VERNISSAGEREDE FüR ERNST HäUSERMANN ANLäSSLICH SEINER AUSSTELLUNG IN DER GALERIE IN LENZBURG VON ELISABETH STAFFELBACH

  1. Februar bis 12. März 1994

 

Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Ernst

Wenn ein Künstler „zuhause“ ausstellt, und eine Kritikerin spricht, die daselbst schon mehr als 20 Jahre schreibt, und dies in einer Galerie, die es  – am Kunstbetrieb gemessen – schon seit Urzeiten gibt, besteht die Gefahr, dass man nickt und denkt, „ja, ja, den kenne ich und was die schreibt, das weiss ich und die Räume, die habe ich schon mehrfach gesehen“. Genau das gilt es heute zu widerlegen.

Ich werde also nicht vom Töpfer Ernst Häusermann sprechen — oder etwa doch? Die Antwort ist gar nicht so einfach. Denn das Faszinierende ist ja, dass ein Künstler – wir alle – im Heute nur denken und gestalten können, was im Vorangegangenen angelegt ist, selbst wenn Form und Inhalt dies nicht auf den ersten Blick verraten. Ernst Häusermann gehört glücklicherweise nicht zu jenen Kunstschaffenden, die Früheres eigenartig verneinen, im Gegenteil, die Wandlungsstrukturen, deren Netze oft unbewusst gespannt werden, sind dem Künstler im Nachhinein oft Ansatz zum Denken und.. Weiterspinnen. Wenn ich überlege, so wird mir bewusst, dass diese vernetzende Denkweise – im Gegensatz zu einer linearen – ein wichtiger roter Faden ist, der sich durch Ernst Häusermanns breit angelegtes künstlerisches Schaffensfeld zieht. Und plötzlich sehe ich die Wandobjekte aus einer Vielzahl von weiss gestrichenen, komplex ineinandergreifenden Stecken vor mir, die Ernst Häusermann vor zwei Jahren hier ausgestellt hat. „Natur und Struktur“ habe ich damals in der Bildlegende notiert; das ist doch in anderen Worten nichts anders als „Wachstum – Entwicklung – und Vernetzung“. Wobei ein Netz – das gilt es, sich zu merken – nie etwas Kompaktes ist, sondern Einzelnes in Beziehung zueinander stellt.

Jene Geflechte aus Stecken – es gibt sie auch als Linien auf Papier – waren so komplex, dass wir hier nur drei Aeste mit ihren Verzweigungen herausgreifen können. Sie entsprechen den drei Werkgruppen, die Ernst Häusermann ab heute hier zeigt. Sie sehen es: Es sind zum einen kreislinienförmig angelegte, geschlossene Dreieckskörper aus weissem Ton oder Stahlblech, die nur als Linie den Boden berühren. Es sind andererseits offene Trichterformen aus Ton und Eisen, die konisch in eine Punktöffnung münden. Und es sind drittens dichtbeschriebene Zeichnungen mit  nur leicht verjüngten, vertikalen Gefässen, denen in einem Fall die materialisierte Ton-Form gegenübersteht. Müsste ich Antwort darauf geben, in welcher Art mich die drei Gruppen betreffen, so würde ich die stachligen Trichter dem Körperlichen zuordnen. Die durch Rundung auf nur einer Linie Standfestigkeit suchenden Skulpturen rückte ich in die Nähe der reflektierenden optischen Wahrnehmung. Und die Zeichnungen samt Tongefäss würde ich als Aufforderung zum Dialog charakteri-sieren.

Und der Kitt, der die drei zusammenhält?  Diese Antwort ist nicht so einfach.

Ich glaube, ich muss Ihnen zuerst erzählen, wie es zu den in ihrer heutigen Form ungegenständlich wirkenden Plastiken kam. Ich muss dazu – auf der Basis eines Gesprächs mit dem Künstler – etwas ausholen. Erstens: Beim Töpfern ist der Boden des Gefässes ganz klar die Standfläche. Entsprechend kommt ihm Bedeutung zu. Zweitens: Gefäss und Wasser haben eine uralte Beziehung zueinander, wobei nicht das Gefäss vom Wasser, sondern das Wasser vom Gefäss abhängig ist.  Nun gibt es aber auch „Gefässe“, bei denen alles in gewissem Sinn umgekehrt ist: Die Schiffe. Sie tragen das Wasser nicht in sich, sondern schwimmen in ihm. Und sie brauchen keinen Boden, sondern eine keilförmige Verjüngung, die ins Wasser eindringt. Diese Faszination steht am Anfang der Arbeiten, die wir hier sehen. „Schiffe“ sind in der Aargauer Kunst nichts Ungewöhnliches; ich erinnere nur etwa an die Schiffe von Markus Müller oder an jene von Felix Stampfli oder an die Barken von Heidi Widmer. Neuestens hat sich auch die Architektur ihrer bemächtigt – wobei ich natürlich nicht die Aarfähre in Biberstein meine, sondern den Schiffs-Coop an der Hauptstrasse in Wohlen. Bei Ernst Häusermann geht es weder um reale noch um symbolische Schiffe, sondern vielmehr um das Prinzip „Schiff“ und auch das primär von den Formeigenschaften her. Sie wissen alle, dass Schiffe ans Land zu ziehen eine aufwendige Sache ist. Auch Ernst Häusermann ging es darum die Schiffe ans Trockene zu bringen. Erinnern Sie sich der Ausstellung von Ernst Häusermann von 1987, hier in diesem Räumen? Damals waren die „Schiffe“ noch als solche erkennbar. Sie brauchten schräge Stützen, um zu stehen und das Wasser war als horizontale Wellenform indirekt präsent. Ganz befriedigte ihn diese Lösung damals vermutlich noch nicht, darum gärte es wahrscheinlich weiter. Und über einige Umwege kam es dann zur vorliegenden Lösung nach dem einfachen physikalischen Prinzip, dass ein in eine Linie mündender Körper steht, wenn er leicht gerundet ist. Nun müssen wir uns natürlich hüten davor, diese Erkenntis in den Mittelpunkt zu rücken, das wäre viel zu banal. Der Entscheid, dieses Prinzip anzunehmen und über viele Facetten bis hin zu Materialwechsel zu untersuchen umfasst natürlich all das Vorangegangene im Sinne des eingangs skizzierten, vernetzenden Denkens. Mit dem Entscheid – das ist etwas, was mich von der Komplexität her auszuloten interessiert – wird die Herleitung vom Gefäss über das Schiff im Wasser zum Schiff im Trockenen etc. gleichzeitig gegenstandslos, aber sie ist als Prozess wichtig. Ich habe vorher von „Seitenästen“ gesprochen – solche wachsen nur, wenn ein Stamm vorhanden ist. Und dieser Stamm ist der Künstler, der sich seit mehr als 25 Jahren mit dem Thema „Gefäss“ auseinandersetzt. Wenn ich oben nach dem „Kitt“ gefragt habe, so ist dieser just diese Auseinandersetzung mit dem Gefäss, die sich mit der Lust am Denken in die facetten-reiche Untersuchung von abstrakten Körpern verwandeln kann, sich mit eher emotionalen Stosskräften aber auch in ganz andere Richtung entwickeln kann. Dafür stehen in dieser Ausstellung diese faszinierenden Trichter, deren Noppen man zunächst weich, gummig erwartet und dann die greifende Hand erschreckt zurückzieht, weil die vermeintlichen Noppen harte Stacheln aus Metall sind. Das Erlebnis dieser Beschaffenheit löst nicht eine primär intellektuelle, sondern eher eine körperliche Reaktion aus. Umsomehr als genaues Hinsehen zeigt, dass die Metallstifte nicht nach dem Brennen der Tonform eingesteckt sind, sondern den Prozess des Brennes mitgemacht haben. In diesem Empfindungsraum springt auch die Assoziation von der Trichterform zum Gefäss unseres eigenen Körpers. Wie war das doch eingangs beim Gefäss und dem Wasser? Da wurde doch in der Ueberlegung das Innen mit dem Aussen vertauscht. Und hier? Eigentlich auch. Denn der Trichter zeigt in erster Linie Innenraum, den Körper sehen wir aber – wenn ich in die Runde schaue – primär von Aussen. Gottseidank. Dieses Spannungsfeld ist angeleuchtet in Ernst Häusermanns Trichtern und dass es komplex ist, zeigen die Arbeiten mit ihrer glatten, auch geometrisch präzisen Aussenform und ihrer vielteiligen inneren Zäpfchenstruktur sehr direkt. Ich denke Biologen würden jetzt Parallelen ziehen zu bestimmten Rezeptorenfeldern in unserem Körper, zu Naturerscheinungen ganz allgemein. Hier sehe ich diese metallenen, spiralförmigen Teppiche indes weniger als Sinnbild organischer Funktionen, sondern eher als Struktur für den Empfang und die Verarbeitung psychischer Reize. Und gerade darum mag ich die Stachligkeit der Arbeiten, auch wenn eine weiche, schmiegsame Struktur vielleicht weniger anstrengend wäre.

Es liegt nun nahe, auf die Getrenntheit von Intellekt einerseits, Emotion andererseits zu schliessen. Man kann das tun und dabei auch auf einen sehr bestimmenden Zustand unserer Gesellschaft verweisen. Aber so einfach ist es selten und bei Ernst Häusermann schon gar nicht. Zum einen ist der Stamm identisch. Und zum andern hat Ernst Häusermann mit der Wahl der Masse bei den abstrakten Plastiken ganz bewusst immer wieder sich selbst eingebracht – die Kreislinie des Armes zum Beispiel –  oder auch – in den Tonarbeiten –  die Spuren der Finger sichtbar belassen. „Entscheidend ist, dass ich mich neben einer gefundenen Form wohl fühle“, sagte mir Ernst Häusermann im Gespräch. Und in den Trichtern widerspricht die präzise geometrische Form, die im Gegensatz zur offenen Kreislinie auf einen Punkt mündet, dem allzu einseitig oder auch unbewusst Emotionalen deutlich. Ich denke es ist für die Rezeption wichtig, das zu erkennen. Und da ist schliesslich noch die dritte Werkgruppe, die quasi ein Bindeglied  zwischen den bisher skizzierten Richtungen darstellt. Wenn wir die gestischen Kürzel mit Bleistift und Kreide als seismographische Bewegungen aus dem Körper heraus betrachten und erkennen, dass sich die Plastizität der klar definierten Gefässform erst durch den konzentrierten Einsatz der „Chribel“ ergibt, so hat Ernst Häusermann in diesen Zeichnungen auch ein Bild dafür geschaffen, dass Körperlichkeit und Bewusstsein gemeinsam zu Verdichtung führen.

Ich danke fürs Zuhören.