www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Schaffhauser Nachrichten April 1994

Vielleicht Schwermut – Zur Installation von Christoph Rütimann im Museum Allerheiligen

 

 Auf den ersten Blick wirkt die Installation, die Christoph Rütimann für den Wechselausstellungssaal des Museums Allerheiligen konzipiert hat, nüchtern und, trotz der zwei mal sechs leuchtendgelben Farbtafeln, kalt. Wer nicht sensible Lust zum ein- und mitdenken aufbringt, wird sie möglicherweise als undurchdringbares System zurückweisen. Mag sein, dass das ihre Schwäche ist. Wer indes die Bausteine – die Papier-Stapel, die Wort-Wände und die gelbfarbigen Hinterglas-Malereien – als Spielfiguren versteht, die in komplexen Vernetzungen auf den Raum, das Museum, das Kloster reagieren, wird die strenge Reduktion der Mittel als Impuls für Vieldeutigkeit erkennen. „Christoph Rütimann“, so schreibt die Gast-Kuratorin Elisabeth Grossmann treffend, „hat die Fähigkeit, strikt zu analysieren, knapp zu formulieren und komplex zu denken“.

Eine der Charakteristiken der zeitgenössischen Kunst ist die Auflösung der Gattungsbereiche von Malerei und Skulptur. Bei Christoph Rütimann ist es wohl die Auseinandersetzung mit den aktuellen Erkenntnistheorien der Physik, welche das Agieren in einem vernetzten Feld verschiedenster Medien vorangetrieben hat. In seinem Werk stehen Zeichnung, Fotografie, Musik, Video, Performance, Malerei, Objekt und Skulptur gleichberechtigt und interkommunizierend nebeneinander. Dass die Installation – das Inszenieren von Teilen zu einem Raumganzen – dabei eine wichtige Rolle spielt, liegt auf der Hand. Im Laufe der Zeit haben sich die Installationen von Christoph Rütimann in ihrem äusseren Erscheinungsbild stetig vereinfacht. Man könnte sagen, der Künstler suche Strukturen, die gleichzeitig im Visuellen immer durchschaubarer werden wie in der Komplexität ihrer Denkfelder zunehmen.

Die Installation von Christoph Rütimann ist von ihren Bestandteilen her leicht fassbar. Sie besteht aus zwölf doppelwandigen Glastafeln im Format 1 x 1,75 Meter, von hinten mit gelber Farbe bemalt; aus sieben weissen Papierstapeln von 1 x 1 x 0.38 Metern, vier davon durch einen dunkelgrau gedruckten Mittelstreifen getrennt; und aus drei beidseitig beschrifteten, Kuben im Format von 50 x 2.70 bis 4 Meter, welche die Worte „viel, leicht, schwer, mut“ in vertikaler respektive diagonaler Andordnug tragen. Die erste Annäherung mag äusserlich sein: Viele, einzeln leichte Papiere bilden zusammen schwere Stapel. Drei der gegebenen Worte sind dabei eingesetzt. Wesentlich schwieriger wird es, wenn die Worte sich zu „viel-leicht schwer-mut“ verbünden, einer durch und durch emotionalen Aussage inmitten einer scheinbar rationalen Anordnung. Diese lässt sich von ihren Proportionen her am besten erkennen, wenn man sie, reduziert auf Vertikale und Horizontale, in einen Plan einzeichnet. Denn da wird die Balance von Mass und Zahl in Relation zum Raumviereck deutlich erkennbar. Ausgeglichenheit und Schwermut? Wie kommen sie zusammen? Eigentlich bieten sich einzig die Farbtafeln als Denkorte an, denn nur in ihnen sind Spuren des tätigen Künstlers, der die „schwermut“ als Begriff in den Raum setzt, einsichtig. Die Glastafeln sind von hinten bemalt. Wir sehen weder die Pinselgesten noch die Dicke der Schichten, nur die Farbe und die Spuren, welche die trockende Farbe auf gläsernen Untergrund hinterlässt. So weit aussen also plaziert der Künstler sein Selbst. Die Wahl eines eher kalten, aber äusserst aktiven Gelb, das je nach Art des Glases leicht anders wirkt, weist indes auf eine starke, energetische Kraft, die als Klima die Rauminstallation prägt. Man könnte also interpretieren, Christoph Rüttimann lasse in seiner Schaffhauser Arbeit Abstrakt-Geordnetes und Abstrakt-Begriffliches auf die psychischen Kräfte der Malerei treffen. Das ist indes nur eine unter mehren möglichen Deutungen. Manchen mag der Gedanke, dass die von gelben Tafeln aktivierten Papierstapel für die Geschichte des Hauses und des darin Ausgebreiteten stehen, sympathischer sein, auch wenn der Künstler sie „vielleicht“ mit „schwermut“ betrachtet. Christoph Rüttimanns Installation ist ein Spiel mit offenem Ende und das ist ihre Stärke. Sie ist bis zum 5. Juni zu sehen.