EXPO.02 Mein Kapital bin ich selbst

Wie Harald Szeemann sich und das Geld der Nationalbank an die Expo.02 bringt (Stand April 2002)

Als die Nationalbank ihn für ihr Expo.02-Projekt wollte, habe sie gesagt: „Bitte kein Sevilla“, Herr Szeemann“. Daran habe er sich gehalten und doch sei da schon wieder so eine Ikone. Sein „Geld und Wert“-Projekt sei jedoch nicht einfach eine Shreddermaschine für ausgediente Banknoten …

Wann er zum letzten Mal Geld zum Fenster hinausgeschmissen habe? Gestern, immer dasselbe. Bürokratie sei so schrecklich, dass er lieber in den eigenen Sack greife. 1380 Franken habe er gestern zum Rahmen gegeben. Und in die Liste der Leihgeber seine Hosentasche eingetragen … Konkret geht es dabei um den Aspekt der Banknoten-Ikonographie der Ausstellung „Geld und Wert – das letzte Tabu“, das die „Agentur für geistige Gastarbeit“ zur Zeit für die Expo-Artplage in Biel entwirft. Geldscheinen der Weltgeschichte stellt Harald Szeemann nicht nur Schweizer Beispiele aus dem Landesmuseum und dem eigenen Hosensack gegenüber, sondern hinterfrägt dabei auch Motive und Motivationen; General Dufour kontra die Köpfe von lateinamerikanischen Generälen zum Beispiel. Zu sehen sein werden aber auch geschnitzte Banknoten aus Afrika.

Und Ben Vautier? Bleibt er, der an der Weltausstellung in Sevilla die Schweiz mit den vier Worten „la suisse n’existe pas“ in Aufruhr versetzte, draussen vor der Tür? „Nein, ohne Ben geht es nicht; eben war ich bei ihm in Nizza. Er ist auch älter geworden. Für die ‚Wand der Unsicherheit‘ malt er uns seine Gedanken, ‚l’argent est un mirage‘ (Fata Morgana) zum Beispiel.“

Grundgedanke des Projektes, das bei der Nationalbank von Anfang an auf „Lächeln“ stiess, seien die Hauptaufgaben der Bank, so Harald Szeemann, nämlich Geld zu drucken, in Umlauf zu setzen, wieder einzuziehen und zu zerstören. Dieser Blut- respektive Verdauungskreislauf sei das Thema. Als Pavillon hätte er eigentlich gerne einen Kuppelbau gehabt; nun sei es halt ein Gold-Barren geworden; mit einem einzigen Oberlicht. Direkt über der Shredder-Maschine. Denn zentral sei nicht das Herausgeben von Geld, sondern dessen Zerstörung, wie auch immer. Darum stehe dem Geldfresser, so Szeemann, auch ein Spielautomat gegenüber. Dessen Gewinn fliesse freilich nicht in die Expo-Kasse – die kriege mit 2/3 des 15-Mio-Budgets für Entourage und Bau eh schon genug – sondern an die „wahre“ (nicht die politische) Solidaritätsstiftung. Spätestens da blitzt durch, dass Szeemann seinen Beuys stets im Rucksack hat. Kein anderer hat ihn in seiner Welthaltung so geprägt wie er. Beuys postulierte, Rudolf Steiner folgend, eine soziale Gesellschaftsordnung, in der das Geistige der Freiheit, die Wirtschaft der Solidarität und das Recht dem Gleichheitsprinzip zu folgen hat.

Eine Ausstellung wie „Geld und Wert“ ist nicht realisierbar ohne die eigene Beziehung zum Geld miteinzubringen. Auf die entsprechende Frage meint der Künstler, pardon, der Kurator: „Ich stelle meine Reise-Skulptur aus; seit Jahren sammle ich die Koffer-Etiketten meiner Flugreisen; die sind Millionen Wert… und nichts. Das Kapital bin ich selbst, was ich an Erfahrung und Erkenntnis in mir trage. Es geht darum durch Geldentwertung neue Energie zu generieren.“ Beuys sagte es einmal so: „Arbeit ist Arbeit für Andere“.

Von keinem anderen Multiple von Beuys gibt es so viele Exemplare wie von jenem einfachen Holzkistchen, in das er das Wort „Intuition“ geschrieben hat. Intuition als Resultat von Imagination und Inspiration. Eines davon gehört Szeemann; er ist ein Meister darin, sein „Kapital“ intuitiv zu vernetzen, von Gegenständen auf Bilder, von Künstlern auf Utopisten, von Filmdokumenten auf Videos zu schliessen und vice versa ohne dabei Rücksicht zu nehmen darauf, was Kunst sei und was nicht.

„Präzise, delikat und subversiv“ beschrieb er einmal das Schaffen des Japaners Yukinori Yanaga. In Biel werden seine berühmten Ameisen jedoch nicht die amerikanische Flagge fressen, sondern Schilling, Francs, Lire, D-Mark und andere Eurogänger-Währungen. „Präzise, delikat und subversiv“ ist auch Szeemanns eigener Ansatz, denn der Berner vergisst bei allem kritischen Denken selten die Filzpantoffeln. Er lässt in seinen Theatern lieber kontroverse (Künstler)-Haltungen aufeinanderprallen – in Biel fehlt weder Klaus Staeck noch Barbara Kruger noch Adolf Wölfli – doch vieles stammt nicht aus einem engeren Kunst-Umfeld. „Ich werde ebenso Berlusconi (auf)spielen lassen wie Arafat im Kerzenlicht zeigen.“ Nicht einmal Duchamps Eros kommt zu kurz: Etwa im Kurzvideo jener Künstlerin, die ihren reichen Goldmünzen-Gürtel beim Bauchtanz in kleine Vorhängeschlösser verwandeln lässt und wieder zurück.

„Nachdenken über Geld“ wird in vielsprachigen Neonlettern auf dem goldenen Pavillon zu lesen sein. „Es geht um ein Denkfeld, nicht darum das eine oder andere anzuprangern. Es ist die Kraft der Kunst, dass sie suggestiv wirken kann. Was gibt es vor der neuen Fotoarbeit von Andreas Gursky mit den ewig gleichen Verwaltungsratsposen noch zu interpretieren?“. Dementsprechend stört sich Szeemann wohl auch nicht daran, wenn viele die Geld-Shredderanlage, die im Laufe der Ausstellungsdauer 60 Mio Franken verdauen wird, als Spiegel der Expo.02 an sich sieht. Interpretation sei nicht seine Sache. Darum habe er auch jenen, die meinten, er müsste nun mal die Geldflüsse Kunst-Mafia durchleuchten, einen Korb gegeben. „Mich interessiert der Gegensatz zwischen Not Vitals ‚Goldenem Kalb‘ und den ‚Dreams you cannot buy'“. Geld hat viele Fassetten. Die grossen Utopisten hatten nie welches und sind doch in reicher Erinnerung (und fehlen in keiner Szeemann-Ausstellung.), andere baden in ihrem Geld und stehen unverhofft nackt da. Dazwischen liegt die Welt. Zu sehen ab 15.Mai auf der Artplage in Biel.