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VERNISSAGEREDE FUER EVA BERTSCHINGER ANLAESSLICH IHRER AUSSTELLUNG IN DER GALERIE IM TRUDELHAUS IN BADEN SEPTEMBER 1992

Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren

Die Zürcher Künstlerin Eva Bertschinger stellt erstmals im Aargau, das heisst auch erstmals hier in Baden aus. Aus der Optik der Grosstädte schweizerischen Masses wird der Aargau oft als Provinz betrachtet. Ein namhafter Zürcher Kunstkritiker sagte mir einmal auf meine Hin- und Her-Reiserei anspielend: „Weisst Du, ich habe es eigentlich gut, ich muss Zürich gar nicht verlassen, alles was in der Kunst wichtig ist, kommt einmal nach Zürich“. Und das Gegenstück: Ich habe kürzlich in der Biographie eines Aargauer Künstlers mit internationalen Ambitionen gelesen, er wohne in Baden bei Zürich. Und auch von Beat Wismer, dem Konservator des Aargauer Kunsthauses, weiss ich, dass er im Ausland – notgedrungen – sagt, Aarau liege zwischen Basel und Zürich.

Nun sage ich dies bestimmt nicht, um zu beweisen, dass der Aargau tatsächlich „Provinz“ ist. Man kann nämlich auch Gegenteiliges beobachten und dies gilt im Uebrigen nicht nur für den Aargau, sondern auch für andere, vergleichbare Regionen, die Innerschweiz zum Beispiel aber auch St.Gallen. Als ich Eva Bertschinger im Vorfeld dieser Ansprache bat, sie möge mir doch einen Presse-Spiegel geben, um mich ein bisschen einzulesen, sagte sie mir, allzu viele Texte gebe es leider nicht; eigentlich seien nur damals als sie bei Bea Mitschjeta in St.Gallen ausgestellt habe, Kritiken erschienen. Daraus zu schliessen, dass es sich bei Eva Bertschinger um eine unbekannte Künstlerin handelt, ist falsch. Ausstellungen in der letztes Jahr leider dem Anti-Kunst-Boom zum Opfer gefallenen Galerie Brigitta Rosenberg ist auch für Zürich eine Reverenz. Aber in der grossen Stadt Zürich hat die lokale Kunstkritik – das kunstvermittelnde Eingehen aufs Geschehen vor Ort – nicht dieselbe Bedeutung wie zum Beispiel im Aargau. Gewiss, diese Situation hat etwas mit Umfang und Grösse und Zahl zu tun, aber man kann trotzdem behaupten, dass hier im Aargau die Ausstellungen auf Galerienebene von der Presse nicht abqualifizierend mit Kunstmarkt gleichgesetzt werden, sondern als Kunst- Ereignisse betrachtet werden, die eine geistige Auseinandersetzung fordern. Dasselbe spiegelt sich in der Tradition dieses Hauses, Ausstellungen mit Ansprachen zu eröffnen – etwas, das man in Zürich kaum kennt. Der Aargau als Hort der Kunstbetrachtung? – Wohl schon etwas hoch gegriffen, aber diesbezüglich sicher nicht Provinz abseits von Zürich.

Ich denke, so ein bisschen Kulturpolitisches gehört auch in eine Vernissagerede. Damit ich nun aber nicht quasi meinen eigenen Beweis mit Füssen trete, wechsle ich das Thema nun schnell:

Eva Bertschingers neuere Arbeiten sind durch den teilweisen Wechsel der Materialien mehrheitlich kompakter geworden. Das Offene, Lufträume Umschliessende ist – fast – verschwunden. Auch Raum-Skelette sehen wir keine mehr. Es ist als wäre die Künstlerin aus ihren scheinbar abschirmenden Luft-Türmen herausgetreten, als hätte sie die subtil vergitterten „Fenster“ geöffnet und greife nun mit kräftigeren, mutigeren Händen direkter in Welt, aus der sie ihre Kunst schöpft. Das Thema hiess wohl schon immer „Leben“ und war immer ein Beobachten der eigenen und der anderen Lebensvorgänge, der Lebensempfindungen auch. Aber erst jetzt, da sie dieses Thema näher an sich herangenommen hat, wird es fassbar. Ich möchte diese Entwicklung nicht hierarchisch , nicht qualitativ werten, da auch die früheren Arbeiten ausserordentlich waren, sondern ich sehe hier einfach einen Wandel in der Zeit und auch im Leben. Vielleicht gehe ich zu weit, wenn ich das Gefühl habe, in diesem Wandel spiegle sich die junge Mutterschaft der Künstlerin. Mir scheint, dass dieses für jede Frau tiefgreifende Erlebnis, hier eine unmittelbarere Beziehung zum Leben, zu den Lebensprozessen, auch zum Zusammen-Leben ausgelöst hat. Wobei aber eine lineare Verbindung, quasi eine Reduktion der Werke auf dieses Thema der Komplexität des Denkens und Empfindes von Eva Bertschinger nicht gerecht würde.

Wir begegnen in dieser Ausstellung zwei Hauptgruppen von Werken, die sich in einem Fall verbinden. Auf der Primärebene sind es zwei Materialien, die bestimmend sind, das Holz auf der einen Seite, Beton, respektive Zementstein verschiedener Zusammen-setzung auf der anderen Seite. Ausgehend von dieser „Mauer“, die zugleich kompakt, geometrisch, sachlich wirkt , in der Durchdringung aber auch eine starke Sinnlichkeit in sich trägt, könnte man verleitet sein, den Stein als männlich, das Holz als weiblich zu definieren. Tatsächlich gelten die Bäume in vielen Kulturen als weiblich, und den harten Stein mit Männlichkeit in Verbindung zu bringen ist eh kein Problem, doch Eva Bertschinger sind symbolische Bedeutungen suspekt und sie durchkreuzt sie auch gehörig mit ihrem eigenen Werk. In dieses Aufheben von Eindeutigkeiten gehört vielleicht auch die spontane Entscheidung der Künstlerin, den architektonisch sehr betonten Raum hier kurzerhand so verändern, dass seine Stufen, seine Schichtungen teilweise verschwinden.

Es ist eigenartig, die Frage nach sinnbildlicher Bedeutung, nach Symbolik begleitet einem assoziativ praktisch durch die ganze Ausstellung, aber nie hat sie die Künstlerin bewusst anvisiert. Es ist als passiere sie einfach. Ein Beispiel: Im obersten Stock finden wir die sogenannten „Angstbogen“ – der Titel bezieht sich auf seiner äusseren Ebene auf die Bogen, welche die Bauherren im Mittelalter, in der Zeit der Gotik, zwischen den einzelnen Stufen der Kathedralen angebracht haben, um beide Teile zu stützen. Diese „Angstbogen“, die natürlich auch im übertragenen Sinn mit dem gegenseitigen Stützen zu tun haben, bestehen aus je sieben Elementen. Die Zahl Sieben ist eine reichbefrachtete – von den 7 Tagen der Schöpfung über die 7 Steine der Weisen über die Sieben-Jahr-Schritte bei Rudolf Steiner usw. Eva Bertschinger verneint für sich diese Symbolik in dem Sinn, dass sie keinen bewussten Akt darstelle, dass sich die sieben Steine einfach so ergeben hätten aus der künstlerischen Idee. Nun ist es ja aber just das Interessante, dass die Symbolik wirkt, ob wir um sie wissen oder nicht. Nur so kann sie ja archetypische Schichtung in unserem Sein darstellen.

Manchmal gibt es auch Symboliken, die nicht so tiefgreifend, dafür aber erheiternd sind. Seit ich mit dem Werk der Künstlerin Emma Kunz, deren Werke in Würenlos ja nun öffentlich zugänglich sind, sehr vertraut bin, habe ich die Tendenz, überall zu zählen. So habe ich bei der Mauer natürlich schnell die Jahrringe gezählt und dabei mit „moralischer“ Genugtuung festgestellt, dass die Balkenstücke, die dich ausgezählt habe, volljährig sind.

Spass beiseite – die Mauer beinhaltet dieses Männlich/Weibliche zweifellos, aber man kann als weitere Bedeutungsschicht natürlich auch einfach vom Gebauten und vom Gewachsenen sprechen, vom bauenden Menschen und der wachsenden Natur, die hier in enger Verbindung stehen, ja sogar von der Aufgabe des Menschen, die Natur zu tragen. Der Dialog zwischen Mensch und Natur ist auch Thema der geschichteten Holzbänder hier im Parterre und im obersten Stock. Zunächst war da ein Balken – der irgendwo einmal getragen hat und dann nicht mehr gebraucht wurde. Ihn hat Eva Bertschinger in feine Tranchen geschnitten, und so quasi sein Innenleben freigelegt. Die Jahrringe, die von Zeit, aber auch von guten und schlechten Jahren erzählen, geben den Bändern ihre „malerische“ Struktur. Dieses Offene, dieses Ausgebreitete, dieses Diagramm eines Lebens löst starke Empfindungen, vielleicht sogar so etwas wie Ehrfurcht aus. Die Begrenzungen im Kantigen verweisen auf die Eingriffe, auf das Nutzen durch den Menschen, aber im Zerschneiden macht die Künstlerin sichtbar, dass die inneren Strukturen immer noch da sind und die Linien, die sie in feinfühligem Rhythmus betont, lassen das Lebendige auf der Ebene der Empfindung wiedererstehen. Ob die Farben Symbolbedeutung haben oder nicht….. darüber haben wir schon gesprochen.

Wenn diese Arbeiten gelebtes Leben in der Zeit zeigen, so spiegeln die runden und gerundeten „Steine“ über uns die ungelebte Kraft des Lebendigen. Die sinnlichen Formen erinnern an Zellen, an Samen, an Früchte, an Aufbrechendes, an Einschliessendes, an Geballtes, kurz vor der Explosion Stehendes. Sie scheinen uns alle schwer, versteinert, aber der Schein trügt, es gibt auch leichte Kugeln und so ist auch nicht sicher, ob sie nun vesteinert sind, oder ob der Prozess umgekehrt läuft, ob das Leben nicht erst kommt. Alle diese Kugeln – und das macht sie, glaube ich, so faszinierend, beinhalten ein Versprechen. Sie liegen zwar am Boden, aber irgendwie schweben sie auch oder tragen zumindest die Möglichkeit der Bewegung in sich. Die Bewegung, die den Aufbruch auslösen könnte. Vielleicht. Simon Maurer, der Zürcher Kunstkritiker, hat kürzlich in Bezug auf eine Ausstellung in der Kunsthalle Bern von „der Kalkulation des Vagen“ gesprochen und es dabei negativ geprägt, wenn es vom Kopf kommt, und positiv, wenn es vom Herz bestimmt ist. Das Herz – das ist so ein komischer Begriff, wenn ich ihn ersetze durch Körper, dann beginnt er zu klingen, zumal dieses Geheimnisvolle dieser Kugeln, das ich eben nur vage einschätzen kann, sehr bestimmt Körperliches in sich trägt und damit auch ein Stück von mir und von dir.

Als dritte – oder präziser eigentlich als erste – Werkgruppe in dieser Ausstellung möchte ich die aquarellierten Zeichnungen bezeichnen. Sie stehen am Anfang der Gestaltungsprozesse, in ihnen nehmen Gefühle und Gedanken erstmals Form an. Das Ineinanderwirken von kleinen Skizzen und bildhaften Anordnungen zeigt, dass es Forschungsblätter sind, die zugleich Fragen stellen wie auch Antworten zu geben suchen. Im Gegensatz zu den Skulpturen und Wandobjekten, die einen hohen Reduzierungsgrad aufweisen, enthalten die Papierarbeiten noch Erzählerisches, ja sogar einen Anflug von Surrealem; die Kugeln mit den Durchbohrungen sind noch zu einer Kette gefasst, oder sie sind – stark verkleinert – zur Spirale gedreht. Später entschliesst sich die Künstlerin dann für einen Extrakt, den sie in dreidimensionale Form bringt und dabei von allem ihr überflüssig Scheinenden befreit. Es spiegelt sich hier die typisch europäische Form von Minimal Art, die nicht Form um ihrer selbst willen ist, sondern eine inhaltliche Dimension bis an die Grenze des noch Fassbaren reduziert ohne indes seine Komplexität preiszugeben.

Ich danke fürs Zuhören.