungen in Biel gehörte in den 50er-Jahren auch Jörg Steiner. So kannten sich die beiden und es wurde eine 60 Jahre dauernde Liebesgeschichte daraus. 1953 heirateten sie, 1958 und 1961 kamen die Kinder zur Welt. Was sie verband, war das Interesse am gesellschaftlichen, am kulturellen Leben in Biel. Die Plastikausstellungen brachten Kontakte zu Künstlern aus der ganzen Schweiz.

Wohnsitz war die Seevorstadt 57. Als daselbst Mitte der 1960er-Jahre die Parterre-Wohnung frei wurde, wagten die Steiners einen schicksalshaften Schritt. Jörg Steiner gründete darin eine Galerie für afrikanische Kunst, im Austausch mit dem Afrika-Reisenden René David. 1967 dann der Wechsel. Nach dem Ende der von Harald Szeemann geleiteten Städtischen Galerie galt es, die zeitgenössische Kunst mit nationaler Ausstrahlung in der Stadt zu halten. Silvia Steiner eröffnet die Galerie 57 mit einer Ausstellung von Alfred Hofkunst, einem der damals führenden Pop Art-Künstler der Schweiz. Es ging Schlag auf Schlag: Theo Gerber, H.P.Kohler, Lilly Keller, Sämi Buri, Alex Sadkowsky, Michel Engel, Claude Sandoz, Egbert Moeshnang, Friedrich Kuhn, Marco Richterich, Jean Baier, Hans Schweizer usw.

Silvia Steiner war glücklicherweise von Anfang an eine gute Dokumentalistin und so liess sich in den dick gefüllten Ordnern im Büro der Galerie immer wieder zurückblenden, gemeinsam in Erinnerungen an Ausstellungen von Meret Oppenheim, Rosina Kuhn, Gian Pedretti, Rolf Iseli, Mariann Grunder, Peter Stein, Jörg Müller/Jörg Steiner, Uwe Wittwer, Alois Lichtsteiner, Marc Antoine Fehr und vielen mehr schwelgen. Zu allen wusste Silvia Steiner eine Geschichte zu erzählen. Meist heitere, selten auch bittere. Viele  ihrer Künstler wurden international bekannt und liessen die Galerie Silvia Steiner hinter sich, waren vielleicht auch durch neue Verträge gebunden. Doch als die Galerie zum 40-Jahr-Jubiläum in den Palazzo in Liestal eingeladen war, kamen sie alle mit ihren Werken – denn sie gingen selten im Zorn und ihre Wertschätzung für Silvia Steiner war ungebrochen. Rückblickend wurde klar: Die Galerie war eine der ersten ihrer Art in der Schweiz und keine andere gab es so lange unverändert wie jene von Silvia Steiner. Ihre Begeisterung hielt ein Leben lang. Entsprechend gross ist die Trauer über das abrupte Ende einer für Biel bedeutenden Kunst-Geschichte. Uns bleibt die wehmütige Dankbarkeit für das, was die Trägerin der kulturellen Ehrung der Stadt Biel (1987) für die Region, für die Schweiz geleistet hat.

Bildlegende:

Silvia Steiner anlässlich der Vernissage von Christina Niederberger (Bild im Hintergrund) im Mai 2010. Foto: Ingrid Wyss