Kathrin Freisager, Annelies Strba, Christa Ziegler

Vernissagerede, Galerie Elisabeth Staffelbach, Aarau

Annelise Zwez, 15. März 2008

Ich erinnere mich noch gut. Es war 1986. Im Aargauer Kunsthaus wird im Sousol die erste Ausstellung mit Fotografie eröffnet. Eine spezielle Vereinigung zeichnete dafür verantwortlich, noch nicht das Kunsthaus selbst. Gezeigt wurden Arbeiten von Felix Stephan Huber und Beat Streuli. Fotografie in einem Kunstmuseum – das wurde noch mit Argus-Augen betrachtet. Heute erzielen Fotografien eines Andreas Gursky Höchstpreise bis zu 3 Mio Franken. Und gezeigt werden die Arbeiten in den wichtigsten Museen der Welt. Und auch Fotografien von Cindy Sherman bewegen sich in schwindelerregender Höhe. Das heisst: In nur 20 Jahren hat es das Medium Fotografie geschafft sich auf dem Markt gleichberechtigt neben Malerei und Skulptur zu stellen.

Aussergewöhnlich an der Ausstellung, die ich hier und heute eröffnen darf, ist also nicht das Medium an sich, sondern wie und im Hinblick auf was Annelies Strba, Katrin Freisager und Christa Ziegler das Medium nutzen. Das Dreigestirn steht  dabei in einem sehr spannenden Verhältnis, denn die drei sind in ihrem Ansatz grundverschieden.

Annelies Strba kombiniert Fotografie mit digitaler Bearbeitung, um das Abbildhafte aufzulösen und das Sichtbare in eine Zwischenwelt zu schieben. Katrin Freisager hingegen treibt die Präzision des fotografischen Bildes auf die Spitze, indem sie den Moment der Belichtung aufwändigst vorbereitet. Während Christa Ziegler quasi für die Tradition der Fotografie steht, mit dem Bild von Gesehenem zu berichten.

Man kann es auch anders sagen: Annelies Strbas Werke stehen für eine zur Malerei und zur Mystik hin gedehnte Fotografie. Katrin Freisagers Aufnahmen hingegen stehen für eine theatralische Inszenierung mit einer klaren, inhaltlichen Zielsetzung. Während Christa Ziegler einem ethnografischen Aspekt folgt, das heisst die Länder, die sie bereist, mit ihren eigenen Bildern zu zeigen versucht.

Interessant ist hierbei, dass nur Katrin Freisager über eine Hochschul-Ausbildung im Kontext von Fotografie verfügt, während sich Annelies Strba nach einer frühen Lehre als Fotografin den künstlerischen Blick selbst aneigenete und Christa Ziegler eigentlich Bildhauerin ist.

Was die drei verbindet und vielleicht für die Fotografie per se gilt: Sie wollen etwas sichtbar machen, das auf einer „wahren Begebenheit“ basiert.

Auch wenn das weisse Kind auf dem weissen Pferd von Annelies Strba wie ein Traumbild anmutet, so ist es doch für die Arbeit ganz wichtig, dass die Künstlerin dieses Kind einmal sah und dabei die Kamera bei sich hatte. Ich weiss nicht, ob wir Dinge träumen können, deren Versatzstücke wir nie gesehen haben. Hätten wir sie nie gesehen, würden wir sie wahrscheinlich nicht erkennen. Mit anderen Worten: Die Begebenheit an der Basis bietet Annelies Strba erst die Mögliichkeit, das Kind auf dem Schimmel in eine andere Ebene zu schieben, um dort nicht mehr ihre Enkelin reiten zu lassen, sondern ein Kind. Der Wind, der Wind, das himmlische Kind … kommt mir da in den Sinn; wissen sie noch, wo das herkommt – google sei dank, habe ich es schnell herausgefunden. Hänsel und Gretel, doch für uns hier ist nur das Moment des Märchens an sich relevant.

Und noch etwas, das eigentlich gar nicht hieher gehört, oder vielleicht eben doch eine Parallele ist, zu dem, was ich eben zum Traum gesagt habe. Elisabeth Staffelbach hat die Bilder von Annelies Strba, die wir hier sehen, bei der Künstlerin ausgewählt. Und wissen sie, warum sie dieses Pferd wählte? Das Folgende ist jetzt eine Behauptung. Aber, erinnern sie sich an die schöne Reiterin im märchenhaft verschneiten, geheimnisvollen Video von Tatjana Marusic, das Elisabeth 2006 in der Freilichtausstellung „Kunst am Schlossberg“ in Lenzburg zeigte … man macht solche Querverbindungen nicht bewusst, aber unbewusst häufiger als man denkt, vielleicht sogar als einem lieb ist. Ich zum Beispiel habe einmal ein Bild gekauft, das ich schon hatte, allerdings von einer anderen Künstlerin.

Doch zurück:
Ich sprach von der Basis der „wahren Begebenheit“. Auch bei Katrin Freisager gibt es dazu einen doppelten Hintergrund. Denn ihre Aufnahmen, die hier übrigens ihre Schweizer Premiere haben – in Kolumbien waren sie zuvor schon zu sehen –  ihre Aufnahmen beruhen quasi auf der Begebenheit einer Begebenheit.

Die erste ist einfach: Die Aufnahmen sind eine Interpretation des wohl berühmtesten Bildes von Diego Velasquez, den „Las Meninas“. Sie erinnern sich: Das ist das Bild mit der Infantin Margherita, die in majestätischer Robe zum x-ten Mal für den „Pintor“ posieren soll, dazu aber keine Lust hat und darum von ihren Hofdamen – den Meninas – aufgeheitert werden soll, zum Beispiel mit einem Hund. Zu sehen ist nicht nur diese Szene, sondern auch der Maler an der Staffelei und – im Spiegel – die Eltern des Kindes als Betrachtende. Das heisst, das Bild erzählt in sich wieder eine „Begebenheit“,  auch wenn diese von Velasquez konstruiert wurde. Diese Konstruktion erlaubt es Katrin Freisager quasi als Fotografin an die Stelle des Malers zu treten und die Begebenheit ihrerseits zu interpretieren respektive in einen neuen, von den Zwängen heutiger Kinderstars erzählenden Kontext zu stellen und diesen als inszenierte Fotografie wiederzugeben.

Bei Christa Ziegler sei das alles viel einfacher, denken sie sicher.  Jein, denn in der Reisefotografie gilt es, die „wahre Begebenheit“ als solche zu erkennen, sie zu finden, um mit ihr Dinge sichtbar zu machen, die über sie hinaus weisen. Christa Zieglers Aufnahmen aus Mexico-City oder Dakar zeigen ja nicht das, was wir als Touristen fotografieren würden, sondern das, was die Künstlerin als Spiegel der Menschen vor Ort sieht. Es sind, im Gegensatz zu den Aufnahmen von Strba und Freisager, tatsächlich 1:1-Begebenheiten, aber gleichzeitig sind es durch die Wahl von Ort und Blick subjektive Sichtfelder, die gleichzeitig von Äusserem berichten – eben der „Begebenheit“ – wie auch von sozialen Kontexten, die sich darin manifestieren. Zum Beispiel der Gegensatz von ursprünglich europäischer Architektur und ihrer Integration respektive Nichtintegration in das sozial mögliche Leben in Aussenbezirken von Dakar. Oder auch die Millionenstadt Mexiko, die uns mit ihrer unendlichen Zahl kleiner Lichter von ihrer eigenen Überfülle erzählt. Christa Ziegler zeigt hier im Ausstellungsraum ausschliesslich schwarz-weisse Aufnahmen ohne oder fast ohne Menschen; das entspricht einer bewussten Wahl im Kontext dieser Ausstellung, nicht dem gesamten Schaffen der Künstlerin.

Es geht mir hier aber  um etwas anderes: Christa Ziegler versucht in ein- und derselben Aufnahme Sichtbares und darin Verstecktes auszudrücken. Katrin Freisager hingegen fächert dasselbe auf. Sie ordnet den von ihr ebenso als Autorin wie als Regisseurin, als Kostümbildnerin wie als Fotografin inszenierten und realisierten Aufnahmen eine zweite Fotografie zu. Bilder, die zunächst einmal „Natur“ signalisieren – aufgenommen in einem Naturschutzgebiet unweit von Zürich – dann aber – nicht zuletzt aufgrund der fantastischen Lichtpräsenz im Halbdunkel der Dickichte – plötzlich zu Symbolbildern werden.

Unter die Haut ging mir die Verbindung, als ich merkte, dass die moosige Räumlichkeit der einen Aufnahme formal geradezu Platz anbietet für die fast ohne sichtbaren Architektur-Raum auskommende, figürliche Szene mit dem liegendem Kind und seinem Hund  nebenan. Naturaufnahmen sind übrigens nicht neu im Werk von Katrin Freisager, sie arbeitet schon länger an dieser Doppelbildlichkeit, aber es ist das erste Mal – und das freut Galeristin Elisabeth Staffelbach natürlich besonders – dass die Künstlerin die ihr gleichermassen wichtigen Bereiche so deutlich kombiniert, das heisst die Naturaufnahmen entstanden explizit als Verdeutlichung der künstlerischen Intention, die Katrin Freisager mit den figürlichen Szenen zum Ausdruck bringen will.

Bei den Vorbereitungen zu meiner Ansprache hier bin übrigens ich dem Begriff der Autoren-Fotografie begegnet – als Parallele zum sogenannten Autoren-Film – und das fand ich bezüglich Katrin Freisagers künstlerischer Haltung sehr treffend.

Nun gilt es selbstverständlich das Doppelgespann der Bedeutungsebenen – quasi das Tun und das Wollen – auch in Bezug auf die Aufnahmen von Annelies Strba zu untersuchen. Es ist klar, dass wir hier nicht ein Nebeneinander, sondern ein Ineinander vor uns haben. Das heisst, ich sehe die Natur-Fotografie-Malerei wie sie Annelies Strba pflegt und hier zeigt, nicht als unmittelbar mit den figürlichen Bildern verknüpft, sondern eher als  Gleichnisse, als ähnlicher Ausdruck emotionaler Betroffenheit, übersetzt in ästhetische Form. Das heisst, die junge Frau auf dem Sofa löst in ihrem So-Da-Sein – ich denke inklusive die unsichtbare Mutter-Kind-Beziehung – dieselbe Betroffenheit, dieselbe Dimension von etwas über das Sichtbare Hinausgehendem aus, wie der Anblick eines Blumengartens oder eines blühenden Zweiges. Ja man kann sogar sagen, dass die Kombination hier auf die existenzielle Gemeinsamkeit von Mensch und Vegetation hinweist. Dieser Betroffenheit sucht die Künstlerin Ausdruck zu geben, indem sie die Bildlichkeit von ihrer 1:1-Sichtbarkeit befreit und ihr eine subjektiv erlebte Aura in Form veränderter Farbigkeit gibt – mir kommt immer die Thermo-Fotografie in den Sinn, auch wenn das real nicht stimmt. Parallel dazu stuft sie auch die Schärfe des materiellen Bildes herab hin zu seiner blossen Erscheinung, hin zu Erinnerungen in uns selbst. Plato ist da gar nicht so weit weg – auch wenn Schatten eigentlich nie farbig sind – ausser in den Fotografien von Annelies Strba.

Es gäbe – gerade weil wir hier drei dank Elisabeths Auswahl so verschiedene Positionen zum unmittelbaren Vergleich vor uns haben – noch viel zu sagen und zu vergleichen und zu analysieren, doch ich will ihnen ja die Aufgabe, das auch selbst zu tun, nicht ganz abnehmen. Darum danke ich jetzt fürs Zuhören und hoffe, Sie mögen den Faden weiter spinnen.