Brigitta Malche – Katalog zur Ausstellung im Stifterhaus in Linz (Oberösterreichischer Kunstverein) 1994
Auf der Suche nach der Essenz von Fülle und Leere
Gedanken zum neueren Schaffen von Brigitta Malche
Annelise Zwez
Brigitta Malches neueres Schaffen ist ohne die Revolution, welche der Wechsel von Europa nach China und wieder zurück in ihr auslöste, undenkbar. Ihre neuen Arbeiten reihen sich in die grosse Tradition jener, die in ihren künstlerischen Ausdrucksformen West und Ost zu verbinden suchen.
Die konstruktiven Elemente, welche Brigitta Malches Bilder der 70erJahre prägten, sind von energetischen Impulsen durchdrungen, die das Festgefügte aufbrechen und zum Wandel hinführen. Die polare Struktur des chinesischen Yin/Yang ist darin nicht nur rhythmische Kraft der Natur, sondern auch Pendelschlag zwischen yang-betontem Westen und yin-orientiertem Osten. Mit der alles durchwirkenden Erkenntnis, dass das eine auch das andere ist, beginnen sich die Gegensätze indes aufzulösen und Neues anzukündigen. Auflösung ist zur Zeit eine der umfassendsten Charakteristiken der Welt-Befindlichkeit. Sie äusserst sich ebenso zerstörerisch wie bildend. Brigitta Malche sucht in ihrem Kunstschaffen die gegenläufigen Kräfte zu überwinden. Das Ziel der Ganzheit ist dabei ebenso formuliert wie ihre Unerreichbarkeit.
Das vorliegende Werk entwickelt sich auf zwei Ebenen, die sich gegenseitig beeinflussen. Die Kohle-Zeichnungen und Mischtechnik-Bilder entstehen aus dem Wunsch heraus, das philosophisch Erkannte, Erfühlte und zur persönlichen Weltsicht Gewachsene in sichtbare und damit auch fassbare Form zu bringen. Die Zeichnungen haben dabei in einem östlichen Sinn Uebungscharakter, während sich die Bilder grösseren Dimensionen zu nähern suchen. Die Kraft, welche die Künstlerin aus der Arbeit an den Zeichnungen und Bildern für sich selbst gewinnt, überträgt sie seit 1990 in grosse Raum-Installationen, die nicht nur auf Visualität basieren, sondern durch Zusammenführen von Farbe, Form und Klang Räume bilden, die im Erleben auf den ganzen Körper ausgerichtet sind. Die Thematik ist hier wie dort im Kern dieselbe: Verstehen lernen und sicht-bar machen, dass die Welt nicht nur ein materieller, sondern auch ein immaterieller Organismus ist und dass der eine stets im anderen enthalten ist.
Es ist auffallend, dass Brigitta Malche im Bereich des Bildes und der Zeichnung mit einer äusserst reduzierten Farbpalette arbeitet, sich meist auf hell und dunkel im Zusammenklang mit dem verwendeten Malgrund beschränkt. Die Farb-Klang-Räume jedoch sind stets üppig ausgestattet – rot, gelb, blau, klingend, bewegt und raumfüllend. Die Künstlerin erlebt die Lust auf Raum-Inszenierung mit farbig fliessendem Licht und integrierter Tonfolge einerseits und zurückhaltender Arbeit im vorgegebenen Bildformat andererseits als polare Bedürfnisse, die sich rhythmisch abwechseln. In einem gewissen Mass spiegelt sich im Wechsel der äussere Rhythmus der Künstlerin zwischen den beiden Ateliers in Wien respektive Zürich. Essentieller ist aber wohl das Interaktive zwischen den auf Kommunikation ausgerichteten Raum-Installationen – die Künstlerin spricht von physischen und psychischen Erlebnisräumen – und den im konzentrierten, nach innen gerichteten Dialog mit dem Eigenen entstehenden Zeichnungen und Bildern. Polarität im Sinne von auf und ab, von hell und dunkel, von laut und leise, von kompakt und durchlässig ist aber auch die zentrale Thematik der einzelnen Arbeiten. Scheinbar einfach zu fassen ist das in den Zeichnungen, in denen oft eine einfache, geometrische Form zu sehen ist, die sich an den Rändern auflöst. Das schnell Erschaute ist indes nur die Oberfläche. Die Künstlerin führt die Kohle im Rhythmus meditativer Musik. So wird der Strich nicht zur bewusst gesetzten Schraffur, sondern zur rhythmischen Strömung, die sich aus dem Kompakten der Grundform löst und eine durchlässige Zone markiert. Die Künstlerin bezeichnet sie als „Parallele Welten“. Damit drückt sie aus, dass das Greifbare, das Festgeformte, das sich auflöst und sich damit unserer Wahrnehmung zu entziehen beginnt, nicht dabei zerstört wird, sondern als parallele Kraft weiter wirkt. Die geometrische Form, die sich in Mass und Zahl formiert, verweist das Geschehen dabei weg vom Gegenständlichen, hin zu Strukturen, die an der Basis des Lebendigen wirken. Noch vor wenigen Jahren hätten die Zeichnungen von Brigitta Malche das im Westen sehr ambivalent besetzte Etikett „mystisch“ erhalten. Wenn die Physik aufgrund ihrer Forschungen im subatomaren Bereich heute indes zum Schluss kommt, es bestehe kein substantieller Unterschied zwischen Materie und Nicht-materie, so ist das keine grundlegend andere Aussage als die, welche in „Parallele Welten“ enthalten ist. Die intensive Auseinandersetzung der Künstlerin mit der fernöstlichen Kultur einerseits, den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften andererseits, spiegeln sich.
Es wäre falsch die Zeichnungen von Brigitta Malche nur als Formkonstrukte zu betrachten ohne die Materialien zu berück-sichtigen. Die Künstlerin zeichnet auf chinesische Seide, die sie zuvor auf Packpapier aufzogen hat. So kann sie nicht nur den Klang der Kohle auf dem textilen Grund hören, sondern auch das Eindringen des Kohlestaubes in die Seide fühlen; beides sind sinnliche Erfahrungen, die ebenso zur Gestalt der Welt gehören wie das intellektuelle Denken.
Was für die Zeichnungen gilt, ist auch in den Leinwandbildern enthalten. Es ist einzig das System, das wesentlich komplexer ist, denn hier sind es nicht geometrische Flächen, die in einen dynamischen Prozess geraten, sondern Räume. Sie sind als Konstruktionen fassbar, sind aber gleichzeitig von einer oszillierenden Schicht überzogen. Manchmal sind es auch keine Räume, sondern nur erweiterte Tor-Situationen. Sie geben indes nicht lapidar einen Blick frei in eine andere Stofflichkeit, sondern sind selbst eingewoben in den dynamischen Prozess der Interaktion. Die im Wesentlichen auf Braun-, Weiss- und Schwarztöne reduzierte Farbpalette ist nicht einfach binär, im Sinn eines Weges vom Dunklen ins Helle, im Gegenteil, das Dunkle ist ebenso im Hellen wie das Helle im Dunklen. Den von der ungrundierten Leinwand aufscheinenden Braun/Gelb-Tönen kommt, ähnlich wie der Seide, die Rolle des sinnlich-materiellen Mal-Grundes zu.
Die Installationen, die Brigitta Malche seit 1990 in mehreren Ländern aufgebaut hat, folgen teilweise anderen Zielsetzungen als die Zeichnungen und Bilder. Doch gibt es auch da parallele Gültigkeiten. Die Künstlerin arbeitet im Raum primär mit Licht und Klang, das heisst mit unsichtbaren Schwingungen, die wir aber als Töne, als Lärm oder als verschiedene Farben wahrnehmen können. Die Motivation, unter Zuzug von Spezialisten mit komplexen Einrichtungen zu arbeiten, entspringt nicht der Faszination der Technik. Die Triebkraft der Künstlerin geht vielmehr dahin, Räume mittels nichtmaterieller Strukturen in komplexe Wahrnehmungsräume zu verwandeln, die auf einer sehr körperlichen Ebene etwas von der Kraft des Nichtkörperlichen vermitteln. Als Brigitta Malche 1993 in Ungarn einen blauen Meditationsraum einrichtete, ging es vor allem darum, Entgrenzungen fühlbar zu machen. In der Installation „Polarität“ hingegen geht es – ähnlich wie 1990 in den „Vier Elementen“ (Zürich/Wien) – um das Erfahrbarmachen von polaren Strukturen, die sich rythmisch wandeln und gleichzeitig steigern. Treffend notiert die Künstlerin dazu die Erkenntnis des Griechen Heraklit, der in seinem Denken dem chinesischen Taoismus eng verwandt ist: „Es liegt Harmonie im Widerstreit, das zeigen Bogen und Leier.“ Bezogen auf die Linzer Installation heisst das: Die Stille ist dem Klang, der Farbkraft und -bewegung nicht einfach entgegengesetzt, im Gegenteil, sie bildet den Spannungs-bogen, der Differenzierung möglich macht und darin auch die Kraft für neue Gestaltung. Analog ist der Drei-Klang der Farben – der Grundfarben, in denen alle anderen enthalten sind – eingesetzt. Der Raum-Architektur und die Farb-Formen schliess-lich definieren, analog der Geometrie in den Zeichnungen, das Prinzip von Mass und Zahl, das als strukturierende Gesetz-mässigkeit letzlich alles Sein durchwirkt.
Die Epoche der Aufklärung brachte Europa viele neue Erkenntnisse im Bereich der Materie und schliesslich auch materiellen Wohlstand. Der Preis dafür war der Verlust der Ganzheit, die Trennung von Ich und Welt, die Spaltung von geistigen, religiösen und wissenschaftlichen Disziplinen. Asien dagegen bewahrte sich allen Umbrüchen zum Trotz die Verwurzelung in den alten geistigen Traditionen, die im Kern ihrer Strukturen von der Transzendenz und der Wandlungskraft aller Energie ausgehen. Kein Wunder, dass bei uns immer wieder Strömungen aufkamen, die den Ausgleich suchten. Einen wesentlichen Akzent setzte gegen Ende des 19. Jahrhundert Helena Blavatsyks Theosophie, die den esoterischen Kern der östlichen Religionen ins Zentrum ihrer Lehre stellte. Das 1985 in Amerika erschienene Buch „The spiritual in art, 1890 – 1980“ vermag in einer grossartigen Aufarbeitung der Moderne aufzuzeigen, dass der Weg zur Abstraktion in der Kunst eng mit der asiatisch geprägten Lehre der Theosophie zusammenhängt. Rudolf Steiners 1913 formulierte Antroposophie ist nicht nur von Goethes, sondern an der Basis auch stark von Helena Blavatskys Denken geprägt. Sie verkörpert jedoch als essentielle Erneuerung die Wiederintegration der östlichen Erkenntnisse ins Christentum. Das heisst, bei diesen Strömungen ging und geht es nicht einfach darum, das eine durch das andere zu ersetzen, sondern Verlorenes zurückzugewinnen. Ein zweiter, starker Impuls kommt in den 60er und frühen 70er Jahren auf, als Heerscharen von amerikanischen und europäischen Jugendlichen nach Indien pilgern, um eine neue Sicht der Welt und des Lebens zu finden. Auch diesmal ist der Einfluss auf die zeitgenössische Kunst, sei sie bildgestaltend oder klangorien-tiert, enorm, man denke nur an John Cage, Joseph Beuys und – quasi in umgekehrter Richtung – an Nam June Paik. Zu dieser Erneuerung gehört auch – als wichtige Publikation – Fritjof Capras „Tao der Physik“, das 1975 erstmals erscheint. Der amerikanische Physiker vermag darin aufzuzeigen, dass die aktuelle Atomphysik und die Basiserkenntnisse der fernöstlichen Religionen, insbesondere des Taoismus, wesentliche Analogien enthalten. Mit „Wendezeit“ wird Capras Denken fast zu einer neuen Religion. Doch gerade das verhindert eine breitgefächerte Akzeptanz in unserer nach wie vor cartesianisch geprägten Gesellschaft. Erst die naturwissenschaftlichen Veröffentlichun-gen rund um die „Chaostheorie“ vermögen viele starre Vor-stellungen explosionsartig zu durchbrechen und auch rückkoppelnd mit Capras „Tao der Physik“ zu verbinden. Die Schritte gehen noch weiter: In seinem 1973 erschienenen Buch „Verborgener Schlüssel zum Leben“ vergleicht der österreichische Mediziner Martin Schönenberger die 64 Hexagramme des I Ging mit den 64 Codes des langkettigen DNS-Moleküls und findet dabei erstaunliche Parallelen.