Vernissagrede für Veronika Bischoff anlässlich ihrer Ausstellung im Textilmuseum in St.Gallen

  1. Mai 1995

Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Veronika

Vielleicht war es Dir bewusst, vielleicht auch nicht oder nur halb; als Du mir – den heutigen Tag von langer Hand vorbereitend – Fotografien schicktest, sandtest Du sie jemandem, der die neuen Arbeiten der letzten fünf Jahre nicht an der vorangegangenen Malerei mass, sondern einzig an ihrer heutigen Erscheinungsform.

Wir kannten uns von Reisen mit der Gesellschaft Schweizerischer Bildender Künstlerinnen, die ich als Kunstsachverständige begleitete. Ich denke, Du hast richtig gehandelt und vor allem spiegelbildlich, indem auch ich ein Teil Deines Grenzen- Sprenges bin.

Was mich aufgrund der Fotografien bewog, mich auf Dein Ansinnen einzulassen und mich näher mit Deinen Werken, in die Du als Person eingeschlossen bist, auseinanderzusetzen, waren vor allem drei Momente:

Zum einen sind Deine Arbeiten, wenn Sie in der Natur posieren – man kann das im schönen Katalog, der zu dieser Ausstellung erschienen ist, nachvollziehen – dort haben Sie – vor allem die schwebenden –  etwas ungemein Verführerisches, sie tanzen… dünnhäutig, durchlässig in der Luft. Und die anderen, die sich an der Rückwand halten, schillern im Licht der Sonne und erzählen – das ist zweite Moment, das mich anzog – vom Besonderen der Materialien, die Du verwendest. Und das dritte Moment fand ich in den Nahaufnahmen, in den faszinierenden Strukturen, dem Hautigen und Kleidnahen, das sich da so scheinbar vertraut über den transparenten Untergrund legte. Ich meinte, das „Gewebe“ zu spüren, nicht nur mit der fühlenden Hand, sondern mit dem Körper, der ja – zumindest in unseren Breitengraden und in unserer Kultur – ein Leben lang Stoffe spürt und die Berührungen kennt.

In Deinem Atelier hatte ich dann Gelegenheit, die Arbeiten und vor allem auch die Werkprozesse von nahem zu sehen, auch dahinterzu-schauen – sowohl in einem materiellen, methodischen Sinn als auch in jenem übertragenen, inneren Sinn aus dem die Kunst wächst.

Und nun sind die Arbeiten hier im Textilmuseum ausgestellt. Einerseits wird durch diese Umgebung das Gewandnahe der Arbeiten von Veronika Bischoff betont- obwohl – das sei hier ganz klar festgehalten – die Künstlerin keinerlei textile Materialien verwendet. Es sind somit Bilder und Bilder meinen immer etwas über das, was sie zeigen, hinaus. Es ist indes eher ein Wissen, dass wir uns in einem Textilmuseum befinden, denn ein Sehen. Unmittelbar im Gespräch mit den ausgestellten Arbeiten ist die Architektur des Hauses, diese typische 19.Jahrhundert-Stilform mit ihren Rückgriffen auf die Antike. Sie ist grosszügig, weit, liebäugelt sowohl mit Schloss- wie mit Tempelnähe, trägt Bedeutung in sich selbst. Trägt vor allem aber auch Geschichte in sich so wie wir alle von unserer eigenen, der  mitgebrachten, erlernten und erfahrenen sowie auch der kollektiv-archaischen Geschichte geprägt sind. Da ist die Romantik der freien Natur nicht im selben Mass möglich, aber die Romantik ist ja auch nur eine Vorstellung, eine Sehnsucht. Und so zeigen sich Veronika Bischoffs Arbeiten hier materieller, auch sehr viel realer. Sie zeigen ihre  Dünnhäutigkeit, ihre durchlässigen Strukturen, ihre Fragilität in unmittelbarem Dialog mit uns Menschen.

Betrachten wir als Grundlage der Auseinandersetzung einen Moment die Arbeitsmethode der Künstlerin, sowohl was die kleinen Arbeiten in den Vitrinen wie die grossen, gewandnahen, hängenden Werke be-trifft. Und da muss ich zunächst etwas ausholen. Eine Arbeitsmethode wie Veronika Bischoff sie anwendet, kann man nicht lernen wie Malen mit Oel oder Modellieren mit Ton. Man kann sie nur erfinden.

 

Der Erfindergeist, die Lust am Experimentellen ist  zunächst einmal jedem Kind gegeben, aber je nach Charakter, Ausbildung, sozialer Struktur entfaltet sich dieses Neugierde oder sie wird in eingegrenzt. Veronika Bischoff träumte als Kind davon, in den Zirkus zu gehen, als Artistin, versteht sich, nicht etwa als Clown. Mit dem berühmten Kopfstand auf dem Blumenkistchen auf dem Balkon hat sie ihr Talent auch gleich demonstriert. Mit dem Beruf der Textildesignerin – dem Berufsbereich, den man von aussen seit jeher mit St.Gallen assoziiert und aus dem von Sophie Täuber bis Josef Felix Müller viele wichtige Künstler der Region entwachsen sind – mit dem Beruf der Textildesignerin und anschliessend dem Besuch der experimentellen F+F an der Kunstgewerbeschule in Zürich hat Veronika Bischoff das Experimentelle in die Bahnen gelenkt, die heute noch – oder besser, wieder – wirken.

Zunächst führte sie das Leben jedoch – frauenrollenspezifisch – in bürgerliche Bahnen. Zwar blitzte das Ungestüm des Untergrundes da und dort durch, zeugte auch der Mut, drei Kindern, die eine Familie benötigten, Schutz, Haus und Heim zu bieten, von einer ausserordentlichen Lebenskraft.

Das Experiment Leben war so dominant, dass die Malerei, die parallel entstand, dazu diente, die Schichten und Aspekte des Erlebens in fassbare Formen zu ordnen und zueinander in Beziehung zu setzen. Eine gepflegte Malerei, deren Formen ich da und dort auch in den neuen Arbeiten entdecke, die aber insgesamt sehr gesellschafts-konform daherkam und anderswo ähnlich auch entstand.

Nur selten verläuft das Leben linear – heute noch weniger als früher. Aus- und Aufbrüche werden unter Umständen so zwingend, dass man nicht anders kann als sie packen und die Schwierigkeiten zu meistern suchen. Leben heisst indes nicht nur selbst agieren, sondern auch Erlebnisse, die einem treffen, ins eigene Leben integrieren. Und wenn wir daran nicht scheitern wollen, so werden wir einen Weg suchen, der das aktive und passive Erleben in Erkenntnis wandelt. Und ich denke genau das hat Veronika Bischoff getan, als sie die Malerei vor etwa fünf Jahren definitiv über Bord warf und mit jugendlichem Elan die verschüttete „F+F“-Experimentierfreudigkeit in sich aktivierte und neue Ausdrucksformen suchte, die ihrer Befindlichkeit entsprachen.

Sie werden lachen, wenn ich Ihnen erzähle, wie, oder besser wo, Veronika Bischoff darauf kam, Farbe ins Wasser zu tauchen und im Dialog mit den Bewegungen des Wassers Formen zu schaffen: In der Badewanne. Haben sie noch nie mit dem Schaum gespielt? Sicher doch, aber Sie haben sich nicht die Zeit genommen, darüber nachzudenken, wie man dieses Spiel verfestigen und bildnerisch umsetzen könnte.

 

Veronika Bischoff hat das getan. Und aus dem Spiel wurde ein Bild voller Symbolik. Was in den aus einzelnen vorgeprägten Farb-Stücken zusammengesetzten Arbeiten so bewegt, fast aufgelöst und doch formal kontrolliert daherkommt, ist Resultat eines fragilen Prozesses zwischen den vorgegebenen Eigenschaften des wellenden, treibenden Wassers und gestaltenden Eingriffen der Künstlerin. Aktives und Passives zugleich bestimmen das Resultat. Dann hebt die Künstlerin die vom Glas abgelöste, schwimmende Farbhaut aus dem Becken und kippt sie blitzartig auf die transparente Unterlage, das Plastoscreen, ein Kunststoff-Material, das sich nicht knautschen, aber doch biegen lässt und so sowohl der Durchlässigkeit der Farbhaut wie ihrer Tendenz zur Bewegung Entfaltungsmöglichkeit gibt. Indem die Künstlerin – im Formalen inspiriert von den griechischen Ueberwurfkleidern – den Formen Gewand-Charakter gibt, ordnet sie ihre Werke ganz klar der Erscheinung des Menschen zu.

Gewand ist hier aber nur sehr bedingt Kleid im Sinne von Schutz, Wärme und Zierde. Veronika Bischoff macht die Haut zum Kleid oder das Kleid zur Haut. Das Verletzliche, das Fragile, das Poröse – ja sogar das Vergängliche und stetem Wandel Ausgesetzte der Haut ist in den „Gewändern“ von Veronika Bischoff präsent. Vielleicht ist das Gewand – so wie sich der Körper nach aussen zeigt und die Haut, die das Innerste schützt, zusammen ein mögliches Bild für „Leben“. Dann und wann ergänzt die Künstlerin das Abgeklatschte durch zeichnerische oder malerische Schichten, sei es direkt im unmittelbaren Dialog oder als dahinterliegende Schicht. Dort taucht dann auch auch die Farbe auf, die Atmosphäre schafft, über das Bewegte hinweg Leichtigkeit gibt, Licht auch. Paracelsus nannt das Licht das Göttliche.

Das alles käme aber nur bedingt zum Tragen, hätte Veronika Bischoff – mit einem Seitenblick zu Uebervater Alexander Calder – nicht die Idee gehabt, die Plastoscreen mit Klavierseiten und kleinen Stoppern aus Gummi auszuspannen, sei es als Objekt in der Luft oder als Relief auf einem Untergrund.

Veronika Bischoff hat mit ihren neuen Arbeiten nicht nur einen Bruch mit ihrer früheren künstlerischen Arbeit vollzogen, sondern auch auch an künstlerischer Qualität gewonnen. Dass eine Frau heute – erst heute –  bei solchen Schritten an Frauen-Vorbildern Mass nimmt, liegt auf der Hand. Speziell für diese Ausstellung hier hat die Künstlerin diesen Aspekt in Arbeiten umgesetzt. Wir sehen sie jeweils an zentraler Stelle, eingemittet in die Treppen-Zwischenböden. Es sind – deutlicher als in den anderen Arbeiten – Frauen-Gestalten: Sie heissen Athene, Nike und Judith  und stammen alle drei aus mythischen Ueberlieferungen.

Es sei nur am Rand daran erinnert, dass man heute davon ausgeht, dass sich die grossen Mythen in vorgeschichtlichen Matriarchatszeiten gebildet haben. Die Athene war in der Götterwelt der Griechen die Gattin von Zeus – eine durchaus autonome Frau, die nicht nur Athen den Namen gegeben hat, sondern noch heute für Verstand und kluges, engagiertes Handeln steht. Die geflügelte Nike war die griechische Siegesgöttin. Sie ist als Gestalt Vorbild für alle unsere geflügelten Engel. Aus ihr wandelte sich die Gottheit zur Engelsgestalt. Die Ueberlieferung des Alten Testamentes wurde ja von den Griechen massgeblich mitgestaltet. Und Judith, die hier an Gustav Klimts Träumen von weiblicher Schönheit Mass nimmt, repräsentiert die Frau, die um ihre verführerische Macht auf die Männer weiss und diese auch einsetzt – ein ambivalentes Bild, das aber durchaus Teil des Frauseins ist.

 

Mir bleibt hier, auf die kleineren Arbeiten in den Vitrinen zu verweisen, die grossmehrheitlich vor dem Plastoscreen-Arbeiten entstanden sind und in sehr subtiler, in gewissem Sinn noch malerei- und zeichnungsnahe, die Möglichkeiten der neuerfundenen Technik ausloten.

Ich danke fürs Zuhören, möchte Ihnen empfehlen den Katalog, der die Werke von Veronika Bischoff und meine Gedanken versammelt, zu erwerben und wünsche Ihnen einen schönen Abend.