Dundakova Maria Villiger Rene Aarau 1993
Worte zur Vernissage
Gedanken zur Eröffnung der Ausstellung René Villiger und Maria Dundakova in den Büroräumlichkeiten der Publicitas Aarau
24. Juni 1993
www.annelisezwez.ch
Sehr geehrte Damen und Herren
Sie mögen gestaunt haben, dass sie – gerade in dieser Zeit – zur Eröffnung der neuen Publicitas nicht zu einem Anlass mit wirtschaftlichem Hintergrund eingeladen worden sind, sondern zur Vernissage einer kleinen Kunstausstellung. Ich habe auch gestaunt, doppelt sogar, mir dann Gedanken gemacht und mich schliesslich gefreut. Das „doppelt“ kam als mir Rolf Hunziker gestern gegen Abend erzählte, er hätte im Rahmen der Vorbereitungen für die heutige Veranstaltung zunächst nicht weniger als 50 Bilder abhängen müssen, um Platz zu schaffen für die Arbeiten von Maria Dundakova und René Villiger, die nun rund um Sie herum auf Sie einwirken. Schon vorher waren solche Klänge im Raum als die jungen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit erstaunlicher Vertrautheit Bilder aufhängten, dabei auf Unter- und Obermasse Rücksicht nahmen und sich wunderten, dass an die eine Wand kein Bild kommen solle. „Vielleicht bringt der Künstler morgen noch welche“, beruhigten sie sich.
Meine Damen und Herren, das ist nicht selbstverständlich. In gewissen Firmen wird heute unter dem Schlagwort „Corporate Identity“ Kunst als Ausdruck von Kreativät in die Firmenphilosophie integriert. Solch grosser Worte hat es hier wohl nie bedurft, da war ganz einfach ein Chef, der seine Freude an der bildenden Kunst nicht in seine privaten „Vier Wände“ eingeschlossen hat, sondern mit seiner Begeisterungsfähigkeit ganz offensichtlich eine ganze „Mann- respektive Frau-schaft“ angesteckt hat. Werner Hirschi ist seit langen Jahren Mitglied des Vereins für Originalgraphik – eine Gemeinschaft, die Graphik nicht einseitig als Vervielfältigungsmethode betrachtet, sondern mit ihren Aufträgen stets jene Künstlerinnen und Künstler fördert, die Lithographie, Radierung, Prägedruck usw. als ganz spezielle Techniken betrachten, um zu ganz speziellen Resultaten zu gelangen.
Sowohl René Villiger wie Maria Dundakova haben Blätter für den Verein für Originalgraphik geschaffen. Und das erklärt nun auch, warum gerade diese beiden Kunstschaffenden hier einen Akzent in die lokale Firmengeschichte setzen. Für René Villiger ist es übrigens bereits das zweite Mal. Schon als man diese Räumlichkeiten hier 1987 erstmals eingeweiht hat, fand eine kleine Ausstellung statt, aber das wundert ja nun nicht mehr. Neben Werken von René Villiger waren damals Arbeiten von Carlo Ringier und Hans Leutwyler zu sehen.
Erlauben sie mir noch einen Gedanken, bevor ich auf die hier ausgestellten Werke eingehe: Bilder – Skulpturen sind leider aus räumlichen Gründen seltener möglich – Bilder in Arbeitsräume zu integrieren, ist nicht einfach eine „spleenige“ Idee eines Chefs mit einem besonderen Interesse. Die Wirtschaftsphilosophen – was es heute nicht alles gibt! – die Vordenker in Sachen Arbeitsklima haben die Ueberzeugung, dass sich Kunst als kreativer Ausdruck positiv auf die Atmosphäre einer Arbeitsgemeinschaft auswirken kann, nicht aus der Luft gegriffen. Die Kunst verkörpert so etwas wie eine Gegenwelt oder zumindest eine andere Welt.
Sie kann uns mit ihrer bildnerischen Kraft immer wieder von unseren Scheuklappen befreien indem sie uns entführt, sei es in eine Landschaft der Empfindungen, sei es in einen Ausdruck von Aufbruch, von Mut, vielleicht sogar Revolution – jede Neuerung ist eine kleine Revolution. Kunst kann uns auch einen Spiegel vorhalten, Masken vom Gesicht nehmen, aufzeigen wie klein wir sind im Vergleich zur Grösse der Welt, ja gar des Kosmos. Ein Bild ist zwar meist eine Fläche oder nur andeutungsweise räumlich, aber die Künstler und Künstlerinnen arbeiten mit unserer Fähigkeit, das Sichtbare aufzuladen mit der Fülle unserer Vorstellungskraft. Schon der Philosoph Schopenhauer, der die moderne Kunst massgeblich beeinflusst hat, sagte gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die Welt, die Wirklichkeit ist nichts Anderes als unsere Vorstellung davon, eine objektive Realität gibt es nicht.
Wenn wir hier in der Schule wären, dann müssten Sie wohl im Anschluss an ihr Da-Sein einen Aufsatz über die Bilder, die sie hier sehen, schreiben. Und wenn sie ihre Gedanken ohne Anlehnung an links oder rechts formulierten, dann hätten wir hier am Schluss so viele Meinungen, Haltungen, Kombinationen und Assoziationen wie Menschen hier sind. Kunst ist ein Gefäss, in dem wir alle mit uns selbst Platz haben – gerade das macht sie so spannend und manchmal auch so tröstend.
Dass das eben Formulierte leicht in die Werke von Maria Dundakova und René Villiger einfliesst, haben sie sicher bemerkt, schliesslich war die Kraft der Ausstrahlung ihrer Werke ja auch in meiner Vorstellung bei mir als ich die Gedanken heute morgen im Hinblick auf heute abend dem Computer anvertraute. Wenn ich nun zuerst auf René Villiger eingehe, so entspricht das keiner Wertung, sondern eher dem Gefühl, seine Arbeiten seien, rein gewichtsmässig, leichter. Das hängt natürlich auch mit der Technik der Zeichnung, so wie er sie einsetzt, zusammen; dieses schnelle, spontane, virtuose „Schreiben“, das den Eindruck vermittelt, die Hand habe die Bilder einfach so heraus-geschüttet.
Wenn ich nun versuche zu orten, wo in meinem Körper, ich auf die Ausdrucksformen der beiden Kunstschaffenden reagiere, so habe ich den Eindruck – die Vorstellung! – René Villigers Visionen bildeten so etwas wie einen Kranz um meinen Kopf. Er suggeriert mir das natürlich auch, indem dieses Bild ja von ihm selbst stammt. Die Köpfe sind ihm meist wichtiger als der Rest des Körpers; seine Phantasien entwachsen oft direkt dem Kopf. Sie mögen jetzt denken: „Kunststück, ist ja auch so, das Hirn ist schliesslich im Kopf“. Jein, möchte ich ihnen antworten. Wenn ich nämlich dasselbe Spiel des Ortens von Empfindung auf Maria Dundakova übertrage, so spüre ich Gewicht, das eigentlich stärker im Körper drin sitzt und nur mit Mühe über den Kopf zu Worten findet.
Wenn ich ein Bild von René Villiger beschreiben soll, so ist das nicht so schwer, da ich ja die Gesichter, die Figuren, die Häuser, die Tiere in einer mir vertrauten Optik sehe, auch wenn das Davor und Dahinter, das Vorder- und das Hintergründige, das Abgebildete und das Vorgestellte in einem komplexen Wechselspiel stehen. Diese Art des Sehens und Umsetzens entspricht jedoch eher den Gewohnheiten unserer Gesellschaft und das macht die Arbeiten von René Villiger auch so freundlich, so unmittelbar.
In die Tiefen der Werke von Maria Dundakova hinabzusteigen ist viel schwieriger, da die Künstlerin nicht primär mit der uns bekannten Optik arbeitet, sondern in Spuren, in Zeichen, in Symbolen zu uns spricht. Als die Menschen noch nicht so zungengewandt waren wie heute, als die Zeichen der Natur – der Aufgang und der Untergang der Sonne zum Beispiel -, die Sprache der Welt waren, als Spuren die Wege lenkten und nicht Strassenkarten, als der Mensch sich noch eingebunden fühlte in ein magisch-rundes Weltbild, als Riten und Kulte das Weltverständnis prägten anstelle von philosophischen Diskursen, da wäre es vielleicht umgekehrt gewesen – da wären die Arbeiten von Maria Dundakova die leichter verständlichen gewesen.
Aber so wie es Reichtum bringt, wenn wir uns in alte Kulturen vertiefen, wenn wir erkennen, dass „primitiv“ ein völlig falsches Wort ist um sogenannt unterentwickelte Volksstämme – in Afrika zum Beispiel – zu verstehen, so ist es auch völlig falsch die leichter verständliche Kunst gegen uns fremdere, ungewohntere Ausdrucksformen auszuspielen. Im Kern sind sich die Arbeiten von René Villiger und Maria Dundakova nämlich gar nicht so fern. In beiden Werken ist der Wunsch verkörpert, der Gegenwartsebene, dem Alltag eine andere Welt entgegenzustellen. René Villiger greift dabei oft zum Bild des Zirkus, des Clowns, des Artisten oder auch des Musikers, um die Gleichzeitigkeit von äusseren und inneren Bildern aufzuzeigen, um die Gefühlsebene, den Reichtum an Empfindungen auszudrücken. Dass sich im Kleid des Clowns wohl oft der Künstler selbst versteckt, ist unschwer zu erraten und gerade an den Clown-Figuren – René Villiger hat ja fast eine kleine Retrospektive aufgebaut – können wir seine persönliche und seine künstlerische Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte ablesen. Eine Zeichnung, so habe ich gesehen, trägt die Jahrzahl 1961.
Maria Dundakova hingegen sucht die Gegenwelt in der faszinierenden Fülle von Spuren, in denen sich – unsichtbar und unscheinbar – die Unendlichkeit spiegelt. Wenn wir einen Stein aufheben, so heben wir gleichzeitig die Spur einer Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen von Jahre alten Geschichte auf. Steine empfinden wir als nichts Aussergewöhnliches, ausser wir werden uns in einem besonderen Moment der Dimension bewusst, die in einem in der Hand liegenden Stein liegt. Wissen und Nichtwissen sind dabei ganz nahe beeinander. In diesen Werken von Maria Dundakova gibt es zwar keine Steine, aber es ist dieses Denken, das die Arbeiten prägt; im wahrsten Sinne des Wortes. Viele der übermalten Prägedrucke sind unter dem Eindruck der Beschäftigung mit Irland und James Joyce entstanden.
Maria Dundakova nahm 1991 an einem grossen Ausstellungsprojekt in Dublin teil. Irland ist mit seiner keltischen Tradition ein Land, das wie kaum ein anderes erlaubt, Echo zu spüren. Echo ist ein wichtiges Wort für Maria Dundakova, denn das, was uns ergreift, wenn wir in einem Moment der Konzentration das Umfassende der Natur spüren, ist nichts anderes als ein Echo. Und was die Künstlerin in ihre Holzstöcke eingräbt oder auch nur aus den vorgefundenen Strukturen herausholt, ist nichts anderes als eine Visualisierung dieses facettenreichen Echos, das in Worte kaum zu fassen ist. Um das Echogefühl nicht zu verlieren, prägt sie es schliesslich ins Papier ein. Wichtig ist ihr aber dabei aber die Spur der Gegenwart, das Kolorieren mit Pinsel und – meist – blauer und goldener Farbe als symbolischen Ausdruck von Sonne und Wasser, ohne die Leben auf unserem Planeten nicht möglich ist, nie möglich war und nie möglich sein wird.
Nun wünsche ich Ihnen viel Vergnügen beim Gang durch die Bilder. Lassen Sie die Phantasie laufen und lachen sie über die Türme von Bildern, die sich über ihren Köpfen formen und lassen sie Schwingungen zu, die sich echogleich durch den Raum ausbreiten mögen. Ich danke fürs Zuhören.