Kunstmuseum Thun: «Hoch Hinaus» 2005
Wo Berge sich erheben
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 28. Juli 2005
Dass Thun, mit Blick auf die Alpen, den Berg zum Thema einer Ausstellung macht, liegt auf der Hand. Madeleine Schupplis Konzept birgt Poesie, Vielfalt, Humor.
Wer hätte das gedacht? Der Club der Bergsteiger und Berghütten – der Schweizer Alpenclub (SAC) – hat eine Sektion «Kultur», vergibt Kunstpreise und macht Ausstellungen. Dieses Jahr in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Kunstverein respektive dem Kunstmuseum Thun. Das Ziel: Ein Blick-Wechsel. So sind denn in Thun weder Werke von Turner noch von Hodler zu sehen, sondern 14 zeitgenössische Positionen, die zeigen, dass der Berg rund um den Globus ein aktuelles Kunstthema ist.
Der Blick der 18 Kunstschaffenden ist nicht ein naturnaher, sondern, wie der Titel «hoch hinaus» in seiner Ambivalenz andeutet, durchwegs ein reflektierender. Die Berge werden im Spannungsfeld von Kunst und Künstlichkeit gesehen. Mag sein, dass einem die greifbare Natur fehlt am Ende des Rundgangs. Doch das breite Spektrum, das repräsentiert ist vom Berg als Metapher, als Symbol, als «Eigerwohnwand», als Vorstellung, als Reiseziel, als Illusion macht das wett.
Dennoch ist typisch, dass die Arbeit des Japaners Motoi Yamamoto in fast allen Medienberichten, ebenso wie bei der Jury des SAC-Meuly-Preises (10 000 Franken) obenaus schwingt. Denn es ist die einzige, die ein mystisches Empfinden zulässt und einem ungefragt packt. Zwei Wochen hat der 39-jährige Salz gestreut. Zum Berg getürmt und verfestigt, meint man einen Gletscher zu sehen, doch nicht Hügelzonen wachsen aus der Unschärfe, sondern ein Labyrinth, das uns im Berg gleichsam das Universum aufzeigt.
Das zweite Projekt, von dem in Gesprächen die Rede ist, stammt vom türkischen Künstlerpaar Senem Özmen und Erkan Özgen (beide 34). Hier liegt die Faszination wohl darin, dass der übertragene Sinn ihrer Video-Arbeit «Road to the Tate Modern»(dem Museum in London), ebenso humorvoll wie absurd herausgeschält ist. Zu sehen sind zwei Männer in VIP-Anzügen, wie sie als Don Quichotte und Sancho Panza mit Pferd und Esel durch steiniges Gebirge ziehen, 40 Tage schon. Da treffen sie einen Wanderer. Auf die Frage nach der «Tate Modern» weist er mit grosser Geste zum Berggrat, so reiten sie durchs steinige Feld weiter dem Olymp der Kunst entgegen.
Die Ausstellung umfasst vor allem neue, aber auch einige ältere, exemplarische Arbeiten, etwa Franz Gertschs «Aelggi Alp», ein frühes, fotorealistisches Werk (1971), das junge «Aussteiger» beim Picknick zeigt. Oder der Polyurethan-«Fels» von Fischli/ Weiss von 1983. Oder die weltweit gezeigte Fotoarbeit des Chinesen Zhang Huan von 1995, die mit fünf nackten Körpern einen anonymen Berg um einen Meter Mensch erhöht.
Wie allgegenwärtig die Form des Berges ist, zeigt eine Fotoserie des Westschweizers Joël Tettamanti (28), der mit dem Mittel von Ferne und Nähe Aufnahmen von Schneehaufen und Vulkanen, Siedlungen und Militärcamps zur nivellierten Hügellandschaft werden lässt. Dass der Berg nicht zuletzt für (männliche) Macht steht, spiegelt Christian Vetter (35) nicht ohne Ironie in Bildern von Bergkirchen, Steinadlern (Adler aus Stein!) und in Fels gehauenen Köpfen. Lockt das Thema darum nur wenige Künstlerinnen? Und wenn schon, um zu desillusionieren? Etwa in Diana Dodsons «Eigerwohnwand» mit Live-Cam zur Bergwelt? Oder Sonja Brass‘ grossformatigen Fotos, die Berg und Bergmodell verschmelzen?