Fotografiert die Haut der Erde

Ausstellungen Balthasar Burkhard in Thun und in Zürich. Bis 18.01.2003

Ob er Wüste oder Stadt, Berge oder Meer, Tiere oder Menschen fotografiert, immer geht es Balthasar Burkhard (1944) um den Landschaftskörper, um das Sicht- und Fühlbarwerden der Haut der Erde. Ausstellungen in Thun und Zürich zeigen es.

Die Fotografien des Berners Balthasar Burkhard wurden seit den gemeinsamen Inszenierungen mit Markus Raetz um 1970 im Kunstkontext rezipiert. Burkhard sah seine Aufnahmen nie dokumentierend, sondern immer als „Bilder“. Seit dem Boom der Kunst-Fotografie gilt er deshalb als Pionier. Die internationalen Museums- und Kunstmarkt-Türen öffneten sich. Mit der Folge, dass er heute aufwändige Projekte, von denen er lange träumte, umsetzen kann. Die aus der Vogelperspektive aufgenommenen Städte- und Wüstenbilder in den parallelen Ausstellungen im Kunstmuseum Thun und im Helmhaus in Zürich spiegeln es eindrücklich.

Die beiden Ausstellungen laufen zufällig parallel und zeigen partiell dieselben Themen. Dass sie dennoch auf komplexe und spannende Art verschieden sind, versöhnt mit dem Bedauern, dass die unkoordinierte Doppelpräsenz die fällige grosse Retrospektive hinauszögert. Es sind nicht nur die unterschiedlichen Museumsräume, nicht nur das Breitgefächerte in Thun und das punktuell Beleuchtete in Zürich, welche die weich kopierten, weiss-grau-schwarzen Aufnahmen hier und dort anders erscheinen lassen. Die Räume in Zürich sind grosszügiger und klarer in ihrer Definition, lassen den weich-kantigen Formen der afrikanischen Wüste und den geometrischen Reliefs der Weltgrosstädte (Mexico, Chicago, Tokyo) Raum sich als eigenständige Identitäten zu entfalten. Dadurch werden Stadt und Wüste, Zivilisation und unberührte Weltgegend formal und inhaltlich zum starken Kontrast. Nicht im Sinne von „gut und böse“ – Burkhard ist Ästhet, nicht Meinungsinterpret – aber doch als Ausdruck von Härte, als je radikal Anderes.

In Thun hingegen sperrt sich alles gegen eine solche Sachlichkeit: Die verschachtelten Räume, die breitere Themenwahl mit Wüste, Stadt, Berg, Meer, Tier und Landschaft und last but not least der geographische Ort der Ausstellung selbst. Thun, landschaftsbezogen und umgeben von Bergen, ist nicht die Business-Stadt Zürich. Die Disposition, welche die Besucher in die Ausstellung mitbringen, ist hier und dort a priori anders. Und alles zusammen ergibt für Zürich einen analytischen, Präzision sichtbar machenden Ansatz der burkhardschen Welt-Fotografie-Sicht und für Thun einen eminent emotionalen, der Begriffe wie Kosmos, Welthaut, All-umfassend sehr viel stärker betont. Vielleicht sogar in überdimensioniertem Mass. Denn mit zur Thuner Ausstellung gehört auch ein 35mm-Film, den Burkhard – zusammen mit Pio Corradi als Kameramann – im vergangenen Jahr auf Flügen über Namibias Wüsten aufgenommen hat und nun als Endlosband in Slow Motion zeigt; begleitet von sphärischer Musik von Mich Gerber. Kaum ist man in der Dunkelkammer, wird man von einem gewaltigen emotionalen Schauder geschüttelt und meint fortan für alle Zeit zu wissen, was „schön“ heisst. So berührend ist die Kraft der langsam vorbeiziehenden Sanddünen und der scheinbar aus den Bildern aufsteigenden Musik.

Benommen vom Erlebnis, kann man sich erst nach einer Weile wieder auf Fotografie einlassen, merkt jetzt, dass man vom Elefanten im Film-Vorraum im Moment nur die Haut wahrnimmt und überträgt die Struktur auf die Sanddünen, auf die Felsspuren in den verschneiten Bergmassiven der Alpen und dann auch auf die Vegetation in den kargen, schottigen Hügel-Landschaften und die Strassen-Furchen zwischen den Häuserzeilen in den bildfüllenden Grossstädten. Das Landschaftliche, das Balthasar Burkhards Schaffen charakterisiert, wird als Erdhaut fassbar und zugleich als Metapher der Gleichzeitigkeit von Makro- und Mikrokosmos.

Der Charakter der Zürcher Ausstellung wird zusätzlich durch eine Art „Coup“ bestimmt. Bei Recherchen in Zürcher Amtshäusern hatte der Künstler David Ireland 1990 Fotografien des Ballonfahrers Spelterini aus dem Jahre 1904 entdeckt, die Sanddünen und Grossstädte zeigen. „Das Entzücken, das sich … auf seinem (Burkhards) Gesicht ausbreitete, als ich ihm die Aufnahmen zeigte, werde ich nicht so schnell vergessen“, schreibt Marie-Louise Lienhard im Katalog. Die aussergewöhnlichen Aufnahmen bilden nun eine Art „Vorspann“ – auf Kontinuum und Wandel verweisend.