Christopher Bledowski

Zwischen Intimität und Kollektiv

oder

Hände: Zum Arbeiten, Streicheln und….Töten

oder

Die subversive Kraft latenter Macht

Annelise Zwez

Im Rausch der 68er Jahre begannen wir alle davon zu träumen, Individuen zu sein. Die „Selbstverwirklichung“ wurde zum Schlagwort der Lebensphilosophien, das „Ich“ zum Massstab der Weltsicht. Heute bröckelt der Glaube an den Traum. Die Ohnmacht angesichts von Kriegen und Umwelt-Katastrophen lässt die Bedeutung des „Ich“ lächerlich erscheinen. Darum wundert es nicht, dass „Masse und Macht“ von Elias Canetti in intellektuellen Kreisen neue Beachtung findet. Das bereits 1960 erstmals erschienene, philosophische Essay begreift die Menschheitsgeschichte als evolutionäre Struktur verschiedenartiger Massen. Als stärkste Kraft erkennt der Autor dabei den unauslöschlichen Wachstumsdrang der meisten Kollektive.

Im Atelier von Christopher Bledowski im Zürcher Schöllerareal gibt es neben künstlerischen Arbeiten eine Vielzahl von Büchern. Ausser dem Englisch-Deutsch Wörterbuch wirkt indes keines so völlig zerlesen wie….Canettis „Masse und Macht“. Schon seit Jahren befasst sich der Künstler mit den Lebensstrukturen der Gesellschaft. Er untersucht die schwer durchdringbaren Mechanismen zwischen privaten und öffentlichen Kodierungen; man könnte auch sagen die Spannungen zwischen individuellen und kollektiven Regelungen.

Charakteristisch für die theoretische und praktische Arbeitsweise des Künstlers ist der Begriff des „Work in Progress“. Damit sind nicht nur die ständig wechselnden Techniken und die Vielfalt der Materialien gemeint, die der Künstler einsetzt; auch nicht primär die Aufhebung des kunstgeschichtlichen Werk-Begriffs zugunsten von sich stetig verändernden Installationen. Die genannten Faktoren wirken zwar verstärkend, „Work in Progress“ bedeutet bei Christopher Bledowski aber in erster Linie die durchgehende Verneinung affirmativer oder festlegender Denk- oder Verhaltensmuster. Wie schon Paolo Bianchi in einem Katalog von 1991 betonte, ist Christopher Bledowski der beste Kritiker seiner eigenen Werke. Das heisst, der Künstler selbst betrachtet seine Arbeiten nicht als Behauptungen, nicht als Erkenntnisse, sondern als fortschreitende, experimentelle Annäherungen an komplexe Inhalte. Was konsequenterweise auch die Möglichkeit des Scheiterns miteinschliesst.

In der Selbstreflexion, vor allem aber im Austausch mit den Kunst-Betrachtenden, untersucht der Künstler, wie sich die Arbeiten assoziativ aufladen und im Denkprozess zu Bedeutung gelangen. Dass das Publikum Teil der Kunst ist, mag an der Basis eine kunstgeschichtliche Binsen-wahrheit sein, die Forderung wird von heutigen Künstler(innen) aber neu gestellt; Christopher Bledowski ist da nicht allein. Der Begriff der Kunstbetrachtenden  als „User“ ( Benutzende) ist schon fast ein Modewort geworden. Primär wird damit eine Gegenposition zu jener Kunst formuliert, die sich mit nichts als sich selbst befasst und kommunikationslos um sich selbst dreht. Die Kern-Frage, die sich Gegen-Künstlern wie Christopher Bledowski stellt, ist diejenige nach „Bildern“, die emotionell und intellektuell so viel Schubkraft haben, dass sie die Lust auf „Benützung“ unmittelbar auslösen. Das heisst, es müssen in irgendeiner Form archaische Strukturen angesprochen werden, die tief eingeschriebene Erfahrungen im Menschen aktivieren. Die in Elias Canettis „Masse und Macht“ formulierten Erkenntnisse bilden hierbei eine mögliche Struktur.

Installation in der Ausstellung „Brit Art“ im Kunsthaus Glarus 1991_92

Dass in einem solchen Kontext der Mensch als Figur oder als Symbol, als Körper oder als Zeichen einen möglichen Vordergrund stellt, liegt auf der Hand. Es können dabei aber einzelne Aspekte ebenso wichtig sein wie die Annäherung an die Ganzheit. Bei Christopher Bledowski finden wir beides.

Die zentrale Installation in der im März 1993 in der Galerie Ursula Siegenthaler realisierten Ausstellung bringt wesentliche Charakteristika der Denk- und Arbeitsweise des Künstlers auf den Punkt: Sie besteht aus zehn längsrechteckigen, niedrigen, glasbedeckten Kuben, auf denen mehrere gefüllte Gipsschalen liegen mit je einem Paar Arbeits-Handschuhen obenauf. Die zehn mal drei weissen Neonröhren im Innern der Kuben bilden zusammen mit dem metallverstärkten Industrie-Deck-Glas, den begrenzenden, weiss gestrichenen Metallrahmen und den seitlichen Holzwänden eine klar geometrisch angelegte Skulptur. Das grelle Licht, das von unten heraufscheint, irritiert das Auge. Das Licht ist weder wärmend, noch gibt es irgend eine Sicht auf etwas frei. Im Gegenteil, es blendet; es ist unangenehm. Man kann auch nicht ( wie zum Beispiel bei Werken von Jean Tinguely) mit dem Fuss auf einen Drücker stehen und es ein- und ausschalten. Es ist – wie die Strassenlampen in den Grosstädten nachts  – einfach immer da.

Das Auge wehrt sich. Es sucht Halt in den schalenförmigen Gips-Objekten, die in regelmässigen Abständen auf dem Glas plaziert sind und so ins Zentrum des Blickes rücken. Die Kommunikation findet auf zwei Ebenen statt: Einerseits findet ein Zwiegespräch mit dem einzelnen Objekt statt; die Form, die Gegenstände, die Materialien lösen im Dialog mit den subjektiven Erfahrungen der „User“ Assoziationen aus. Der Rahmen ist intim, die Grössenverhältnisse zwischen Objekt und Betrachter(in) sind klar definiert. Das Zwiegespräch wird jedoch gesprengt sobald der Blick auf den Raum ausgeweitet wird und die Multiplikation der „Tische“ und der Objekte völlig andere Empfindungen auslösen. Der oder die Einzelne steht nun einer Masse gegenüber, die ungemein herausfordernder wirkt als das einzelne Objekt. Die Kommunikation betrifft nun nicht mehr nur den Kopf ( das Denken), sondern den ganzen Körper. Freund oder Feind? Die teils neuen, teils von Gebrauch gezeichneten Arbeitshandschuhe, die in unverfeinerter Art in die Oberfläche jedes Objektes eingegipst sind, gehören nicht mehr einem einzelnen „Du“ oder gar dem eigenen „Ich“, sondern einer Vielzahl von Unbekannten. Auch die Frage, ob es sich bei den seitlich rauh, um die Trennlinie jedoch liebevoll und fein geformten Gipsobjekten um Opferschalen handeln könnte, wird nun bedrängend.

Und Unsicherheit macht sich breit, ob – Canetti folgend – von irgendwoher Kraft einfliessen könnte, welche die brachliegenden „Hände“ zum Aufbruch drängen würde. Denn so fest sind die Hand-Hüllen nicht eingegipst, dass nicht menschliche Kraft das Gefüge auseinanderbrechen könnte. Die Installation hat, so betrachtet, klar politischen Charakter. Bledowski nennt die Installation „Codes: Directory“. Er spielt dabei mit der englischen Doppelbedeutung des Wortes, das sowohl „Adressbuch“ wie auch „Direktorium“ meint. Dass ersteres letztlich überwiegt, zeigt der Künstler indem er jedes Gipsobjekt  mit einer Etikette versieht, auf welcher ein Zitat aus „Masse und Macht“ notiert ist. Im Gesamt-Oeuvre von Christopher Bledowski figuriert die Arbeit aber gleichzeitig unter dem Obertitel „Codes: Public and Private Images“. Die politische Ebene von „Directory“ ist öffentlich, sie betrifft die Gesellschaft. Dieser Bedeutung gegenüber steht für Bledowski aber stets auch die individuelle, die private. Die Kraft der „gefangenen“ Hände bezieht sich also nicht nur auf die Umwelt, die Wirtschaft und die Gesellschaft, sondern  auch direkt auf die über Kunst Nachsinnenden selbst.

In der Galerie Ursula Siegenthaler stellt Christopher Bledowski den „Tischen“ zwei fotografische Werkgruppen entgegen, welche die Thematik in ihrer Ambivalenz steigern. Die eine Gruppe von ungefähr 100 direkt ( das heisst ohne schützendes Glas) an die Wand befestigten Fotografien zeigen in schwarz/weissen Negativ-Drucken wiederum eine Vielzahl von Handschuhen, die auf nicht näher definierbarem Grund liegen. Es handelt sich hier um eine „Collaboration“, das heisst die Fotos stammen in ihrer Farbversion von Peter Brandtner. Bledoswki setzt sie in seiner Installation als veränderte „Fundstücke“ ein. Dass es sich um weggeworfene Handschuhe, die Peter Brandtner im Hafen von Genua entdeckte und ( vielleicht ) in Erinnerung an frühere „Handschuh“-Arbeiten von Bledowski fotografierte, spielt nur bedingt eine Rolle. Zwar verstärkt das Wissen die Bedeutung von „Arbeit“ respektive „Arbeitlosigkeit“ im Kontext der Installation, aber Bledowski zeigt die Negative, also quasi die Kehrseite, die in diesem Fall rein optisch den Eindruck einer Art Stoff-Wechsel erwirkt. Im übertragenen Sinn wird so das Indirekte, das Latente, das Unsichtbare, das unter der Oberfläche Dräuende betont;  der Bereich auch, in dem die Antwort auf die Frage nach der Kraft der Veränderung wurzelt. Canetti spricht von der ruhenden Masse, die sich aufgrund innerer und äusserer Faktoren in eine revolutionäre Masse verwandeln kann.

Die zweite Fotoserie, die Bledowski den „Tischen“ gegenüber-stellt, ist scheinbar ganz anderer Natur. Es sind 24 erotische Darstellungen, die – im Gegensatz zu den Handschuhen – als schwarz/weisse Fotografien in schweren Metallrahmen präsentiert werden. Auch hier gibt es mehrere Bedeutungsebenen. Die einen beziehen sich auf die Fotoserie als autonome Arbeit, die anderen schwingen mit der Raumatmosphäre als Ganzes. Handschuhe, wie sie bisher im Zentrum der Ueberlegungen standen, sind immer Hüllen. In den Hüllen aber ist Körper. Diesen Aspekt evozieren die sinnlichen Fotografien einer nackten Frau respektive eines nackten Mannes mit Nachdruck. Vom privaten Aspekt der Handschuh-Objekte zu den erotischen Fotografien wirkt eine direkte Spannungslinie. Hände sind nicht nur zum Arbeiten da, sondern auch zum Streicheln, aber ebenso zum Töten. Das Spektrum der Befindlichkeiten im Raum weitet sich bis an die Grenze des Ertragbaren.

Die Erotik-Reihe ruht aber gleichzeitig in sich selbst. Denn in ihr sind die Strukturen von öffentlich und privat noch einmal eng verschränkt. Die Frau, der Mann posieren in Haltungen, die im „Sex-Zeitalter“ in jedem einschlägigen Heft nachgeschaut werden können. Lüstern, schmachtend, sadistisch, masochistisch….  präsentieren sie sich. Der Kunst-Kontext wird durch skulpturale Adjektive betont – da versinnbildlicht eine Neon-Röhre männliche Energie, dort wird ein Penis à la Louise Bourgeois zum Lustobjekt für die Frau. Auch Robert Mapplethorpe, Francesca Woodman und andere Künstler(innen) haben Vorlagen geliefert. Die Reihe ist eine  einzige  Summe von Zitaten. Es ist quasi der öffentliche Blick auf die Erotik, der Code „Erotik“, den Christopher Bledowski zeigt. Das Resultat ist einerseits eine Desensibilisierung. Das heisst, die erregende Identifikation mit dem Bildgeschehen findet  zunächst nur noch auf einer vorgelagerten Ebene zum Körper statt, nicht aber in ihm drin. Das mindert auch die geschlechtsspezifische Betrachtungsweise. Die Bedrohung, die der nackte, nur im Gesichtsbereich vermummte Mann mit einem ganzen Arsenal von Messern in Griffnähe, ausstrahlen könnte, wirkt nur als Metapher. Vermutlich weil der Code öffentlich so stark besetzt ist und weil wir – zweifellos als Schutz der eigenen Persönlichkeit – gelernt haben ( oder gelernt zu haben meinen), öffentlich und privat zu trennen. Das Subversive, das auch in der Handschuh-Installation wirkt, ist allerdings auch da präsent; vielleicht ist es sogar noch stärker weil wir uns vehement dagegen wehren. Wir verbannen die private Reaktion, um nicht von ihr getroffen zu werden.

Ein Blick auf die körperliche Erscheinung von Christopher Bledowski und seiner Frau, der Malerin Chantal Wicki, zeigt, dass die beiden sich selbst zu den Modellen der Reihe gemacht haben. Damit wird die Dialektik von öffentlich und privat noch einmal eng verwoben. Die privaten Erlebnisse des Kunstprozesses stehen für das Paar in nochmals verschärfter Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Bild einerseits, ihrem öffentlichen Kunstwerk andererseits. Die theatralischen Selbstbildnisse sind somit auch eine Auseinandersetzung mit dem Status des Künstlers und der Künstlerin, die als Private Kunst schaffen und als Oeffentliche der Kritik ausgesetzt sind.

 

Die insgesamt eher emotionale Arbeitsweise im Hauptraum der Galerie wird im Soussol kontrastiert durch eine primär analytische, geometrische Arbeit, die durch Musik von Peter Kubala jedoch affektiv gesteigert wird. Zu sehen sind zunächst als Wandmalerei ausgeführte, waagrechte, schwarze und weisse Bänder. Daran lehnen streifenartig geschnittene Glasplatten, auf denen senkrecht angelegte Worte zu lesen sind. Neon-Röhren bilden Licht-Strukturen. Zu lesen sind Titel einzelner Kapitel aus Canettis „Masse und Macht“. Etwa: „Der Befehl: Flucht und Stachel“ oder „Selbstvermehrung und Selbstverzehrung“ oder “ Die Toten als die Ueberlebten“ oder „Verteilung und Vermehrung. Sozialismus und Produktion“ oder „Zur Dynamik des Krieges: Der erste Tote“. Es sind klar Zitate, die Bledowski verwendet; was er hinzufügt ist ein Ordnungsraster, mit Zwischenräumen, mit schwarzen und weissen Zonen. Bedeutsam ist, dass diese Installation im Untergeschoss verwirklicht ist, also quasi unter den anderen Arbeiten. Für die im Hauptraum Stehenden ist sie unsichtbar. Damit fügt er den Codierungen privater und öffentlicher Bilder einen archaischen Code hinzu, der die Dialektik von Individuum und Kollektiv überhaupt erst entwirft.

Christopher Bledowski ist nicht ein Künstler, der um der Kunst willen „Bilder“ schafft. Sondern ein Künstler, der an der Janusköpfigkeit, der Verlogenheit der Gesellschaft leidet und darum als Denkender und Fühlender „Bilder“ schaffen will, welche die innere Bedrängnis in äusseren Ausdruck wandeln. Seine Methode ist dabei eine sehr komplexe, weil sie versucht, die emotionelle und die strukturelle Seite eines Themas gleichzeitig zu visualisieren. Und dies nicht nur aus einer „Ich“- Optik heraus, sondern  ebenso als Annäherung an gesamtgesellschaft-liche Zusammenhänge. Die Umsetzung erfolgt dabei meistens in einer Gestaltungsform, die näher am Leben ist als an der Kunst, die Kunst – und Kultur(geschichte) aber als Teile des  öffentlichen Lebens miteinbezieht.  Es wird darin das filmische Denken, das sich Christopher Bledowski schon während seiner Ausbildung in London angeeignet hat, spürbar. Zum Beispiel durch das Selbstverständnis mit welchem Bledowski künstlerische Techniken mischt. Allein in der Ausstellung in der Galerie Ursula Siegenthaler tritt Bledowski als Bildhauer, als Objektkünstler, als Fotograf und als Maler in Erscheinung, ohne jedoch die Gattungen zu trennen.

Christopher Bledowskis Kunstschaffen vertritt eine Haltung, die heute und in Zukunft grosse Bedeutung hat. Denn sie tritt an gegen die politische Apathie einer Gesellschaft, die sich mehr und mehr in sich selbst zurückzieht und zulässt, dass die Welt zerstört wird. Bledowskis Vorgehen ist dabei aber nicht nur kämpferischer Natur, sondern beruht auf einem Reflexions-Modus, welcher die Fundamente menschlichen Verhaltens als Gegebenheiten im Sinne Canettis berücksichtigen will.