Vernissagerede für Virginia Buhofer anlässlich ihrer Einzelausstellung im „Schützenhaus“ in Zofingen

  1. April 1995

Von Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Virginia Buhofer

Eine Vernissagerede gibt die Möglichkeit, in einer anderen Form als jener der Kunstkritik über eine Künstlerin und ihr Werk nachzudenken.

Wenn ich versuche, die Position der Künstlerin und ihrer Malerei zu orten, so kommt mir zunächst eigenartig Widersprüchliches in den Sinn. Und ich merke, noch ohne es zu analysieren, dass dieses Gegenläufige ja auch in den Bildern enthalten ist. Was haben diese Kräfte und Gegenkräfte in Schwarz und Rot, in Blau und Orange, dieses „Widerspiel“ – wie es Elise Guignard einmal treffend nannte – was haben diese malerisch gehaltenen Spannungsfelder mit der Position der Malerin innerhalb der Kunst zu tun?

Sie haben erstaunlicherweise nichts miteinander zu tun. In Virginia Buhofers Karriereplanung – ein Wort, das für andere Kunstschaffende zum Alltag gehört – auf Virginia Buhofers Weg, den Kunst-Markt zu erobern, gibt es dieses kämpferische, temperamentvolle Moment nicht. Und auch wenn man die Künstlerin an einer Vernissage antrifft, ist sie nie Wortführerin, sondern aus dem Hintergrund Beobachtende. Nur im persönlichen Gespräch funkt das Feuer dann und wann.

Was heisst das nun? Rein äusserlich erklärt es, warum Virginia Buhofer kaum über den Aargau hinaus bekannt ist. Die Geschichte vom Prinzen, der die gute Kunst erkennt und in die Welt hinaus trägt, gibt es nämlich nicht oder nur unter ganz bestimmten Bedingungen.

Analog der aufgezeigten geographischen Grenzen, gibt es auch jene der Generationen. Nicht nur im Aargau, sondern fast überall in der Schweiz kann man in der Kunst des 20.Jahrhunderts einen Generationenbruch erkennen. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre begann sich eine Generation von Kunstschaffenden, die meist um und nach 1940 geboren sind, durchzusetzen. Ihr Anspruch und ihre Zielsetzung war nicht mehr die Verankerung am Ort, sondern der Aufbruch im Sinne eines Sprengens von Grenzen jeder Art.

Parallel dazu entwickelte sich auch die Kunstrezeption; junge Kunstvermittelnde traten auf den Plan, die Zahl der Galerien vervielfachte sich, ebenso die Zahl der Museen, Kunsthallen usw. Wie es zum Sturm und Drang gehörte, wurde dabei Vieles, was bisher Bestand hatte, über Bord geworfen, ins Abseits gedrängt. Die neuen Strukturen beinhalteten eine wesentlich grössere Mobilität, zunächst in nationalem , seit etwa 15 Jahren vermehrt auch im internationalen Rahmen.

Weil der Begriff „international“ mit „Qualität“ gleichgesetzt wird, und lokal dementsprechend mit „zweitrangig“, haben wir aufgrund dieser Entwicklung fast überall eine sehr problematische „Rangordnung“, wenn der Faktor Generation miteinbezogen wird. Da stimmt sehr vieles einfach nicht. Das gilt nicht nur für Virginia Buhofer, sondern – immer wieder leicht anders – auch für Künstler und Künstlerinnen wie Roland Guignard, Ursula Fischer-Klemm, Walter Kuhn, Franz Weber, Fritz Strebel, Lisa Stauffer und andere mehr. Das ist tendenziell eine Generation, die etwas älter ist als Virginia Buhofer. Auch von der Malerei her ist es sinnvoll, die Künstlerin in diesen Zeit-Rahmen, der ihr persönlich entspricht, zu stellen.

Glücklicherweise gelingt es einem Trend nur selten, alles umzukrempeln, das heisst, es entwickeln sich parallele Strukturen, wobei sich offene Geister spielend in der einen wie der anderen bewegen können. Das weitgehende „Abseits“ der genannten Generation in Bezug auf die aktuelle Kunst-Diskussion stiess nämlich keine und keinen der Genannten in ein Vakuum, im Gegenteil die alte Liebe zu den Kunstschaffenden, die in einer gewissen Nähe zum Bürgertum kontinuierlich und eigensinnig weiterarbeiten, ist nie erloschen. Dass das mit Engstirnigkeit oder gar Chauvinismus nichts zu tun haben muss, beweist gerade Virginia Buhofer, die als Spanierin zur Aarauerin geworden ist.

 

Was heisst das nun aber alles in Bezug auf die Malerei, die hier ausgestellt ist. Zum einen gilt es, in einem hier nicht sichtbaren Rückblick auf das Werk festzustellen, dass dieser Umbruch in den späten 60er Jahren nicht spurlos an der Künstlerin vorbeiging, sondern dass er ebenfalls stattfand, aber kunstge-schichtlich gesehen, zeitversetzt.

Virginia Buhofer legt gerade in dieser Zeit die Figürlichkeit, die lange schon auf Komposition und nicht auf Erzählerisches ausgerichtet war, beiseite und geht über zu ungegenständlicher Malerei, die einzig mit Farbe und Form arbeitet. Die Geste nehme ich noch nicht dazu, denn dieses Bekenntnis zum Persönlich-Seismographischen, formuliert sich erst in den 80er Jahren.

Wenn gerade in Bezug auf die 80er Jahre sehr viel von Befindlichkeitsmalerei und natürlich auch von Neo-Expressionismus gesprochen wird, so finden sich diese Tendenzen sehr wohl auch im Werk von Virginia Buhofer, in einem Kleid freilich, das formal die Errungenschaften des Informel der 50er/60er Jahre bewusst nicht über Bord geworfen hat, um letztlich die Synthese der Zeitspanne ihrer und  – wie gesagt – der etwas älteren Generation einzufangen. Es ist ein sehr persönlicher Weg, dessen Facetten komplexer sind und differenzierter betrachtet werden müssen als nur oberflächlich-formal.

Was ich nun formuliert habe, heisst zusammengefasst, dass sich in der Malerei von Virginia Buhofer sehr wohl die Entwicklung entlang der Zeit spiegelt. Wir müssen darum ihre Malerei mit Heute-Augen betrachten – in den Spannungsfeldern, den aufgebrochen Formen, den geritzten oder mit Druck gezeichneten Lineaturen, den durchs Collagieren aufgeworfenen Oberflächen, den gestischen Pinselzügen und der machtvollen Präsenz der Hauptformen Auseinandersetzungen des Heute zuordnen. Nun wäre es allerdings falsch, die Bilder von Virginia Buhofer als „Krieg und Frieden“ in einem politischen Sinn zu interpretieren, das Aussen ist nur soweit darin enthalten wie es uns alle als Zeitbefindlichkeit prägt, ob wir wollen oder nicht.

Es sind, so meine ich aus den Worten der Künstlerin herausgehört zu haben, ganz primär die ganz eigenen, persönlichen Auseinandersetzungen mit dem Erleben des Da-Seins, die sich in ihren Werken spiegeln. Wir dürfen somit die Bilder nicht nur mit den Augen betrachten, wir müssen auch die Schwingungen der Nervenbahnen und -ballungen in Pinselzug und Farbwahl spüren, um die Kraft dieser Malerei als Ganzes wahrzunehmen. Virginia Buhofer wählt hiezu die ungegenständliche Sprache; mit Bedacht. Denn unsere Befindlichkeit, die stets unser ganzes Leben im Rucksack trägt, ist so komplex, dass sie nur als „Widerspiel“ – ich benutze das Wort gerne wieder – nur als „Widerspiel“ von abstrakten Energien überhaupt darstellbar ist.

Was ich eben sagte, scheint ein analytisches, künstlerisches Vorgehen auszuschliessen. Wenn damit die Unmöglichkeit gemeint ist, die Bilder sprachlich zu bewältigen, so ist das richtig. Aber es ist gleichzeitig falsch, wenn es sagen würde, dass es sich bei Virginia Buhofers Bildern um rein intuitive Kompositionen handelte. Die Künstlerin lässt sich zwar von den Impulsen, die aus ihr strömen, lenken, aber gleichzeitig wacht das professionelle Künstlerinnen-Auge über das kompositorische Geschehen, denn die Zielsetzung, im Prozess des Malens ein Gleichgewicht herzustellen, ist Arbeit – sowohl in einem analytischen wie in einem psychischen Sinn.

Betrachten wir Virginia Buhofers Malerei unter diesen Auspizien, so merken wir wohl am eigenen Körper, dass die ungegenständliche Sprache hier die einzig richtige ist, weil sie sich inhaltlich tausendfach transformieren lässt. Das heisst, die Energieverläufe tragen sowohl die Künstlerin wie auch die Bildbetrachtenden.

Nun habe ich quasi noch etwas einzulösen, was ich zu Beginn meiner Ausführungen andeutete und noch nicht aufgelöst habe. Ich sprach vom Widerspruch zwischen dem Aussen-Ort von Virginia Buhofer als Künstlerin und dem inneren Temperament der Bilder. Vielleicht wurde durch meine Worte nun aber klar, dass eine expressive Auseinandersetzung mit den eigenen Spannungsfeldern sehr wohl konträr zu einer unbeirrbar-kämpferischen Haltung in Bezug auf Karriere und Markt sein kann. Mit Realität hat das viel, mit künstlerischer Qualität wenig zu tun.

 

Noch etwas möchte ich Ihnen erzählen, weil es mich bei meinem Besuch im Atelier der Künstlerin –  sowohl im hohen, weiten, bei März-Schnee kalten unten an der Aare, wo einst Hans Eric Fischer seine Bilder malte, als auch im kleinen, warmen Dachstübchen an der Pelzgasse – betroffen den Atem anhalten liess. Denn als ich das kleine Tischchen – wir sehen es übrigens als Hintergrund auf der Einladungskarte – das kleine Tischchen betrachtete, wo Virginia Buhofer Skizzen oder Aehnliches anfertigt,  sah ich plötzlich, dass die Hauptformen, die in ihren Bildern aufscheinen, vor mir standen – als kleine, nichtige Naturfragemente – versteinert, hölzern, als Muscheln usw.

Nicht dass ich mir dachte, dass die Künstlerin hier die Formen wählt und in die Bilder überträgt, nein, es faszinierte mich das Wechselspiel, dass also in der Natur enthalten ist, was ich in anderer Materialität als abstrakte Form benenne. Und wenn ich das eine kenne, finde ich das andere und umgekehrt. Und das eine ist letztlich nur ein anderer Zustand des anderen. Das finde ich äusserst spannend. Wobei mir bald klar wurde, dass hierbei die Papiere, die Virginia Buhofer seit einigen Jahren einsetzt, wesentlichen Anteil daran haben, denn diese gerissenen Papiere haben nie eine konstruktive Struktur im engeren Sinn, keine geraden Kanten und keine rechten Winkel, sondern eigenartigerweise entstehen beim Reissen von Papier sehr viel naturähnlichere Formen, als mit der Schere. Was das letztlich heisst, das, so hoffe ich, diskutieren Sie nun bei einem Glas Wein.

Ich danke fürs Zuhören.