Marie-Theres Amici im Kunstmuseum Solothurn 2003

Die Kraft des Wasser in Bilder bündeln

www.annelise Zwez   Mittelland-Zeitung 20. Januar 2003 

Die im Gäu aufgewachsene Luzernerin Marie-Theres Amici (60) zeigt in Solothurn ihre erste Museums-Einzelausstellung: Kraftvolle, zeichnerische, gestische Wasser-Bilder, welche die Landschaftsmalerei in die Gegenwart führen.

Annelise Zwez

Sie fährt tatsächlich an den Rheinfall oder in die Bündner Berge, um vor Ort zu zeichnen. Der dritte Saal ihrer Solothurner Ausstellung zeigt es. Und die Zeichnungen bilden ganz offensichtlich das Alphabeth der grossformatigen Ölbilder in den beiden Hauptsälen. Es ist also eine klassische Vorgehensweise, die Marie-Theres Amicis Malerei generiert. Aber sie tut es im 21. Jahrhundert. Somit nicht nur mit Giacometti und Twombly, welche die Künstlerin bewundert, im Rucksack, sondern auch mit dem Körperbewusstsein, das die Malerei der letzten Jahrzehnte entwickelt hat. So ist ihr Mass im Malen nicht die optische Erinnerung, sondern das Erlebnis, welches das tosende Wasser im Licht des Tages und im Dunkel der Nacht in ihr auslöst. Das Verschränken von malerischer Präzision und sinnlicher Emotion ist das Ziel.

Das Wasser, das in ihren Bildern über vielfach nur erahnbare Felsen stürzt und mit Luft aufgeladen zur Gischt wird, erscheint nicht als Natur-Idylle, sondern als unmittelbarer Ausdruck der in der Natur wirkenden Kräfte. Nicht das Wasser entscheidet zu fallen, die Tektonik der Felsen diktiert Höhe, Weite und Enge. Die Vegetation, die sich an die Ränder drängt, wird gebeutelt, wenn viel Wasser fällt. Dieses Messen von Macht und Freiheit machen die Bilder Amicis sichtbar; rauh und spröd zuweilen, aber immer durchsetzt mit Licht. Die einen Bilder treibt sie bis in die Nähe von Weiss in Weiss, in anderen gibt sie dem Grün der Ränder Raum, und in zweien lässt sie die Nacht zu. Die Bilder packen, weil sie als optische und emotionale Erfahrungen seit Jahrtausenden in unserer Erinnerung lagern.

Was Marie-Theres Amicis „Wasserfälle“ von jenen anderer Maler, eines Kirkeby zum Beispiel, unterscheidet, ist nicht nur der kraftvolle gestisch-zeichnerische Duktus, der das Wasser zum Vibrieren bringt, sondern vor allem die (Körper)-Nähe. Die Bilder in Solothurn sind sehr tief gehängt. Scherzend und zugleich sehr treffend wies Museumsdirektor Christoph Vögele sein Technikerteam an, die Werke nicht auf Augen-, sondern auf Bauchnabelhöhe zu hängen. Stellt man sich so nahe davor wie die Malerin selbst steht, wenn sie malt, wird man, zumindest bei den reinen Wasserbildern, unmittelbar „nass“. Die Malerei löst sich nicht auf mit der Nähe, sondern verdichtet sich zu „Materie“. Und in dieser Direktheit wird die Sprache der Bilder körperlich, das Bild zum Spiegel von Befindlichkeit, von Natur im Körper und im Erleben der Welt. Da ist ihre Besonderheit und ihre Qualität.

Marie-Theres Amici entschied sich jung für die Kunst; 1970 bereits schloss sie die Schule für Gestaltung in Luzern ab. Doch die Familie – Amici ist mit dem Innerschweizer Bildhauer Rudolf Blättler verheiratet – heischte Tribut. So wurde ihr künstlerisches Schaffen erst in den letzten 15 Jahren mehr und mehr manifest, vor allem in der Innerschweiz, aber auch im Raum Aargau/Solothurn und darüber hinaus. 1995 erhielt Marie-Theres Amici den Anerkennungspreis der Stadt Luzern und 2001 den Preis für Malerei des Kantons Solothurn. In den frühen 90er Jahren stand die Berglandschaft im Vordergrund, doch bereits hier dominierte nicht der Horizont, sondern die Nähe von Natur und Lebenswirklichkeit im Kräftefeld von Freiheit und Diktat. Je mehr es der Künstlerin gelang, das Landschaftsbild in zugleich bildliche wie übertragene Ebenen voranzutreiben, desto mehr Eigenständigkeit erlangte es. Die Ausstellung in Solothurn zeigt in wenigen Beispielen den Übergang vom Berg- zum Wasserthema, gibt aber auch, und zu Recht, der Bleistift und der Kreide-Zeichnung Gewicht ( bis 16.März).