Schweizer Künstlerinnen in Plzen (CS) 1992

Katalogtext

Formen und Farben als Tasten zur Seele

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Formen und Farben seien Tasten zur Seele, sagt die Malerin Rosmarie Thurneysen. Ergänzt man ihre Empfindung mit der Essenz der Materialien, so ist das, was die hier vereinten Künstlerin-nen im Innersten betrifft, schon ein erstes Mal formu­liert.

 

Jede Kunst ist offen oder verdeckt Kunst ihrer Zeit, ihrer Generation. Das ist hier wichtig zu sagen, weil die Eingeladenen  mehrheitlich derselben Altersgruppe angehören. Dreizehn der ins­gesamt zwanzig Malerinnen, Zeichnerinnen und Bildhauerinnen sind zwischen 1934 und 1945 geboren. Einige ältere und einige jüngere repräsentieren den wichtigen Weg zu dieser Altersgruppe und von ihr weg, weiter. Im Zentrum stehen somit Künstlerinnen, für wel­che der in Westeuropa um 1968 einsetzende Aufbruch der Frauen zu eigenem ( Selbst)-Bewusstsein prägend war und ihr Schaffen bis heute bestimmt. Charakteristisch ist darum die starke Präsenz der Ich-Seele in vielen Werken dieser Ausstellung. Befragt werden die Beziehungen zum Leben, zum Körper, zu  Werden, Sein und Vergehen. Hinterfragt werden die Positionen in der Gesellschaft, der Status im Gefüge der Natur, die geistigen Energien, welche die Welt im Innersten zusammenhalten.

„Kunst ist die Chance Unaussprechliches auszudrücken“, sagt Anke Berneis.Sie verweist damit auf die Bedeutung des Intuitiven,

der Kraft innerer Empfindung und gefühlsmässiger Vernetzung mit den Erscheinungen der Welt.“Kunst ist eine Möglichkeit, die Liebe zu den Dingen ausser uns und die tiefen Ereignisse in uns zum Ausdruck zu bringen.“ (Cristina Spoerri)

Die Kunst ist für alle diese Künstlerinnen ein Stück Leben,sie ist Ausdruck ihres Glaubens an die Welt und auch ihrer Angst um die Welt. Ihre Werke sind existentielle Beiträge zum wachsenden Bewusstsein von der Bedeutung der Frauen in der Gesellschaft. Theoretische Diskussionen um das „Ende der Kunst“, wie sie im Westen geführt werden, sind hier nicht angebracht.“Malen“, so Elisabeth Perusset, „ist alles, was man lebt und erlebt“.

Die bildhafte Form, in welcher sich diese individuellen Lebens-gefühle äussern, ist sehr heterogen. Die Künstlerinnen be­dienen sich im Meer der Möglichkeiten ohne Rücksicht auf ( männ­lich geprägte) kunsthistorische Gegebenheiten. Sie haben wenig Interesse an einer Kunstgeschichte, die über weite Strecken ei­ner „Erfindermesse“ gleichkommt. Wichtig ist ihnen die Kon-gruenz, der Gleichklang von Farben, Formen und Materialien mit ihrer eigenen Befindlichkeit. Die Schwingungsfrequenz muss stimmen, nicht die mögliche Position in der Kunstgeschichte. „Darum“, so Beatrix Sitter, „bewegen sich die Künstlerinnen im­mer an den Stilrändern.“ Und das mag mit ein Grund sein,warum die Künstlerinnen weder in der Schweiz noch sonstwo im Westen  die Anerkennung finden, die ihnen eigentlich gebührte. Obwohl heute annähernd soviele Künstlerinnen wie Künstler schöpferisch tätig sind, ist ihr Anteil in grossen Museumsausstellungen nicht höher als 10%.

„Schweizer Künstlerinnen heute“ – Schweizer? In der Schweiz treffen sich verschiedene Kulturen. Diese Ausstellung ist ein Beispiel dafür: Da begegnen sich französisch- , italienisch- und deutschsprachige Künstlerinnen, die von verschiedenen Kulturräumen geprägt sind. Doch nicht nur die Herkunft, auch der Lebensweg und seine Stationen tragen zur Vielfalt bei.

Da ist die Tessinerin Annarella Rotter-Schiavetti, die im deutschsprachigen Zürich lebt, da ist die ehemals deutsche Ingeborg Lüscher, die im italienischsprachigen Tessin wohnt, da ist die welsche Irène von Moos, die auch im deutschsprachigen Zürich immer noch lieber französisch spricht, da sind anderer­seits die in Wien,in Luditz ( CSFR),in Indonesien geborenen Zürcherinnen Heidi Langauer, Astrid Keller und Sonja Amsler; da sind die Bernerinnen Ruth Burri und Gabriele Reusser, die künstlerische Impulse aus Brasilien resp.Afrika nach Hause brachten usw. Das Schweizerische gibt es nicht.

Den verschiedenen Temperamenten stehen indes partiell gemeinsame künstlerische Themen gegenüber.Eines ist quasi implizit: „Frau“. Nur in drei Werkgruppen tritt jedoch die Frau als Figuration direkt in Erscheinung: Bei Annette Barcelo, bei Ruth Burri und bei Astrid Keller. Bei den Bildern der Malerin Annette Barcelo steht die innere Befindlichkeit der Frau als geschlechtliches Wesen im Vordergrund. Haltung und Blick der nackten Frauen in ihren engen Lebensräumen sind ge­prägt von Angst und Einsamkeit. Einzig aus der Phantasie gebo­rene Tiere mit freundlichem Ausdruck und seltsam hässlicher Gestalt bieten Nähe an. –

Ganz andere Frauen stehen im Zentrum von Astrid Kellers Porträts.Sie sind ein Stück Aufarbeitung weiblicher Geschichte, intensive Bildgespräche der Künstlerin mit ihren „grossen Schwestern“.Je länger die Künstlerin an ihrer Porträt-Reihe arbeitet, umso mehr entwickelt sie sich zu einer Galerie bedeutender Frauengestalten.-

Ruth Burris phantastische Figurationen  verscheu­chen die nächtliche Angst, rücken Spiel und Körperlust vor das intellektuelle Gedankengebäude. Mit archaischer Sinnlichkeit weisen ihre farbig-fröhlichen Holzskulpturen auf weibliche Kraft. – In stärker verschlüsselter Form ist das Weiblich-Sinnliche auch in den Mischtechnik-Blättern von Elisabeth Perusset und Fiorenza Bassetti präsent.

Die mit kräf­tigem Strich und satter Malerei gestalteten, sich stetig wan­delnden, aufbrechenden, umstülpenden Landschaftsmetamorphosen von Elisabeth Perusset sind von erregender, erotischer Qualität.- Noch um ein Grad temperamentvoller sind die alle technischen Register ziehenden Arbeiten von Fiorenza Bassetti. Ihre wilden Blumenblüten sind faszinierende Zentren des Lebens, Zentren der Fruchtbarkeit und der Befruchtung.-

Zum Bereich des Expressiv/Dynamischen gehören auch die  weitgehend ungegenständ­lichen Arbeiten von Karin Bucher,Annarella Rotter-Schiavetti und – etwas lyrischer – Rosmarie Thurneysen. Die oft auf den Farben grau und blau aufgebauten Blätter von Karin Bucher sind von kräftigen Pinselschwüngen bestimmt, wobei die bewegten Gesten als Ausdruck von Kraft in einem abstrakten Sinn erscheinen .-

Anders bei Annarella Rotter-Schiavetti, deren malerisch-experimentelle Aufbrüche eine Synthese früherer Beschäftigung mit feurigen Flammen einer­seits mit kompakten, mehrteiligen Steinformationen anderseits zu beinhalten scheinen.- Rosmarie Thurneysens vibrierende „Tagbilder“ beziehen ihre Kräfte aus dem Naturhaften. Wachstum und Wandlung zeigen sich als pulsierende Entfaltungen von Form,Farbe,Strich und Fläche.

 

All diesen betont thematischen und/oder expressiv-bewegten Ausformungen stehen die stillen, konzentrierten Werke von Ingeborg Lüscher, Gabriele Reusser und Elsbeth Röthlisberger ge­genüber, in denen Energie als kompakte oder durchlässige, drei­dimensionale Form erscheint. Meditativen Gehalt haben die Holz-Gips-Schwefel-Skulpturen von Ingeborg Lüscher. Die von Menschenhand bestimmten, präzisen und doch gleichzeitig auch na­turhaften Volumen strahlen durch die pulvrig-schwefelgelbe Oberflächenschicht ein starkes, energetisches Potential aus.-

Energie, Licht ist auch das Stichwort für Gabriele Reussers offenen, plastischen „Lichttunnel“ und die flachen Gefäss-Malereien. Doch nicht um Ausstrahlung geht es hier, son­dern ums Oeffnen, ums Einlassen von Licht,Luft und Helligkeit in traditionell Dunkles.-

Aehnlich präzis, aber von der äusseren Form her kompakter,durch das metallene Material auch geschlosse­ner,sind die zeichenhaften Plastiken von Elsbeth Röthlisberger. Sie nehmen Kontakt auf zu ihrer städtischen Umwelt und stehen doch für sich als ruhende, wartende, manchmal auch agressive oder bewegungsbetonte Skulpturen.

 

In anderen Arbeiten stehen der Austausch zwischen Mensch und Natur, zwischen Mensch und Umwelt im Vordergrund. Eine eigentliche Hommage an die Natur beinhalten die verletzlichen Papierarbeiten von Beatrix Sitter.

Mit Pigmenten aus Schiefer, Moorerde und Schlamm grundiert, graben sich die Kreidezeichen der Künstlerin quasi in die Natur, ins Gemisch aus Erde und Papier ein. Bei Anke Berneis vielteiligen, stillen und be­wusst bescheidenen Papierarbeiten ist die Situation des Menschen zwischen Vereinzelung und Kollektiv, zwischen Einsamkeit und durch Beziehungen geschaffenes Miteinander fein­fühlig ausgearbeitet.-

Stilistisch ganz anders, aber the­matisch nicht unähnlich, sind die „Peintures“ von Hanny Fries. Denn in ihren Bildern von städtischen Plätzen oder menschenrei­chen Badestränden ist die Ausstrahlung, die „Aura“ der Dinge, die sichtbaren und unsichtbaren Beziehungen zwischen Räumen, Dingen und Menschen wichtiger als das Abbild. – Um die Darstellung eines vielschichtigen Wechselspiels zwischen Linie und Form, zwischen Materie und Licht geht es in Cristina Spoerris konstruktiven, oft sakral wirkenden Bild-Architekturen.

Die Umweltbedrohungen sind das Thema der Arbeiten von Marianne Flury und Heidi Langauer. „..Mit Pflanze, Tier und Mensch teile ich eine fragile Existenz“, sagt Marianne Flury. In ihren fei­nen Zeichnungen ist dieses Fragile, Bedrohte durch die Nähe von Leben und Tod, von Form und Nichtform subtil eingefangen. – Heftiger ist die Klage von Heidi Langauer, die mit sat­ter, kräftiger, emotionell geprägter Zeichensprache ihrer Angst vor der Leben manipulierenden Gentechnologie Ausdruck gibt.

Gut, dass Freude und Humor als lebensspendende Energien in der Ausstellung nicht fehlen. Janine Thélin zeigt, dass die ( lei­digen) Haushaltutensilien ebensogut als Spiel-Formen für reiche und fröhliche Bildkompositionen dienen können ( z.B. ein Bügeleisen). 

Auch Irène von Moos nimmt Dinge und verwandelt sie, einen Fuss, eine Hand zum Beispiel. Doch sie tut es nicht im Bild, sondern im Raum. Ihre exakten, raumgreifenden, bemalten Aluminiumplastiken sind gekenntzeichnet von Schalk und scheinbarer Schwerelosigkeit.Sonja Amsler schliesslich scheint  all die Formen und Zeichen aufzu­greifen, sie durcheinanderzu-wirbeln, mit Farbe zu tränken und als „Sterne“ auf dem Himmel zu verteilen.

 Annelise Zwez