Vernissagerede für Roland Heini anlässlich seiner Ausstellung im Kunstraum in Aarau, März 1995

Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Roland

Es ist tatsächlich schon acht Jahre her, dass ich den Text für Deinen ersten Katalog geschrieben habe. Ich zitierte Dich damals mit dem Satz: „Mein Ziel ist es, architektonische Arbeiten zu schaffen, die keinen Zweck und auch keinen Modellcharakter haben, sondern einzig und allein als Form und Volumen in sich selbst ruhen.“ Lässt man den Begriff „Architektur“ fallen, so stimmt die Umschreibung, die ohne die amerikanische Minimal Art im Hintergrund nicht denkbar ist, heute noch weitgehend, doch Du bist nicht mehr der 27jährige junge Künstler, der sich ausgangs seiner Ausbildung an der Akademie der bildenden Künste in Wien seine bildnerischen Anfänge erstastet. Und deine Biografie hätte längst nicht mehr Platz auf der kleinen Seite, auf der sie damals publiziert war. Insbesondere fehlte 1987 der Abschnitt „Stipendien“ noch vollständig. Aber Du standest schon kurz vor der markanten Reihe von öffentlichen Anerkennungen im Bereich der Künstler-Förderung, sei es durch den Bund, die Kiefer-Hablützel-Stiftung oder die Stadt Zürich.

Miriam Cahn würde Deinem Erfolg sinngemäss entgegenhalten: „Ein Bundesstipendium ist für mich Ausdruck angepasster Mittelmässigkeit“…. Du weisst, so radikal denke ich nicht, will ich auch gar nicht denken, aber irgendwie sticht sie damit schon in einen wunden Punkt, weil jeder Jury-Entscheid ein Kompromiss ist. Wenn sich Juries bisher immer wieder auf Dich haben einigen können, so heisst das wohl, dass es Dir mit Deinen Arbeiten gelingt, etwas Gewichtiges zu schaffen, das sich gegen die schwer fassbare Unruhe der Ränder stemmt.

Den Begriff „gewichtig“ können wir hier sehr wörtlich nehmen, wiegt doch jedes der beiden „Luftschiffe“ um die 300 kg. Der Begriff „Luftschiff“ ist am vergangenen Freitag hier im Raum im Gespräch entstanden. Sie wissen ja, die EuropärerInnen können es – im Gegensatz zu den Amerikanern –  nicht lassen, auch dem Gegenstandslosen in der Kunst fiktive „Geschichten“ einzuflössen. Als ich eine Weile da war und mit Roland Heini über seinen neuen Skulpturen diskutierte – die eine war schon fertig, in der anderen sah man noch das formtragende Gerüst – kam aus der fernen Erinnerung plötzlich eine Donald Duck-Geschichte in mir auf und die den Boden kaum berührende, scheinbar im Raum schwebende Skulptur hob sich als bemanntes Ufo in die Luft und flog durch den Fensterkranz in den wolkigen Himmel. Die Architektur und die Proportionen des Kunstraumes – vor allem von Mauern und Fenstern – in Relation zur künstlerischen Arbeit machten die heiter stimmende Vorstellung möglich.

Wir haben dann nachgemessen: Da wo ein Balken den Fensterkranz unterbricht, ist ein Start nicht möglich, aber wenn das Ufo aus dem Hangar heraus in die andere Raumhälfte fährt, sich dann im Kreise dreht und hebt, kann es entweder nach links oder geradeaus hinaus in die Lüfte. Wir wissen alle, dass Flugzeuge dann und wann als „Luftschiffe“ bezeichnet werden, ich glaube vor allem beim „Zeppelin“ hat man den Begriff regelmässig gebraucht. Er ist präziser als man denkt, denn er schliesst mit ein, dass das was fliegen kann auch schwimmt. Ich habe es aus naheliegenden Gründen nicht geprüft, aber Roland Heini sagte mir, aufgrund der Relation von Volumen und Gewicht könne er sagen, dass seine Arbeiten schwimmen würden. Vom sich auflösenden Gips haben wir dann nicht gesprochen, das müssen wir also ausklammern.

Aber da sind zwei Momente drin, die für das Schaffen von Roland Heini ganz allgemein Sinnbild-Charakter haben. Da ist zum Einen der Faktor des solid Gebauten, des Berechneten, des exakt Ausgeführten und zum Andern das Moment, dass das Konstruierte der vorstellungsmässigen Bewegung im Raum zwischen „Himmel und Erde respektive Wasser“ gilt. Nehmen wir die Energie, die es braucht, um ein Werk auszuführen als „Feuer“, so sind plötzlich alle vier Elemente da. Und ich denke, ohne das rational begründen zu können, da liegt etwas von der Betroffenheit, welche die „Luftschiffe“  auslösen, vor allem, wenn man alleine mit ihnen im Raum steht. Und das wäre dann just die Qualität des „Gewichtigen“ und vielleicht der immanente Grund, warum sich in den vergangenen Jahren immerhin zehn Juries – ich habe diesmal die gewonnenen Wettbewerbe hinzugezählt – für Roland Heini ausgesprochen haben. Damit jetzt die Bäume nicht in den Himmel wachsen, muss ich gleich ergänzen, dass die Realität Roland Heini spätestens am Ende der Ausstellung hier einholen wird, dann nämlich, wenn er feststellen wird, dass die „Luftschiffe“ auf der Ebene der Materialität fluguntauglich sind und dass er sie zerschlagen muss, um den Ausstellungsraum wieder zu räumen.

In einem Gespräch vor gut einem Monat hatte ich den Eindruck, das ihn das überhaupt nicht störe, weil die Arbeiten ja als Fotografien weiterhin dokumentiert sein würden. Aber letzten Freitag, nach einer Woche intensiver Arbeit, allein und zusammen mit aktiven Helfern und Helferinnen, merkte ich dann, dass der Gedanke mehr und mehr zu schmerzen beginnt. Mit anderen Worten – und das kennen wir alle – dort, wo sich eine geistige Vorstellung in Materie wandelt, das Abstrakte Gestalt annimmt, dort beginnen ganz andere Affinitäten zu spielen und das Auflösen, das Zerstören wird schmerzhaft, vermutlich weil es uns an unsere eigene Vergänglichkeit, weil es an den Tod erinnert. Die Ausstellungsdauer ist also quasi die Lebenszeit dieser „Luftschiffe“, dann werden sie nur noch Erinnerung sein. Wenn der Künstler nicht in letzter Minute beschliesst, die Arbeiten zu zersägen und in Schnitzen hinauszutragen, um sie an einem anderen Ort wieder zusammenzufügen. Ich weiss es nicht.

Aber ich habe dann natürlich an andere Kunstschaffende gedacht, die immer so arbeiten, Rosmarie Vogt zum Beispiel, die ja hier im Hause ihr Atelier hat. Sie sagt, sie sei jedesmal glücklich, wenn sie wieder abbauen könne. Es gibt da aber einen zentralen Unterschied, Rosmarie Vogt baut ihre Palisaden aus kleinen Hölzchen und ein Zerstören ist bei ihr ein Auflösen in die Einzelteile. Und da ist die „Wiedergeburt“ in veränderter Form zumindest möglich. Und auch beim Maler Willy Müller-Brittnau, der alte Bilder konsequent übermalt, wenn er sie nicht verkauft oder nicht als Beispiele einer Epoche behält ist das Gewesene nicht zerstört, sondern nur überlagert. Und selbst bei Stefan Gritsch, der seine „Atelierleichen“ – Bilder, die er nicht als erhaltenswert betrachtet – verschnipselt und in recyclierter Form wird zu Kunst presst, ist der Zerstörungsprozess nicht vergleichbar mit dem Hammer, der diese Luftschiffe dereinst zerschlagen wird. Natürlich kann man von der Abfallhalde sprechen, vom Widerintegrieren in die Erde usw., aber das „tötelet“ ganz eindeutig sehr viel mehr und eigentlich glaube ich nicht, dass Roland Heini in der Zukunft noch einmal so arbeiten wird. Denn eigentlich entspricht ihm das nicht. Aber es kann ja nicht immer so gut gehen wie vor zwei Jahren in Luzern, als er an der Jahresausstellung ein grosse, liegende Skulptur aus Holz zeigte, die im weitesten Sinn des Wortes einer Ziehharmonika ähnelte, gleichzeitig aber auch an ein liegendes Doppelkamin erinnerte und damit quasi das Ziehen und Stossen, das Atmen, in eine einzige Form brachte.

Da wusste er nämlich am Ende der Ausstellung wirklich nicht, wohin damit. Und so schob er es halt so lange vor sich hin bis die Sekretärin des Museums anrief und ihn mahnte. Roland Heini meinte nur lakonisch: „Ach, behaltet doch das Ding.“ Und siehe da, so kam es in die Sammlung des Hauses; das Geschenk war willkommen. Hier denke ich eher, dass der Zwang, die Arbeit – zum Beispiel im Rahmen eines Kunst am Bau – Projektes noch einmal in anderem Material und in anderer Räumlichkeit zu realisieren sehr gross sein wird. umsomehr als Roland Heini mit den hier realisierten „Dosen“ – so könnte man sie ja auch nennen, vor allem die bodennahere – in seinem Werk einen Schritt weitergeht. Schon seit einiger Zeit scheint die Epoche der eckigen, oft durchbrochenen „Architekturen“ vorbei zu sein, um der Welt des Runden, des Kreisenden, des sich Drehenden Platz zu machen. Das fing schon an mit der Platzgestaltung vor der PTT in Luzern, setzte sich beim Verwaltungszentrum in Zug weiter fort und fand die bisher letzte Lösung in einem im Raum schwebenden Ring in Ettiswil. Hier aber sind es nicht mehr Kreisbänder oder -scheiben, sondern doppelte Rundungen, Deckel und Schale zur geschlossenen Dose gefügt.

Wenn Sie die Einladungskarte ansehen, dann erkennen Sie, dass der Künstler die Rundobjekte eigentlich noch als Scheiben einzeichnet und zwar unter die Balken des Raumes gestellt. Und da kommt mir sogleich das „Chäslager“ – auch ein Titel von mir – in den Sinn, das Roland Heini 1991 geschaffen hat und damals unter anderem in einem jener eher problematischen Container in Môtier im Rahmen der Bieler Plastikausstellung zur 700-Jahrfeier gezeigt hat. Das heisst, die Entwicklung, die wir hier sehen, ergab sich erst aufgrund der direkten Auseinandersetzung mit dem Raum. Ausgegangen ist Roland Heini somit von dem ihm Vertrauten und realisiert hat er schliesslich etwas Neues, das für die Zukunft schon wieder das Vertraute sein wird. Das spricht für  Wachsamkeit und innere Fexibilität des Künstlers, eine Grundvoraussetzung für alle, die gerne mit Raum arbeiten.

Ob sich bei einer nochmaligen Realisierung der „Luftschiffe“ die Proportionen von Deckel und Schale, die wir hier ja reziprok erleben,verändern müssen, wird sich zeigen. Man darf nicht unterschätzen, wie präzise eine solche Arbeit vorbereitet werden muss, damit sie dann dieses „Betroffensein“ auslöst. Roland Heini erzählte mir, dass es für diese Arbeiten, die an der Basis von der Form eines Diskus inspiriert sind, ungefähr zehn kleine Modelle gebe, mit denen er gültigen Proportionenertastete. Wir sehen ja hier, wie anders die Assoziationen laufen, je nachdem wie schwer die Arbeit auf dem Boden liegt respektive sich davon abhebt. Das Vorgehen von Roland Heini ist somit ein Empirisches, das sich von Fragmenten der Wirklichkeit inspirieren lässt, sich in der Umsetzung aber auf das intuitive Erspüren des Gültigen verlässt.  Wobei aber parallel zum kreativen Prozess immer auch der Aspekt des Handwerklichen mitläuft. Also quasi die Frage nach der Materialistation.

Im Innern dieser „Dosen“ gibt es ein achtflügliges Gerüst aus Sperrholz, das die runde Form trägt.Diese wurden dann mit einem metallenen Rundbogen gezogen. Wie viele Male mag der Künstler um seine Objekte herumgegangen sein bis die Ebenmässigkeit stand! Die Achtteiligkeit des Gerüstes drängt sich aus praktischen Gründen auf. Die Hälfte von der Hälfte und noch einmal die Hälfte. Trotzdem ist es interessant, dass ausgerechnet die Zahl 8, das heisst die Unendlichkeitszahl, das Gerüst für die runde, absolute Form bietet. Das Aeussere lässt dies nicht mehr erkennen, aber ist es nicht immer so im makrokosmischen Bereich, dass wir die tragenden Strukturen im Inneren nicht sehen, sie wohl  aber im Empfinden, von Harmonie zum Beispiel, wahrnehmen ohne uns darüber Gedanken zu machen?

Ich danke fürs Zuhören.