Wenn das schwere Eisen zum Flug ansetzt

Gedanken zum Schaffen von Ernst Jordi *1945 in Zollikofen/BE

Von Annelise Zwez

Spätestens nach einem ausgedehnten Besuch in Haus, Garten und Atelier von Ernst Jordi in Zollikofen bei Bern wird klar, warum Schreibende bisher der Versuchung, ein Essay über den Eisenplastiker zu schreiben anstelle eines die künstlerische Arbeit kritisch hinterfragenden Textes, nur selten widerstehen konnten. Leben, lieben und arbeiten, Gewachsenes, Gesammeltes und Geschaffenes sind an der Landgarbenstrasse 47 in Zollikofen so sehr eine Welt in sich, dass man sie nicht zerstückeln mag. Für den Künstler selbst ist das Umfeld, das seit 45 Jahren sein „Reich“ ist, so selbstverständlich, dass er anders empfindet und seine Werke gerne herausnimmt und in neue Räume stellt, seien sie realer oder gedanklicher Natur. Die Zielsetzung dieses Textes ist somit definiert, auch wenn die Atmosphäre des Ortes immer als Teil des kreativen Prozesses bedacht werden muss.

Die Geschichte der Schweizer Eisenplastik ist lang und reich. „Weibliche Figur mit Kind“ von 1933 des Berner Künstlers Serge Brignoni markiert den Beginn. Eine grosse Ausstellung in Dietikon bei Zürich, breitete das historische und das aktuelle Feld 1989 umfassend aus. Auch Ernst Jordi war mit dabei. Was sich damals zeigte, war einerseits eine grosse Vielfalt, andererseits sich kreuz und quer vernetzende Verwandtschaften, sowohl bei den im eigentlichen Sinn plastisch Formenden wie bei den konstruktiv Schaffenden. Die Härte des Materials Eisen setzt den Kunstschaffenden sowohl durch sich selbst wie in Bezug auf die Bearbeitungsmöglichkeiten Grenzen und führt daher automatisch zu vergleichbaren Formsprachen. So gibt es zum Beispiel materialgegebene und technische Verwandtschaften unter den, ausgehend von Guglio Gonzales, mit geschnittenem Blech Gestaltenden; unter den, ausgehend von Pablo Picasso, mit Stäben oder Draht in den Raum Zeichnenden und unter den, ausgehend von Eduardo Chillida,  mit schwerem, massivem Eisen Arbeitenden. Und je länger die Epoche der Eisenplastik dauert, desto mehr durchwirken sich die Methoden. Eine formale Erweiterung brachte in den 50er Jahren die Verwendung von Altmetall im grossen Stil ( im Kleinen praktizierte dies der Amerikaner David Smith schon in den 30er Jahren). Nicht zuletzt die Kriegsmaschinerie hatte die Metallbearbeitung technisch vorangetrieben, was in der Folge zu den ersten Abfallhalden führte.

Als sich Bernhard Luginbühl und bald darauf auch Jean Tinguely und andere bei Von Roll und weiteren Stahlfirmen als Recycler einschrieben, legte der 10jährige Ernst Jordi seine ersten Sammlungen von tausenderlei Dingen an. Er hatte das Glück, über Platz zu verfügen, um seine Schätze zu horten und er hatte Eltern, die ihren Sohn frei gewähren liessen. So verschaffte er sich durch Knaben-Basteleien aller Art Befreiung vom Schulfrust. Ueber eine handwerkliche Ausbildung später zur freien Kunst zu gelangen, hat in der Schweiz (früher mehr als heute) Tradition. Ernst Jordi absolvierte eine Lehre als Mechaniker. Eine Zollikofer Familie nahm ihn, um seine Interesse wissend, gelegentlich zu Ausstellungsbesuchen mit. Später besuchte er Freikurse an der Kunstgewerbeschule Bern und reiste während zweier Jahre um die Welt, mit längeren Stationen in Australien und Südafrika. Der Weg zur Kunst war indes ein langer, umsomehr als die Existenzgrundlage bis in die 80er Jahre mit Berufsarbeit verdient werden musste. Seine frühen Arbeiten hat er, als er sie als „Kitsch“ erkannte, zerstört. Sein gültiges Werk wird erst Mitte der 70er Jahre fassbar. Es sind angenehm weich und harmonisch schwingende, oft grossformatige Formen aus getriebenem Eisenblech: Freistehende Plastiken, von der Decke herunterhängende Pendel, für die Wand gestaltete Reliefs. Das Harte weich erscheinen lassen, das Statische in Schwingung versetzen, das Unbezähmbare zähmen, die eigenen Grenzen hinausschieben, die Knöpfe aufspringen lassen, sich selber das eigene Können, die eigene Kraft beweisen. Das waren sowohl auf der aesthetischen wie der psychische Ebene die Triebfedern der Arbeiten der 70er Jahre und darüber hinaus. Zum Teil wirken sie bis heute als innere Motivation. Dass die allein in der ersten im alten Schopf eingerichteten Schmiedewerkstatt bewältigte, enorme physische Arbeit letztlich kein künstlerisches Kriterium war, erkannte Ernst Jordi erst langsam. Die intensive Zwiesprache mit dem Eisen, die Plastiken entstehen liess wie es sie  vom arbeitsmässigen Aufwand her nur selten gibt, war indes wichtig; Ernst Jordi gehört zu den wenigen Eisenplastikern heute, die ihr Material von seiner Beschaffenheit her bis ins Innerste kennen.

Um und vor allem nach 1980 beginnt Ernst Jordi vermehrt Altmetall zu verwenden und bringt damit wie von selbst erzählerische, zuweilen surreale Momente in seine bisher ungegenständliche Formensprache ein. Auch er hat nun eine „Lizenz“ für die Alteisen-Halden bei Von Roll etc. Zum entscheidenden Aufbruch zu grösserer gestalterischer und materialmässiger Freiheit tragen zwei Momente bei. Zum einen wird in dieser Zeit die Geschichte der Skulptur des 20. Jahrhunderts erstmals in grossen Ausstellungen aufgearbeitet, 1977 in Münster (D), 1980 und 1984 im Wenken- respektive Merian-Park in Basel und ist somit fortan in enzyklopädischer Form greifbar. Zum andern beeindruckt Ernst Jordi 1981 der Besuch des Karnevals in Venedig nachhaltig. Ob er ihn an die archaischen Kulturen erinnerte, denen er auf seiner Weltreise begegnete? Anlässlich seiner dritten Ausstellung in der Galerie von Elisabeth Staffelbach in Lenzburg (1983) schrieb die Autorin dieses Textes in einem Zeitungsartikel u.a.: “ Noch keine zwei Jahre sind es, dass Ernst Jordi am Karneval von Venedig den lautlos durch die toten Gassen eilenden, traditionellen venezianischen Masken begegnet ist. Seither verfolgen sie ihn und nehmen immer neue Züge an, blicken ihn aus immer anderen Formen und Teilen seiner Altmetall-Sammlung an; unendlich ist die Zahl der Gesichter…. Oft bewegen sie sich an der Grenze des gerade noch Erkennbaren, oft sind sie aber auch  „teuflisch“, „bös“, „aggressiv“, „zynisch“ oder  „schalkhaft“, „verspielt“….

Schon nach wenigen Jahren verwischen sich die anekdotischen Momente, die abstrakten Grund-Themen des Geballten, potentiell zum Sprung oder zum Flug ansetzenden schieben sich wieder in den Vordergrund. Stilistisch nun allerdings als Synthese des bisher Erarbeiteten, das heisst als Grenzgang zwischen Ungegenständlichkeit und assoziativer Benennbarkeit. Die insektoiden Rüssel- und Langfühlertiere männlicher Prägung lassen vielfach keinen Zweifel an ihrer zurückgehaltenen Kraft. Und die vogelähnlichen Flügelkörper verwandeln in der Imagination das Gewicht des Eisens in konzentrierte Flugenergie. Mehr oder weniger veränderte Altmetallteile –  mit Ausnahme von Riffelblechen und Gittern selten funktionell fassbar  – und mit Feuer und Hammer Geformtes bilden als Konglomerate die künstlerische Gestalt. Das oft bereits Halbzerlegte oder zumindest Verbogene der Fundmetalle wird in den Entstehungsvorgang integriert.

Entscheidend für die künstlerische Entwicklung ist Ernst Jordis Mut zur „Spontaneität“. Eisen und spontanes Gestalten – was für Gegensätze! Erfahrung, Können und vor allem auch Vertrauen in die eigene Visionen erlauben es dem Künstler seit etwa 10 Jahren aufs Zeichnen zu verzichten, aus der direkten Zwiesprache von Material und Gestaltungsdrang zu arbeiten. Auch bei Wettbewerben arbeitet er lieber mit Modellen als mit Plänen. Ernst Jordi ist kein Kopfmensch und kein Konzeptkünstler. So war die Zeichnung, die Vorstellung fasst, die anschliessend in Eisen ausgeführt wird, für Ernst Jordi immer latent ein Hindernis. Während sich in der Gleichzeitigkeit des kreativen und des ausführungsmässigen Prozesses die Sprache der Befindlichkeit, der Lust, auch der Aggression, des Schalks oder des Traums unmittelbar äussern kann. Ernst Jordi lässt indes dem Gefühlsmässigen nicht unkontrollierten Lauf. Ueber „Skulpturen-familien“ – Arbeiten mit ähnlicher Thematik und Gestalt – bringt er Momente bewussten Ausschöpfens von formal-aesthetischen Möglich-keiten in die Arbeit ein. Es kommt ihm dabei entgegen, dass, im Gegensatz etwa zum Steinbildhauer, die Technik der Assemblage Formkorrekturen erlaubt.

 

Nichtsdestotrotz gehören Ernst Jordis Skulpturen der zweiten Hälfte der 80er Jahre eng in den Kontext der Geschichte der Eisenplastik. Die Nähe zu Bernhard Luginbühl, die man ihm – gerade im Raum Bern – immer wieder vorwirft, ist indes eine viel zu lokal geprägte Sicht. Ernst Jordi ist eine jüngere Generation und kennt somit den ganzen, eisenplastischen Formenreichtum des 20. Jahrhunderts. Nähe kann man darum überallhin konstruieren und immer stimmt sie und gleichzeitig auch nicht, weil Ernst Jordi die Fortsetzung dessen schreibt, was – mitbeeinflusst von den Materialgegebenheiten – im einen oder anderen Aspekt im Laufe des Jahrhunderts vorformuliert wurde. Er gehört auch zu den wenigen Schweizer Eisenplastikern seines Alters, die nie als Assistenten für Jean Tinguely oder Bernhard Luginbühl  gearbeitet haben. So bewusst wie er auch Schrauben und Muttern konsequent auf der Altmetallhalde liegen lässt….Die interessante Frage ist eigentlich, wohin sich all die mit Alteisen arbeitenden Plastiker bewegen werden, wenn eines Tages die Halden wirklich geräumt sind. Wer Ernst Jordis Arbeiten daraufhin beobachtet, wird sehen, dass sich der Künstler sehr wohl darauf vorbereitet und bereits jetzt vermehrt industrielle Eisenteile verwendet.

 

Die Skulpturen der 80er Jahre kann man als ein Herantasten an die „zeichnerische“ Freiheit bezeichnen. Seit etwa 1990 ist indes eine neue Leichtigkeit zu beobachten; in Werken, die zum bisher Eigenständigsten und Eigenwilligsten in Ernst Jordis Oeuvre zählen. Bezeichnenderweise sind es primär die Bewegung und Fliegen thematisierenden Arbeiten, die sich weiterentwickelten. Waren die Flügelschlag und über „flatternde“ Linearelemente Bewegung symbolisierenden Skulpturen von 1990/92 noch auf einer Stele fixiert, so sitzen die jüngsten, vorläufig noch kleinformatigen und feingliedrigen Arbeiten mit einem einzigen Dorn in einem Becher – die einfachste Form eines mechanischen Lagers – sodass sie sich bei jedem Windstoss wenden, biegen und drehen als wären sie lebendig. Kinetische Arbeiten der 60er Jahre tauchen aus der Erinnerung auf, solche von George Rickey zum Beispiel, der auch mit Schwerpunktver-lagerungen arbeitete, doch ist die kinetische Kunst primär eine geometrisch-konstruktive. Und Jean Tinguelys bewegte Plastiken werden von Motoren angetrieben, etwas, das Ernst Jordi für sich energisch ablehnt. Die Freude, endlich einen Weg gefunden zu haben, Bewegung real und nur aufgrund physikalischer Gesetzmässigkeit ins skulpturale Geschehen zu integrieren, beflügelt Ernst Jordi indes. Das Wippen der kleinen, formal nach wie vor insektoid wirkenden Arbeiten bringt ihn auf die, von Kinderspielzeugen her wohlbekannte Idee von eigentlichen Wipp-Plastiken. Ausgehend von gerundetem Alteisen entstehen Arbeiten, welche die Standfläche schalen- oder bogenförmig berühren. Aus dieser Schwerpunktverdichtung wächst, analog früherer Skulpturen, eine Aufwärts- oder Vorwärtsbewegung, die durch die Verwendung von Sägeblättern, Stahlfedern, Drahtseilen, gar Bremskabel oder Tachometersaiten das Wippen der Basisform aufnehmen, verselbständigen und vor allem in den Zeit-Raum ausdehnen. Vom künstlerischen Ausdrucksimpuls her ist auch diese Gruppe 1995 entstandener Arbeiten nicht grundlegend neu – da ist die alte Faszination des Verschlungenen, Konzentrierten, das in den Raum stösst und sich befreit. Aber durch das Phänomen der Bewegung im Raum hat Ernst Jordi der Thematik eine skulptural neue Dimension gegeben, die in ihrer Fragilität auch das stets präsente Motiv des harten Eisens in weicher Form erneuert. Und seiner Art entsprechend, treibt es ihn gleich weiter; er verschiebt die Schwerpunkte von unten nach oben, lässt die Plastik schwingen bis an ihre eigenen Grenzen. Man könnte sagen, dass im Gesamtausdruck an die Stelle der Imagination das subtile Geschehen getreten ist. Die wirklich freie Bewegung im Raum bleibt indes auch für den Plastiker Ernst Jordi selbst in den neuen, bewegten Arbeiten menschlicher Traum.

Bild: Sammlung der Stadt Biel online