- Newsletter 1 2025
-
Victoria Holdt – Installation „Der Körper im digitalen Leben“, Kunsthaus Langenthal 2024
Zum Jahreswechsel gehören bei mir allerlei Statistiken. Unter anderem «meine 10 besten Ausstellungen des Jahres», die ich diesmal «meine 7 bewundernswertesten» Ausstellungen nenne und einzeln begründe. Somit keine Auflistung grosser Namen in grossen Häusern. Obwohl es mir schon schwer fällt den Jeff Wall in Riehen wegzulassen. Die Reihenfolge ist – wie immer – kein Thema.
-
Ich fange mal mit einer Ausstellung an, die wohl niemand sonst unter den Top des Jahres auf dem Radar hat: «Souvenir de Rosenlaui» im Kunsthaus Interlaken. Zum einen weil es hier gelungen war, ein lokales Thema – es geht um das markante Wetterhorn und den Rosenlaui-Gletscher von der Romantik bis heute – in einen a) aktuellen und b) lokal-national-internationalen Kontext zu stellen. Und dies von einem Haus, das bezüglich seiner Leitung ein Urgestein ist, das es eigentlich gar nicht mehr gibt. Als ich in den 1960er Jahren (!) in die Kantonsschule ging, war es noch so: Gymnasiallehrer betreuten mehr oder weniger ehrenamtlich auch die Kunstabteilung des lokalen Museums (gemeint ist hier konkret Max Freivogel und das Museum Allerheiligen in Schaffhausen). Heute sind es an kleinen institutionellen Häusern junge Kunsthistoriker*innen, die – zu Recht – einen adäquaten Lohn fordern. Der sich angesichts der kleinen Pensen und der zu bewältigenden Aufgaben allerdings meist in Luft auflöst. Interlaken ist wohl das letzte Museum in der Schweiz, das noch nach dem alten Prinzip funktioniert und zwar durchaus professionell! Heinz Häsler (72), pensionierter Lehrer für bildnerisches Gestalten am Gymnasium Neufeld in Bern, kuratiert hier seit 2009 Ausstellungen, die zwar ihre budgetmässigen Limiten haben, aber in diesem Rahmen bewundernswert sind. Er und seine Partnerin – Sekretärin und Eventmanagerin des Hauses (und überdies Fotografin) – Claudia Dettmar, seien gleichsam mit dem Kunsthaus verheiratet», sagte mir eine Insiderin kürzlich lachend.
«Souvenir de Rosenlaui» zeigte in erstaunlicher Qualität wie die «Engelhörner» und der Gletscher ob Interlaken die Künstler seit dem 18. Jahrhundert faszinierte – von Joseph Anton Koch (1768-1839) über Otto Morach (1887-1973) BILD RECHTS bis Wolfgang Zät (*1962) und Mariann Flotron (*1970). Häsler vermied das allgegenwärtige Lamento über den Gletscherschwund (vgl. z.B. huber.huber Kunstmuseum Olten 2_2024)), baute aber sehr wohl kritische Sichtweisen mit ein (Fabiola Di Fulvio (*1982). Kochs «Wetterhorn von der Rosenlaui aus» von 1824 stammt aus der Sammlung Reinhardt (Winterthur), ansonsten waren viele Werke Privatbesitz oder sie wurden von den Künstler*innen direkt für die Ausstellung geschaffen (z.B. Barbara Ellmerer). Häsler vermied damit klugerweise hohe Transport- und Sicherheits-Vorschriften wie sie Museen für Leihgaben einfordern. Das heisst aber, man muss als Kurator wissen, wo entsprechende Werke zu finden sind! Und da gebührt Heinz Häsler weitere Anerkennung!
Dann: Walid Raad (* um 1963, Libanon) im Kunsthaus Zürich, der den Gedanken einer Kunstsammlung mit surrealen Geschichten fulminant neu aufmischte. Da faszinierte mich insbesondere, dass unter der neuen Kunsthaus-Leitung von Ann Demeester solche Intermezzi möglich sind. Toll! – Und dann amüsierte ich mich köstlich über die Rafinesse, mit welchen Raad den Grafen Bornemizza und seine legendäre Sammlung mit Zürich in Verbindung brachte und dabei auch noch eigene biographische Daten miteinflocht. Fakts und – vor allem – Fiktion als künstlerische Freiheit Recherchen und eigene Assoziationen als kreativen Impetus zu verstehen.
Und weiter: Marguerite Hersberger (*1943) im Haus konstruktiv in Zürich, dessen Programm ich sehr schätze. Ein Dankeschön an Sabine Schaschl! Es gibt eine ganze Reihe um 1938/40 geborener Künstlerinnen, die nicht zur richtigen Zeit mit dem richtigen Werk am richtigen Ort waren. Sie waren – wie Marguerite Hersberger – die zweite Generation einer Bewegung und sie waren keine Feministinnen, wie man das spätestens in den 1980er sein sollte. Heute sind beide Optiken obsolet, massgebend ist die Kohärenz und Eigenständigkeit eines Werkes. Und so kam die Retrospektive Marguerite Hersberger im Haus konstruktiv jetzt zum richtigen Zeitpunkt, zeigte Werke bis zurück in die späten 1960er-Jahre (SIEHE BILD LINKS) und z.B. auch zum ersten Mal eine Glasfaser-Arbeit mit LED-Leuchten von 1972/73, die ungemein zeitgenössisch wirkte. Im Folgenden hielt sie ihre Vision steter Wechselwirkung von Farbe und Glas bei; «Lichtmalerei», die stets den Raum miteinbezog bis hin zu den aktuellen Schattenbildern der 80jährigen Künstlerin.
Ferner: Virginie Rebetez (*1979 Lausanne) in der «Ferme-Asile» in Sion. Hier begeisterte mich a) der Entstehungshintergrund der Ausstellung und b) die Umsetzung. Da stellt das Staatsarchiv des Kantons Wallis seine Dokumente auf digital um und gibt als «Memento mori» einer Künstlerin den Auftrag die Bestände bildnerisch zu würdigen und zeigt das Resultat im riesigen Obergeschoss der als Kultur- und Kulinarik-Ort genutzten «Ferme-Asile» in Sion, wo ich – fernab der Kunstströme – schon einige hervorragende Ausstellungen gesehen habe (z.B. Emilija Skarnulyte, Sandrine Pelletier). Virginie Rebetez (die weder mit Augustin noch mit Boris Rebetez verwandt ist) ist Fotografin (Ausbildung in Vevey und Amsterdam) und hat sich in mehreren Projekten mit dem Tod befasst. Zunächst ratlos, wie sie die Sache angehen sollte, wählte sie dann Polizeirapporte zu Selbstmorden ab ca. 1950 und näherte sich mittels unscharfer Fotografien in sargähnlichen Leuchtvitrinen (BILD) behutsam den Menschen dahinter. Parallel setzte sie sich in Projektionen mit der Realität – auch der Schönheit! – eines verstaubten Archives (einer verstaubten Zeitgeschichte) auseinander (Video-Projektion). Das alles berührte mich sehr.
Und Nummer 5: Sharyar Nashat (*1975 Genf) im Museo Arte Svizzera Italiana (MASI) in Lugano. Hier aufgelistet weil es a) eine hervorragende Ausstellung war und b) um eine Lanze für die italienische Schweiz zu brechen. So wie man in der Deutschschweiz sehr viel gezielter in die globalisierte Welt schaut als in die Romandie, so blickt man auch viel zu wenig ins Tessin. Obwohl der Direktor des MASI, Tobia Bezzola, von seiner Tätigkeit am Kunsthaus Zürich her hierzulande sehr wohl bekannt ist und mit seinen monographischen Ausstellungen (z.B. Thomas Huber (2023), Hedi Mertens (2023), Nicolas Party (2022) ) immer wieder Brücken schlägt. Sharyar Nashat, der nach Jahren in Berlin und Los Angeles aktuell in Paris wohnt, ist ein intellektueller (und somit anspruchsvoller), multimedial arbeitender Künstler, der mit sehr vielen kunsthistorischen, aber auch gesellschaftlichen und last but not least körperlichen Assoziationen arbeitet. Glücklicherweise bietet das MASI stets sehr präzise und erhellende Saaltexte (oft auch Interview-Videos), sodass auch hier die Abstrahierung klar erkennbarer Brustkörbe in autonome Raum-Skulpturen verbunden mit einer verführerischen Farbigkeit sehr gut nachvollziehbar war. All das schlug eine keineswegs besänftigende Brücke zu einem animierten Wolfsrudel-Video, deren Körper alsobald enthäutet werden als gälte es zu untersuchen was es mit der äusseren Erscheinung und der inneren Wesensart auf sich hat.
Somit sind wir bei Nummer 6: Tracy Rose (*1974 Südafrika) Kunstmuseum Bern. Die Berner Chef-Kuratorin für zeitgenössische Kunst (Kathleen Bühler) hat fasziniert, dass sie eine von einem südafrikanischen Museum für ihre Landsfrau Tracy Rose erarbeitete Ausstellung für Bern gewinnen konnte. Das versprach einen authentischen Blick auf die Zeit des Umbruchs ohne westlich-kunsthistorischen Filter. Auch ohne Vergleichsmöglichkeit, denke ich, das ist gelungen. Allerdings zeigt sich Tracy Rose in der Wahl ihrer Werke so schonungslos, dass auch ein «karnevalesker» Touch nicht verhehlen kann, dass sie mit Haut und Haaren, mit Geist und Seele in jedem Werk drin ist. Das ist grossartig und… verletzungs-gefährdet. Gegen Ende der Ausstellung kam es denn auch zu einem seitens Bern völlig ungewollten Eklat. Rose fühlte sich von den Bernern «benutzt» und reagierte lautstark. Im Nachhinein ist jedoch genau das die Essenz der Ausstellung. Indem sie aufzeigte, wie enorm vorsichtig man mit dem Werk einer durch die Zeitgeschichte verletzten und diskriminierten Künstlerin umgehen muss, wenn sie uns ihr Empfinden so direkt zeigt wie Tracy Rose. Denn das Trauma ist allgegenwärtig. Das wissen wir mit unserer ganz anderen Lebensgeschichte zu wenig.
Nr. 7: Der Körper im digitalen Leben im Kunsthaus Langenthal. Hätte ich hier einfach die meiner Ansicht nach 10 besten Ausstellungen auflisten wollen, wäre «Der Körper im digitalen Leben» vermutlich nicht in die Kränze gekommen. Aber: Es ist das erstaunliche und spannende Profil des Kunsthauses in Langenthal, dass hier u.a. junge Schweizer Künstler*innen eine Plattform erhalten, die dem Direktor – Raffael Dörig – individuell oder thematisch aufgefallen sind. Als Obmann der Eidgenössischen Kunstkommission, welche u.a., die Swiss Awards vergibt, hat er einen hervorragenden Einblick und erweitert diesen auch anderweitig. In der Ausstellung «Der Körper im digitalen Leben» ist es der thematische Ansatz, der ihn umtrieb und in einer medial und inhaltlich sehr breit angelegten Ausstellung von neun männlichen, weiblichen respektive transgender «Digital Born»-People zeigte. Darunter die raumgreifende Bandwurm-Installation von Victoria Holdt (siehe Bild oben), die mit Licht-Projektionen auf sich schlängelnde Formen aus Hautleim eine magische Atmosphäre schuf; mit dem gruseligen Hintergrund, dass sich die doppelgeschlechtlichen Würmer in menschlichen oder tierischen Körper vermehren. Mit der Raum-Installation Shimmering Shields als Gastkünstlerin der Auswahl 24 im Aargauer Kunsthaus, ist hier eine erfolgversprechende Karriere bereits en cours. Ganz anders bei Mona Filleul, die weiblich-verführerische Comic-Figuren doppelseitig in ein Raum-Gerüst montierte; von vorne als Glamour-Bildchen sichtbar, von hinten als Gewirr von Drähten.SIEHE BILD LINKS Und noch einmal ganz anders Thalles Piaget, der das Licht einer Makroaufnahme eines zerbrochenen Bildschirms in einem Spiegel bricht und das ganze animiert. Er versteht so einerseits Körper als «Bildkörper» und gleichzeitig weist er auf die geradezu körperliche Verbundenheit der «Digital Born» mit ihren Bildschirmen.Eine Ausstellung, die nicht zuletzt ein Bewusstsein für den Einfluss des Digitalen weit über ihre wirtschaftliche Bedeutung hinaus schafft.
Alle Fotos: azw