Kunst findet Stadt Solothurn November 2012

Eine Initiative von Roland Wittwer

Ein auf die Region (und darüber hinaus) fokussierter Kunst-Markt.  


Vernissage-Worte der Bieler Kunstkritikerin Annelise Zwez vom 8. November 2012

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Es gibt ganz verschiedene Aspekte, warum ich „Kunst findet Stadt“ eine gute Sache finde:

Zuallererst liebe ich die Provokation, die sich aus der zeitlichen und geographischen Nähe zum „Kunst-Supermarkt“ ergibt. Denn sie heischt Vergleiche. Mir kommt dazu die Lebensmittel-Kette Aldi auf der einen Seite, der Bio-Laden mit Regioprodukten auf der anderen Seite in den Sinn.

In den Sinn. Ja, die Sinn-Frage ist eine wichtige. Ich formuliere sie mal so: Hätte Vincent van Gogh, der bekanntlich zu Lebzeiten kein einziges Bild verkaufte, Freude daran, dass 130 Jahre nach ihm eine begabte Gestalterin von irgendwo her Landschaften in seinem posthum hochgejubelten Stil (oder ähnlich) malt, aquarelliert, zeichnet und für den Supermarktpreis von 399 Franken einem Amateur verkauft, der das Bild bei sich zu Haus aufhängt; stolz  einen Hauch von Malerei des 19.Jahrhunderts bei sich zu haben? Mehr als ein bitteres Lächeln hätte er dafür wohl nicht.

Was andererseits passiert, wenn eine Kunstliebhaberin ein kleines Aquarell von Roman Candio – in Solothurn fast ein Synonym für Malerei – ersteht, von da an bei sich zuhause weiss und dann den Künstler ein paar Wochen später in der Stadt sieht? Worte fallen keine, aber das „wissen, dass…“ erzeugt  eine kleine, geheime Verbundenheit, die mit Sicherheit Freude auslöst. Dasselbe gilt in  ähnlicher Form auch für weiträumigere, eventuell auch mediale Wiederbegegnungen aufgrund von Ausstellungen, Berichterstattungen in den Medien und mehr.

Ich glaube dieses emotionale Moment möglicher Verbundenheit mit Kunst und KünstlerIn ist einer der prinzipiellen Unterschiede zwischen den beiden Markt-Veranstaltungen. Denn Märkte, das heisst Orte, wo Kunst – Kunst, die sich flach verpacken und in Kisten präsentieren lässt –  verkauft wird, das sind beide.

 

Es gibt Grundlegenderes als Vergleiche, die „Kunst findet Stadt“ wichtig macht. Das, was Künstler hier und heute schaffen, hat seit Van Gogh eine enorme Erweiterung erfahren; sowohl was die Zahl der Schaffenden wie die Formen von Produktion betrifft. In alternativen Kunstlokalen, in Kunsthallen, Museen für Gegenwartskunst, oft auch Galerien werden ortsspezifische Installationen, Videos, konzeptuelle Reihungen gezeigt, Performances veranstaltet und dokumentiert, gesellschaftsbezogene Initiativen lanciert usw. Das entspricht einer heutigen Auffassung von Kunst, ist spannend und anregend, aber es ist keine Kunst, die sich in Folie packen und in Kisten anbieten lässt. Zuhause hat indes nur „flache“ Kunst Platz….und das Budget setzt Grenzen…. ein Dilemma mit schwerwiegenden Folgen. Kunst ist kaum mehr verkäuflich, obwohl auch die Kunstschaffenden das Brot beim Bäcker bezahlen müssen und sie unter der Unvereinbarkeit von Kunst und Verkauf leiden. Umsomehr als in der bildenden Kunst – anders als in den Sparten Theater und Musik – keine Gagen, meist nicht einmal die Materialkosten, bezahlt werden.

Die Situation hat auf der Ebene der Galerien  schon längst gewirkt – es gibt sie, hier in Solothurn zum Beispiel, kaum mehr, auch nicht in Olten, in  Aarau, in Grenchen, in Biel….

 

Man hört oder liest es in den Medien: An Messen werden Rekord-Umsätze, an Auktionen Höchstpreise erzielt. Die Auktionen kümmern uns hier nicht, sie betreffen meist Van Gogh & Co. Bei den Messen hingegen wird vielfach Heutiges angeboten und zwar in verkaufbarer Form. Es gibt da eine Diskrepanz zwischen „Ausstellung“ – wie oben beschrieben – und dem Messeangebot. Die von finanzkräftigen Galerien getragenen Messen suchen die Quadratur des Kreises und heben neben VertreterInnen der neuen Medien sehr oft Maler- und Malerinnen auf den Schild. Von Kunstschaffenden aus aller Welt. Für Sammler, die sich international auskennen. Es gibt Hierarchien. In der Schweiz von der „Art“ in Basel über die „Kunst Zürich“ bis…. ja, bis wo? Jedenfalls nicht bis in die Regionen. Die regionalen Kunstszenen gehen – mit wenigen Ausnahmen – leer aus.

Also sind sie nicht wichtig. Falsch – die lokalen Kunstszenen sind das Salz einer jeden lebendigen Kulturstadt.

Und  darum ist „Kunst findet Stadt“ wichtig, darum gebührt Roland Wittwer, dem engagierten Verfechter einer lebendigen Kulturstadt Solothurn ein grosses Dankeschön.

Ich behaupte nicht, dass das Angebot der ersten Ausgabe von „Kunst findet Stadt“ die Kunstszene Solothurn bereits gültig spiegelt. Aber sie ist ein Anfang. Sie fokussiert richtigerweise auch nicht nur Solothurn – das würde eine Verengung signalisieren, die der Kurator nicht hat und schon gar nicht will. Sie haben richtig gehört „Kurator“ – der Begriff ist vielleicht etwas gewagt, aber grundsätzlich richtig, denn Roland Wittwer – man glaubt es kaum – war in den Ateliers praktischer aller rund 30 Künstlerinnen und Künstler, die hier versammelt sind, hat persönlich ausgewählt, was ihm sinnvoll schien für den Anlass.  Sein Background als Grafiker, als Herausgeber der Zeitschrift „Mensch Solothurn“ (www.menschsolothurn.ch) und als Künstler gab ihm dabei Sicherheit. Doch er war natürlich auch im Clinch: Qualitätvoll sollte es sein, aber natürlich auch in Bezug auf Format und insbesondere Preis in die anvisierten Parameter passen. Denn da hinten im Nacken sass ja immer ein wenig der „Kunst-Supermarkt“ von nebenan.

 

Wittwer ist nicht ein Unternehmer wie Herr Meier vom „kunst-supermarkt“ nebenan – ich mag das. So hat denn nciht der Veranstalter die Preise bestimmt, sondern die Kunstschaffenden, die sich dabei ja auch selbst treu bleiben müssen. Dass ein Peter Dietschy – ein bekannter Luzerner Maler mit Jahrgang 1935 – mehr kostet als eine Arbeit auf Papier der Solothurnerin Dimitra Charamanda mit Jahrgang 1988, die eben ihr Studium in Basel abgeschlossen hat, versteht sich von selbst. Ich habe indes von mehreren Kunstschaffenden gehört, dass sie den Besuch von Roland Wittwer in ihren Ateliers sehr geschätzt haben, was sich deckt mit der Aussage des Kurators, der sagt, die Atelierbesuche seien für ihn das Schönste am ganzen Unternehmen.

Etwas erstaunt bin ich über die weitgehende Limitierung auf Zeichnung, Aquarell, bearbeitete Grafik und Malerei. Die Fotografie ist doch auch „flach“ und auch in anderen „flachen“ Techniken gäbe es Raffiniertes. Aber man kann bekanntlich nicht alles auf einmal.

 

Viele der vertretenen Künstlerinnen und Künstler sind Wittwer schon lange bekannt – Kunststück – wer kennt sich nicht in der Szene – aber andere hat er, vorab im Internet, gefunden. Er wollte ja eine ausgewogenes Angebot. Gleich viel Künstlerinnen wie Künstler, ebenso Kunstschaffende, die auf ein Lebenswerk zurückblicken können und solche, die in der Mitte des Lebens oder auch erst am Anfang ihrer Karriere stehen und so ca. 2/3 versus 1/3 mit direktem, indirektem oder gar keinem Bezug zu Solothurn. Erstaunlich wie ihm das gelungen ist; die kleine Broschüre – ein ausgesprochen wertvolles Surplus – beweist es.

Mit Blick auf einen übergeordneten Trend in der Kunstszene Schweiz und International nicht ganz verwunderlich ist, dass zuweilen „jugendlich“ wirkt, was generationenmässig eher eine ältere Generation  vermuten lässt, und scheinbar „retro“-mässige Arbeiten, die von 1980er-Jahrgängen stammen. Das nur nebenbei.

 

Es liegt mir noch etwas anderes am Herzen:

Die Verkäufe von Kunst auf regionaler Ebene sind in den letzten Jahren massiv zurückgegangen. Zum Teil habe ich Gründe bereits genannt. Dass es aber überhaupt so weit kommen konnte, hat noch andere Ebenen. Eine davon gründet in der grossen Zahl aktiver Kunstschaffender aufgrund reicher Ausbildungsmöglich-keiten respektive einem ganz offensichtlich grossen Bedürfnis Vieler kreativ tätig zu sein. Lange nicht alle haben freilich die Kraft und die Ausdauer, ein Lebenswerk zu schaffen. Das bewirkt bei möglichen Kunstsammlern eine grosse Verunsicherung.  Darum ensteht durch das grosse Angebot nicht ein Mehr an Investitionen in Kunst, sondern ein Weniger!

 

Dann ist aber auch das Moment zu bedenken, dass in den letzten Jahren ein enormer Trend zur Auflösung stattgefunden hat. Was wir konsumieren hat mehr mit Virtualität denn mit Materialität zu tun. Materie wird als Belastung empfunden. Die Bilder, die wir uns anschauen, sind auf dem Bildschirm. Mobil transportierbar und gratis obendrein. Das alles spricht gegen den Kauf von materieller Kunst, die Platzansprüche stellt und bei jedem Umzug besondere Sorgfalt heischt. So kommt es, dass Kunst-Events zwar unter Umständen gut besucht sind, aber den Kunstschaffenden keine Basis zum Leben bieten. Werkbeiträge, Preise, Auszeichnungen – schön und gut, aber das reicht nicht.

 

Auch hier nimmt „Kunst findet Stadt“ einen wichtigen Platz ein, indem es mit seiner Markt-Struktur den Verkaufs-Charakter nicht leugnet, im Gegenteil, aber mit der niederschwelligen Ebene des Auswählens eine zeitadäquate Form bietet. Denn eine lebendige Kunstszene kann letztlich nur dann existieren, wenn sie Kopf und Körper, das heisst Geist und Materie,  Wert und Gegenwert in sich vereint. Wobei auch den Kunstschaffenden der neuen und alternativen Medien und Ausdrucksformen gesagt sei, dass keinem ein Stein aus der Krone fällt, wenn er oder sie auch an diesen ökonomischen Aspekt denkt und Formen in ihr Gesamtschaffen integrieren, die verkäuflich sind.

 

Es gäbe noch viele Dinge anzumerken: Den Einbezug von Werken aus Solothurner Nachlässen (ein Kapitel für sich), die Zeinen der Kreativ-Werkstatt und mehr.

 

Ich danke fürs Zuhören.

 

Annelise Zwez, Fraubrunnenhaus, 2513 Twann,  www.annelisezwez.ch