VERNISSAGEREDE FüR STEPHANIE GROB ANLAESSLICH IHRER AUSSTELLUNG IN DER GALERIE PENDENZ IN WINTERTHUR, SEPTEMBER 1992

Annelise Zwez

Liebe Freunde der Galerie Pendenz, liebe Stéphanie

Vor gut einer Woche habe ich für die Zürcher Künstlerin Eva Bertschinger anlässlich ihrer Ausstellungsvernissage in der Galerie im Trudelhaus in Baden gesprochen. Dabei sagte ich – allerdings mit einem Fragezeichen verbunden – ich hätte den Eindruck dass die Entwicklung in Eva Bertschingers Kunst von Luftraum umschliessenden Türmen zu handfesten „Mauern“ und körperhaften „Kugeln“ aus Holz respektive Beton oder Zementstein von ihrer jungen Mutterschaft vorangetrieben sein könnte. Nun stehe ich hier vor den neuen Arbeiten von Stéphanie Grob, die in nichts vergleichbar sind mit jenen der um 6 Jahre älteren Eva Bertschinger, und ich bin wieder überzeugt, diesmal sogar ohne Fragezeichen, dass die Triebkraft für den Wandel in der bildnerischen Gestaltung hin zu den hier ausgestellten Werken ausgelöst ist von der Fülle der Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Wachsen und Gebären eines Kindes im und aus dem eigenen Körper und der daraus entstehenden innigen Körperbeziehung zwischen Mutter und Kind.

Ich könnte mir vorstellen, dass junge Väter – und solche gibt es hier im Raum – nun plötzlich so etwas wie einen Klumpen spüren in ihrem Bauch, der undefiniert frägt: und Ich? Denn was ich bisher als mögliche künstlerische Triebkraft für Künstlerinnen beschrieben habe, ist geschlechtsspezifisch. Und ich möchte da gleich relativieren. Beim Schreiben dieses Textes ist mir – und das hat mit der Kraft der Zeichnungen zu tun, die vor dem inneren Auge aufgestiegen sind – beim Schreiben sind mir die Kohleblätter des Basler Künstlers Ueli Michel in den Sinn gekommen – grosse runde, nach unten gerichtete, helle Köpfe, die aus einer dunklen Umgebung heraus wachsen. Sie entstanden  kurz nach der Geburt seiner ersten Tochter vor vielleicht 7 Jahren. Also auch das ist möglich, aber, während bei der Frau die Erfahrung aus dem eigenen Körper heraus einfach da ist, ob man sie gerufen hat oder nicht, fordert sie vom Mann eine Anteilnahme und ist so möglich, aber nicht zwingend.

Ich habe in Bezug auf Stéphanie Grob von Wandel gesprochen. Dieser Wandel hat sich ohne stilistischen oder materialmässigen Bruch vollzogen. Das zuallerst Augenscheinlichste ist, dass statt eines „Hirsches“  – die Künstlerin spricht offener vom „Geweih-Tier“ –  dass statt dieses springenden, unsteten, männlich geprägten, mit langen Hörnern stossenden oder auch umfassenden, gar einfangenden Tieres nun ein „Krokodil“ als Begleiterin der weiblichen Figuren im Bild erscheint. Auch diesmal ist der Begriff „Krokodil“ nicht naturwissenschaftlich zu verstehen,umsoweniger als die klassische Assoziation zu „Krokodil“ – abgesehen von den Handtaschen – ein offenes, zähnebesetztes Maul bringt, das  – im Film zumindest – irgendwelche Amazonas-Abenteurer verschlingt. Diese Krokodile hier haben nichts damit zu tun. Was sie mit dem lebendigen Krokodil gemeinsam haben, ist zunächst eine formale Verwandschaft, dann auch dieses stummelige, bodennahe, kriechende und schliesslich die Liebe zum Wasser, die aber nicht Lebensbedingung ist. Stéphanie Grob hat sich in diesem Krokodil ein Zeichen geschaffen, das sie in einer formal und inhaltlich begrenzten Bandbreite mit Gefühlen und Vorstellungen aufladen kann, um damit zu Bildern zu gelangen. Aufgrund des bereits Gesagten liegt es nun auf der Hand, dass die weibliche Figur und das Krokodil etwas mit der Mutter und ihrer kleinen Tochter zu tun haben. Allerdings muss nun gleich  festgehalten werden, dass eine lineare Dialektik allzu einfach wäre. Denn wie schon beim Geweih-Tier und auch – in anderen Bildern – beim „Ohren-Tier“ wählt Stéphanie Grob immer Kreaturen, die zeitgeschichtlich in weit zurückliegende Vergangenheit reichen. Beim Hirsch hat die Kunstkritik immer wieder auf die Beziehung zur Höhlenmalerei hingewiesen, hier nun beim Krokodil ist es die Echse, die assoziativ den Weg zurück zu Ur-Tieren weist. Und auch das wolfähnliche „Ohren-Tier“ schafft auf einer psychischen Ebene Spannungsbogen zu Mythen – und natürlich auch Märchen. So verkörpern alle drei Tier-Typen, zu denen sich wohl in Zukunft noch der Vogel – oder das Flieg-Tier –  gesellen wird ( auf einigen Bildern im Atelier habe ich es schon entdeckt)- alle Tier-Typen verkörpern einen Bezug zu Archaischem, ganz tief in uns Wurzelndem, wozu auch das Bezugsnetz zum anderen Geschlecht, das Zeugen, Tragen, Gebären, Aufziehen von Nachwuchs gehört. Die Bilder von Stéphanie Grob, die für sie selbst und ihr Leben jetzt Gegenwart bedeuten, meinen also gleichzeitig das aus der Gegenwart in die Vergangenheit zurück Gültige, oder – umgekehrt – das Gemeinsame, Archetypische, das sich zwar im Laufe der Jahrmillionen wandelt, im Kern alles Lebendige aber über die Zeit hinweg prägt.

Im Zeichen Tier ist darüberhinaus die Grenze zwischen Mensch und Tier – die ja in vielen Kulturen und vor allem im Christentum hierarchisch definiert ist – aufgehoben, der Mensch ist eingebunden in ein Naturganzes. Darin spiegelt sich auch unsere Zeit – Kunst entsteht immer in der Zeit – die vielen Menschen eine neue, wenn auch oftmals nicht real gelebte, Beziehung zur Natur gebracht hat; eine Beziehung, die von jener Zärtlichkeit geprägt ist, die sich auch in der Mutter-Kind-Beziehung äussert. Eine Mischung aus Zuneigung und Sorge, die sich gleichermassen auf das Andere wie das Eigene, auf das Du wie das Ich bezieht. Wir sehen das in den Bildern von Stéphanie Grob sehr schön indem Krokodil und Figur ja in einem gleichwertigen Beziehungsnetz stehen. Das Betrachten, das Beobachten geht immer einher mit dem Fühlen, ist immer ausserhalb und innerhalb der Körper.

Wenn ich die Augen schliesse und etwas ältere Bilder – nicht Zeichnungen – von Stéphanie Grob aus der Erinnerung hole, so sind die Farben blau, gelb, rostrot neben schwarz dominierend. Diese Natur evozierenden Farben sind in dieser Kombination fast verschwunden, teilweise fehlt die Farbe fast ganz. Stéphanie Grob war bisher nie eine Malerin im Sinne der Peinture. Ihr war immer die Bewegung, die Linie, die frei schlingert oder eine Form umreisst wichtiger als eine verdichtende Farbe. Nun ist aber auch diese Farbe teilweise weg, vielleicht nur noch da als Hintergrund, als Raum- und/oder Lichtandeutung, vielleicht auch als Umrandung, als Abgrenzung verschiedener Weiss-, Grau-, Schwarztöne. Es gibt Bilder im Atelier, die nur aus grauen Schichten bestehen, in die Zeichnung hineingewoben ist. In diesen Krokodil-Bildern hier dominiert eine Palette von weiss bis schwarz mit wenig Farbgrund, die jedoch zum Teil flächiger eingesetzt ist als je zuvor. Aus dem Gespräch mit der Künstlerin habe ich herausgespürt, dass sie damit bildnerisch die Tiefe erreichen will, in der sich das Bild-Erleben abspielt. Es sind ja Projektionen innerer Bilder, die wir sehen. Diese spiegeln zwar Aeusseres, so wie wir es mit unseren Augen in unseren Körper hineinnehmen, aber das Optische wird in uns mit Gefühlen aufgeladen, in einem für uns im Grunde abstrakten Körperraum – wir können wir ja nicht definieren, wo in uns dass diese Uebertragung stattfindet – im Hirn vielleicht, aber als Vibration nehmen wir sie eher im Bauch wahr – wo – wir wissen es eigentlich nicht. Und dieses Moment greift Stéphanie Grob sehr schön auf, indem sie dieses Vage in Nicht-Farbigkeit übersetzt, sie aber im Hintergrund doch andeutet und sei es nur als Lichtraum. Dasselbe gilt ja auch für die Schwangerschaft – wir wissen zwar, dass das Kind im Bauch wächst, aber wir sehen es nicht und zwar selbst dann nicht, wenn wir von hypertechnischen Filmen her heute wissen, wie es in diesem Bauch aussieht. Aber das sind wieder die zwei Ebenen: die optische und die emotionelle. Wenn nun hier ein Krokodil in einer Blase in Bezug zu einer weissen Figur erscheint, so begreifen wir die Situation, aber gleichzeitig nimmt Stéphanie Grob das Realitätsmoment so weit weg, dass sie wieder beim Zeichen ist, das sich formen, aufladen, wandeln lässt und doch die Essenz bedeutet.

Diese Vielschichtigkeit in der scheinbar einfachen Erzählung, das ist es, was die Arbeiten von Stéphanie Grob so faszinierend macht – in jeder Werkgruppe – ich kann hier nicht auf alles eingehen –  immer wieder neu.

Ich habe schon einmal angedeutet, dass jede Kunst Ausdruck ihrer Zeit ist. Stéphanie Grob, 1957 in Solothurn geboren, aber seit langen Jahren in Basel wohnhaft, arbeitet seit rund 10 Jahren als freie Künstlerin. 10 Jahre zurück – 1982. Es ist die Zeit, da auf der internationalen Ebene die „wilden Männer“ ihre Emotionen in Gesten und Farben austoben. Wie sich heute zeigt, war das kurzlebig. Oder anders ausgedrückt: Wichtig aus jener Zeit ist nicht das Laute, sondern das Leise, das sich nun in sehr individuellen Bildforschungen kontinuierlich entwickelt. Stéphanie Grob hat in diesem Sinn vom Aufbruch der frühen 80er Jahre zu einer neuen Sinnlichkeit, einer neuen Körperbetontheit profitiert. Vielleicht kann man sogar soweit gehen, zu sagen, dass diese Entwicklung, die übrigens sehr viel mit der Frauenbewegung wie sie sich in den 70er Jahren entwickelte, zu tun hat, dass diese Entwicklung zum Persönlichen Stéphanie Grob den Weg zum Ausdruck des eigenen Selbst öffnete. Wäre diese Attraktion – im Sinne von Anziehung – nicht da gewesen, vielleicht wäre Stéphanie Grob Zeichenlehrerin geworden wie es ihrer Ausbildung entspricht. So aber öffnete sich da ein Gefäss, das sie mit Bildern füllen konnte. Das ist nicht selbst-verständlich. Denn wie gross die Fülle ist, das zeigen immer wieder die Zeichnungen ,die sehr schnell, eine nach der anderen entstehen und zwar in einer formalen Vielgestaltigkeit, die mich bei jedem Blättern in den vollen Mappen überwältigt. Dieser Fundus, dieser Bildreichtum! Nur ein Bruchteil wird dann zur Serie, zur eigentlichen Bild-Untersuchung in Reihen, aber nur die Fülle kann die Substanz ins Einzelne bringen und nur das konzentrierte Schaffen an einem Thema die Konzentration, die es braucht, um bei anderer Gelegenheit wieder loszulassen, Blatt für Blatt. So durchdringt sich das Bild-Gewölbe im Innern mit der Energie der Vereinzelung zu einem Werk, das getragen ist vom Versuch, dem Leben ein Bild zu geben.

Ich danke fürs Zuhören.