Neuenburger Künstlerinnen 1908-2008 Kunstmuseum Neuenburg 2008

Hochburg weiblicher Kunst

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 6. Nov. 2008

1908 gründeten die  Neuenburger Künstlerinnen eine eigene Sektion der „Gesellschaft Schweizer Malerinnen und Bildhauerinnen“ (GSMB). Der aktuelle Rückblick überrascht, vor allem historisch.

In Neuenburg ticken die Uhren zuweilen anders. Die zeitgenössische Kunst hat es daselbst bis heute schwer. Das Programm des „Musée d’art et d’histoire“ – nicht zufällig in einem markanten 19.Jahrhundert-Bau zu Hause –  hat entsprechend den Ruf, etwas „verstaubt“ zu sein. Manchmal fördert die Retro-Haltung aber auch Überraschungen zu tage. Der Rückblick auf die Geschichte der Künstlerinnen im Kanton Neuenburg zeigt die Region nämlich als Hochburg weiblicher Kunst bis zurück ins frühe 19. Jahrhundert.


Geschickt bettet das Konzept der Ausstellung die Rückschau auf eine der ersten Sektionen der 1977 aufgelösten Neuenburger GSMB in eine Vereinsdenken übergeordnete Präsentation weiblichen Kunstschaffens der Region Le Locle –  La Chaux-de-Fonds – Neuenburg und präsentiert mit aufwändig restaurierten Werken  von Jeanne Lombard (1865-1945) als Ausstellung in der Ausstellung einen wichtigen Beitrag zur Ergänzung der  Schweizer Kunstgeschichte um das Kapitel „Frauen“.

Das Erstaunlichste an der Gesamtschau ist aber nicht die Wiederentdeckung der Porträtistin und Historien-Malerin Jeanne Lombard, sondern die ausserordentliche Zahl hier bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert tätigen Künstlerinnen und dies auf zum Teil hohem Niveau.  Grund dafür ist zweifellos die Prosperität Neuenburgs zu dieser Zeit, aber auch das Vorhandensein einer „Société des amis des arts“ (ab 1842), die zu ihren Biennalen auch Künstlerinnen zulässt  (was andernorts oft nicht der Fall war).

So waren 1893 bereits gegen 30% der Ausstellenden Frauen. Aller-dings: Bis 1907 kauft das Museum kein einziges Werk an, über das Etikett „Amateur“ kommen die Künstlerinnen also dennoch nicht hinaus. Aber es wundert so nicht, dass die erste kantonale Sektion der 1902 in Lausanne gegründeten GSMB in Neuenburg entsteht und hier über Jahrzehnte blüht. Zur Erinnerung: Die von Ferdinand Hodler 1865 gegründete Künstlergesellschaft nahm bis 1973 keine Frauen auf.

Was zählt sind letztlich aber nicht Zahlen und Vereine, sondern die Qualität der Kunst. Jeanne Lombard, Mitbegründerin der GSMB Neuenburg, hatte ab 1880 Mal-Unterricht  und weilte 1896 in dem für Frauen zugänglichen Teil der Akademie Julian in Paris. Obwohl in der aktuellen Ausstellung, welche die auch lokal völlig vergessene Malerin ans Licht holt, einige Stillleben und Landschaften zu sehen sind, ist eindeutig: Lombards Ausserordentlichkeit liegt im Porträt, in der Art und Weise wie sie ihre Modelle durch subtile Lichtführung aus dem Bildgrund heraus zu holen und ihnen Strahlkraft zu geben vermag, sei es in der Malerei oder der Zeichnung.

Auch als sich die stark im Neuenburger Protestantismus Verwurzelte ab ca. 1907 der Geschichte der Hugenotten (ihren Vorfahren) annimmt, sind es die in Einzelbildern vorbereiteten Figurenporträts, welche die Grossformate – etwas sehr seltenes bei Künstlerinnen ihrer Generation – zu Bildern macht, die Vergleiche nicht zu scheuen brauchen. Allerdings bleibt Lombard  zeitlebens eine dem 19. Jahrhundert verpflichtete Künstlerin.

Ganz allgemein fällt in der Ausstellung auf, dass die Moderne erst sehr spät Einzug hält. Einzig die seit 1940 in Neuenburg lebende Lili Erzinger (1908-1964) nimmt den Diskurs mit dem Umfeld Jean Arps bereits in den 1930er-Jahren auf. Entsprechend ist die Epoche der Nachkriegszeit die schwächste, während die Werke von Künstlerinnen wie Rose d’Ostervald (1795-1831) oder, etwas später, die miteinander befreundeten Blanche Berthoud (1864-1938) und Berthe Bouvier (1868-1936), die zu Recht auch räumlich hervorgehoben sind, von überregionaler Bedeutung sind.

Sind diese stilistisch klar ihrer Zeit verpflichtet und ihre Wertschätzung eine historische, so überraschen im Gegensatz dazu die „papiers découpés collés sur papier“ der auch als Illustratorin tätigen Alice Perrenoud (1887-1976) aus den 1930er-Jahren durch eine Form- und Farben-Frische, die sie geradezu heutig machen (siehe Bild). Perrenoud war im übrigen von 1933 bis 1949 eine tonangebende Figur der GSMB Neuenburg.

Ein gewichtiger Teil der Ausstellung gilt der Gegenwart, Neuenburger Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts von Marguerite Miéville (1900-1987) über Emilienne Farny (geb. 1938) und Françoise Grossen (geb. 1943) bis  zu Annelore Schneider (geb. 1979), Mitglied von „collectif fact“.

Unter ausstellungsrelevanten Auspizien ist die Schau hier trotz respektabler Qualität eine Weihnachtsausstellung der schlimmsten Sorte – ein Werk, eine Künstlerin. Aber da es um das Aufzeigen von Vielfalt geht, mag man es akzeptieren. Unverständlich bleibt dennoch, warum nicht alle Räume des Museums einbezogen wurden.

Info: Die Ausstellung dauert bis 8. Februar 2009. Am Mittwoch ist der Eintritt frei. Link: www.mahn.ch

GSMB  GSMBK   GSBK  SGBK
Um nicht länger diskriminiert zu werden, gründen welsche Künstlerinnen 1902 die Gesellschaft Schweiz Malerinnen und Bildhauerinnen.
In den kommenden Jahren bilden sich in vielen Kantonen eigene Sektionen.
1928 stossen die Kunstgewerblerinnen dazu. Die Gesellschaft heisst neu GSMBK (heute SGBK).
Es finden zahlreiche Ausstellungen statt.
1973 beschliesst die Künstlergesellschaft GSMBA (heute „visarte“), fortan auch Frauen aufzunehmen. Viele Künstlerinnen wechseln die Gesellschaft oder machen hier und dort mit.
Verhandlungen über eine Fusion scheitern mehrmals. Heute gibt es nur noch drei SGBK-Sektionen: Zürich, Bern und Romandie.                    (azw)