Das textile Erbe in die Zukunft führen

Text erschienen  „Textilforum“ Magazin Oktober 2023

TaDa – Textile and Design Alliance – ist ein Projekt mit dem Ziel die Tradition des textilen Handwerks in der Ostschweiz durch die Zusammenarbeit von Künstler*innen und Designer*innen mit Firmen in der Region in eine lebendige Zukunft zu führen.

Die Initiative, aus welcher TaDa hervorging, war ausserordentlich: Nicht eineTextil- oder Künstler*innenvereinigung, nein, die Kulturämter von St. Gallen, Appenzell-Ausserrhoden und Thurgau lancierten 2015 einen Wettbewerb zur Innovations-Förderung des textilen Schaffens in der Region. Es waren Sorge und Zukunfts-glauben zugleich, die dahinterstanden. Sorge um die Existenz der kreativen Vielfalt der Textilindustrie einerseits, der Stolz, dass auf den Mode-Laufstegen der Welt oft neuartige Ostschweizer Stoffe zu sehen sind ohne dass das so richtig bekannt wäre (1) andererseits.

Bild: Leiterin des Projektes TaDA ist die Kunsthistorikerin Marianne Burki

Aus hochtrabenden Visionen wurde im Laufe des Wettbewerb-Verfahrens ein von den drei Kantonen finanziell getragenes Projekt mit zwei Ausrichtungen:  Zum einen soll der Aufenthalt von kreativ Tätigen in Form von 3-monatigen Residenzen ein direktes Teilhaben an der Produktion von Geweben, am Bedrucken, Besticken, Beschriften von Stoffen, am Verarbeiten von Fäden für beide Seiten neue Ideen generieren. Zum andern sollen durch Forschende und Schreibende historische und aktuelle Zusammenhänge von Gestaltungsweisen, Mustern, Materialien als auch Handelsstrukturen in einem globalen Kontext erarbeitet werden.(2)

Konkret heisst das, dass sich aktuell acht im Textilbereich tätige Firmen bereit erklärt haben, den TaDa-Stipendiaten Einblick in ihre Produktionsweisen zu geben und sie – als eine Art Labor – zu unterstützen bei ihren Recherchen und Experimenten.  Zu ihnen zählen u.a. die auf Kunststoff-Folien (auch Paillettenfolien) spezialisierte Lobra AG in Thal, die u.a. neuartige Stoffe und Stickereien für die Modebranche entwickelnde Filtex AG,  die auf die Innovation im Bereich Möbelstoffe, Webteppiche u.a.m.  ausgerichtete Tisca Tischhauser AG in Bühler. Zum Netzwerk gehören aber auch die Materialprüfanstalt EMPA, die Bibliothek und die Materialsammlung des Sitterwerks, ebenso das Saurer- wie das Textil-Museum in Arbon resp. St. Gallen.

Ich hatte Gelegenheit die Textildruckerei Arbon zu besuchen, eine der letzten Handsiebdruckereien der Schweiz. «Wir machen was die industriellen Druckereien schon lange nicht mehr können», sagt Geschäftsführer, Kreativdirektor und Drucker Martin Schlegel. Sowohl kleine Design-Brands, Mode-Shooting-Stars wie Yannick Zamboni wie anspruchsvollste Kunden aus der Pariser Modewelt kommen mit Spezialwünschen zu ihm. Sein Trumpf:  die riesige, ehemalige Saurermotoren-Halle in Arbon, die es ihm erlaubt auf einem schiergar endlosen Arbeitstisch Drucksiebe für Stoffe mit kleinen, aber auch für Stoffe ohne Rapports in Einfach- wie Mehrfachdurchgängen einzusetzen. Dass er zuweilen auch kleine Brötchen backen muss, verschweigt er nicht. Seine Leidenschaft gehört  aber Druck-Projekten, die für beide Seiten einen kreativen Gewinn beinhalten, «sonst sage ich auch schon mal nein».

Für TaDa ist  Martin Schegel somit ein idealer Partner. Einer, der das schon vor seinem TaDa Residenz-Stipendium herausfand, ist der Tessiner Rafael Kouto, der sich mit seinem Label dem «Upcycling» verschrieben hat.3 Denn um, als Beispiel, ein Jackett zu überdrucken, muss es zertrennt, einem Schnittmuster gleich bedruckt und wieder genäht werden. Damit ist er Kunde bei der Siebdruckerei. Fast schon ein Wiedererkennungsmerkmal ist dabei das Giraffenmuster, das schweizerische Geometrie ganz leise mit seiner Herkunft väterlicherseits, dem Togo, verbindet. In Mehrfach-Drucken verwandelt es sich zudem in vielfältige Stoffe. In seiner TaDa -Zeit pröbelte er mit Appreturen, die Wellkarton so veredeln könnten, dass er in Kombination mit farbigen Bordüren zu Kleidungsstücken geformt werden kann. Geschmunzelt habe ich, dass die Bordüren vorläufig noch seine Mutter für ihn häkelt oder näht.

Beeindruckt hat mich an der Abschluss-Präsentation der Ansatz der heute in den USA lebenden jungen Chinesin Chun Shao. Sie forscht im Bereich einer möglichen Emotionalität textiler Materialien sowohl in der physischen Präsenz wie in digitaler Form, sogenannten E-Textilien. In St. Gallen suchte sie in der Bibliothek des Textilmuseums nach alten Stickerei-Mustern, Mustern somit, die bereits eine Geschichte in sich tragen. Diese bearbeitete sie durch

drehen, wenden, ausschneiden und mehr, sodass daraus ein neues, digitales Programm entstand, das sie in feinste Stoffe von faszinierender Körperlichkeit verwandelte.

Der dritte Stipendiat April – Juni 2023 war der im Libanon lebende Honduraner Adrian Pepe (*1984). Fasziniert von der Gleichzeitigkeit von Schafherden auf grünen Wiesen unter blauem Himmel in Honduras, im Libanon und im Appenzellischen, beschäftigte ihn die Dualität von «terestrial» und «celestial» (irdisch und himmlisch) – sowohl als verbindendes kulturelles Moment unter den Menschen wie – konkret – für die von ihm als Spezialität entworfenen  Fell- und Filz-Teppiche.

 

Ergänzung I

Die Leitung von TaDa liegt in den Händen der Kunsthistorikerin Marianne Burki. Zur Zeit bereitet sie im Auftrag der Träger-Kantone eine Zukunftsstruktur für TaDa vor.

Für die Auswahl der Stipendiaten ist eine internationale Jury zuständig. Ihr Präsident ist Martin Leuthold, der langjährige Art Director der Firma Schläpfer AG und seit Anbeginn engagierter Förderer von TaDa. Bild: Martin Leuthold im Gespräch mit Wang Weiwei (Honkong)_Jumoke Sanwo (Lagos).

Die Stipendiaten September bis November 2023 sind Carolina Forss (Finnland), Pascal Heimann (Deutschschweiz )und Axelle Stiefel (Romandie).

Aktuell läuft das Bewerbungsverfahren für Frühjahr/Herbst 2024 (Frist: 1. Okt. 2023).

Link: tada-residency.ch

Ergänzung  II

Im Frühjahr 2023 zeigte das Gewerbemuseum Winterthur eine Ausstellung, welche die ersten drei Jahre von TaDa in ausgewählten Beispielen subsumierte. Zu sehen war u.a. der multisensorische Therapieraum der taiwanesisch-amerikanischen Künstlerin Sonja Li (Bild). Für den Innenteppich verwendete sie Sportrasen-Cuts der Tisca AG, die sie mit duftendem Sprühlack in eine Blumenwiesen verwandelte. Die  bei der Lobra AG mittels Thermotransferdruck kreierten Stoffe bestehen aus irrisierenden Folien, die mit UV-Licht-reaktiven Farben von Hand bemalt wurden.

1 Während die Modedesigner*innen gefeiert werden, erwähnt kaum jemand die vielfach ebenso kreativen Produzenten ihrer Stoffe – die Labels verbieten es unter Umständen sogar.

2 Aktuell mit TaDa im Dialog: Jumoke Sanwo, die sich intensiv für  Vernetzung resp. eine Neueinschätzung traditioneller und gegenwärtiger Lebenswelten in Nigeria einsetzt, sowie Wang Weiwei vom Zentrum für das kulturelle Erbe der Textilkunst in Hongkong.

3 Sowohl Martin Schlegel wie Rafael Kouto haben 2023 einen der vom Bundesamt für Kultur vergebenen Design-Preise gewonnen und waren in der parallel zur Kunstmesse Art in Basel stattfindenden Ausstellung vertreten.