Vortrag im Rahmen des Internet-Projektes „immediate“ – im „forumclaque“ in Baden  10. bis 12. Mai 1996

 ANNELISE ZWEZ

 WWW

WARTEN, WARTEN, WARTEN

Liebe F, F, F  –  Internet-Freunde, Internet-Fans, Internet-Feinde

Das Internet respektive die weltweiten Computernetze – es soll zur Zeit deren 36 geben (militärische, wirtschaftliche, politische usw.) – diese Strukturen weltweiten Datenaustauschs sind eine Revolution und zwar eine gigantische.

Lassen Sie mich eine kleine Schleife machen:

Ich habe kürzlich, im Rahmen der Vorbereitung einer Vernissageansprache mit dem Aargauer Plastiker David Zehnder gesprochen. Dabei erzählte er mir, dass er mit linearen, geometrischen Modulen mit identischen Proportionen arbeite. Das erste hatte in seiner 21teiligen Zusammensetzung die Form einer Zick-Zacktreppe. Für seine Skulpturen vernetzt er immer wieder andere Aussenkanten zu kleineren oder grösseren „Raum-Zeichnungen“. Anfänglich bestand der Plan, alle Variationen auszuführen, bis ihm dann klar wurde, dass das vielleicht doch zu viele sein könnten. Er setzte sich mit der Höheren Technischen Lehranstalt in Windisch in Verbindung und liess die Varianten rechnen. Resultat: Eine Zahl mit 15 Nullen. Wollte man sie über einen Plotter zeichnen, würde dies, bei 10 Sekunden pro Zeichnung, 300’000 Jahre dauern. Beim nächsten Modul habe er nichts mehr rechnen lassen, denn diese Dimensionen machten ihn „hilflos“, sagte der Künstler. Und ich denke, genau da sind wir im Rahmen eines Nachdenkens über Internet auch. Wir bewegen uns in Dimensionen, die wir grundsätzlich nicht greifen können, auch die Informatiker nicht. Sie haben zwar herausgefunden, wie man eine unendliche Masse von Daten speichern respektive fliessen lassen kann. Von von dem, was sich da genau abspielt, haben indes weder sie noch wir eine Ahnung.

Aber: Und um das geht es mir hier letztlich, diese Dimensionen existieren und zwar nicht erst seit der Erfindung des Internet. Nur haben wir all diese in feinen Energien gelagerten Informationen bisher – und das ist jetzt ganz bewusst spekulativ, was ich sage – bisher der Mystik zugeordnet. Und die ganze Mystik lehnt der Rationalist doch ganz entschieden als Humbug ab. Die Frage ist nur, warum immer mehr forschende Physiker – und die sind von den Informatikern nicht gar so entfernt – zu Metaphysikern werden. Mit anderen Worten, der Mensch beginnt, nachdem er die greifbare, grobstoffliche Materie einigermassen erforscht zu haben meint, in Bereiche vorzustossen, deren Existenz er bisher eigentlich ablehnte, weil er sie nicht messen konnte. Und in der Schul-Wissenschaft exisitiert nur, was messbar ist.

Nun gab es aber schon immer Menschen, die ohne Computer mit diesen Energien zu arbeiten wussten, auch hier im Aargau. Wenn die Pendlerin Emma Kunz die Augen schloss, sich auf die „keywords“ ihrer Frage an die kosmische „Search Engine“ konzentrierte, ihr menschliches Denken in den Hintergrund stellte, und auf die Bewegungen ihres kleinen Pendels  über dem grossformatigen weissen Blatt achtete, dann als erstes die Kraftpunkte und als zweites die davon ausgehenden Impulse markierte, sie dann zu einer linear-geometrischen Zeichnung verband und schliesslich ihrer Freundin telefonierte, um ihr während Stunden zu erzählen, was für Informationen über „Gott und die Welt“ sie während des Zeichnens erhalten hätte – meine Damen und Herren, was ist das anderes als die Struktur des Internet. Mit dem allerdings immer noch grossen Unterschied – dass wir doch immer noch in Erfahrung bringen können, auf welchem Computer die Daten, die wir laden, original gespeichert sind und wer sie dort eingegeben hat. Das heisst mit anderen Worten, wir sind noch nicht dort, wo Emma Kunz war und wo wir – weil Emma Kunz ja auch nur ein Mensch war –  eigentlich, würden wir die Möglichkeiten unseres Hirns und damit unserer Bewusstseinsmöglichkeiten voll ausschöpfen, alle auch sein könnten. Da liegen noch mehrere Potenzsteigerungen (analog der Struktur der Homöopathie – je feinstofflicher,je grösser die Wirkung) dazwischen, aber wir bewegen uns in diese Richtung. Und das ist in höchstem Masse revolutionär. Was wir mit diesen Möglichkeiten machen, wohin wir sie zu welchem Zweck treiben, ist ein andere Frage. Der Kosmos hat per se keine Moral; er bietet uns die Möglichkeiten des Positiven wie des Negativen.

Noch etwas anderes, das im Rahmen von Internet-Diskussionen wohl kaum jemand sagt:

In der Astrologie heisst es, dass sich die Welt am Beginn des Wassermann-Zeitalters befinde. Nun stehen vielleicht einigen von Ihnen die Haare zu Berge und sie denken „New Age“, um Gottes Willen. Vielleicht schon um „Gottes Willen“, aber nicht so wie sie denken. Das Sternkreiszeichen „Wassermann“ steht – sehr vereinfacht ausgedrückt –  nicht nur für „sanfte Revolution“, sondern auch für „Intuition“. Und nun sagen sie mir einmal, was ist „Intuition“ – doch nichts anderes als ein plötzliches Wissen, dessen „Document Source“, dessen „History“ wir nicht fassen können. Es ist also ein sich in unserem Hirn abspielendes Vernetzen von Inhalt tragenden Impulsen zu einem Resultat, das plötzlich da ist. Auch diese Struktur hat somit sehr viel Aehnlichkeit mit dem Internet. Für den Astrologen ist es darum überhaupt nicht überraschend, dass die Menschheit gerade in dieser kosmisch-energetischen Struktur eine Analogie dazu auf menschlicher Ebene „erfunden “ hat. Bei mir steht das „erfunden“ in Anführungszeichen. Denn ich denke, der Mensch kann gar nichts erfinden, was in der kosmischen Software nicht vorprogrammiert ist. Allerdings müssen wir auch den Vergleich zwischen „Intuition“ und „Internet“ ganz deutlich relativieren. Denn im Gegensatz zu unserem Hirn, das bei jedem Net Searching sowohl das rational wie das emotional Gespeicherte durchsucht und verflicht, kann der Computer das Netz nur nach vorhandenen, fassbaren Fakten durchsuchen. Dass er nur das kann und die Entwicklung nicht anders verlief, ist, so denke ich, eine logische Folge der Verdrängung des Emotionalen als zweitrangig. Dass das indirekt auch ein feministischer Satz ist, sei durchaus hervorgehoben. Es ist nicht Zufall, dass ich im ganzen Internet-Umfeld als Frau fast eine Exotin bin. Ich gehöre überdies einer Generation an, für die eine feministische Entwicklungsperidode lebensnotwendig war. Und wenn ich mir heute überlege, wie ich mein kunstkritisches Credo des ganzheitlichen – sowohl weiblichen wie männlichen – Denkens in meine Internet-Arbeit einbringe, so merke ich fast physisch, das mir das eigentlich noch nicht gelingt, weil die Struktur nicht so angelegt ist. Vielleicht habe ich mit dem eingangs Dargelegten, das ich zuvor nie so formuliert habe, etwas in diese Richtung geleistet, denn es ist bekannte Tatsache, dass  Esoterik – im allerweitesten Sinn des Wortes – grossmehrheitlich Frauen interessiert und wenn ich Führungen im Emma Kunz Zentrum mache, so mache ich sie zu 90 % für Frauen.

Das war nun aber wirklich eine Schleife an die Schleife angehängt und ich muss nun schleunigst zum Titel meines Vortrages zurückkehren, respektive die beiden Ebenen – diejenige der „Philosophie“ und jene der „Realität“ zusammenbringen. Das ist auch nicht weiter schwierig, weil es im Kern keinen Unterschied gibt. Wir müssen endlich davon abkommen – nun rutsche ich halt schon wieder ein bisschen ins Bedenken, aber nur kurz –  wir müssen davon abkommen, dass sich das Geschehen, welcher Art auch immer, kausal, und das heisst auch linear, entwickle. Auf der Ebene unseres trägen, grobstofflichen Materiebegriffs hat die Kausalität ihre Berechtigung, aber sobald wir in die Materie eindringen, stellt sich alles auf den Kopf. Bedenken Sie nur, dass das Verhältnis von Kern und energetischem  Umraum in jedem einzelnen Atom dasselbe ist wie dasjenige einer Erbse im Petersdom (das habe ich aus Fritjof Capras „Tao der Physik“). Sobald wir in nicht mehr als Materie fassbare Dimensionen eindringen – und ich denke mit dem Internet tun wir das – passt das in der Aufklärung entwickelte Weltbild nicht mehr. Und das heisst unter vielem anderem auch, dass sich ein Geschehen in diesen Dimensionen nicht kausal entwickelt, sondern in Gleichzeitigkeiten. Damit meine ich – vereinfacht ausgedrückt –  ,dass es immer mehrere, gültigen Ebenen gibt. Diejenige von Materie, Raum und Zeit sind uns vertraut. Das heisst, wenn wir zum Kiosk gehen, um dort die neueste Internet-Zeitschrift zu kaufen, so können wir das abschätzen. Auch die Art und Weise wie die Meldungen in die Zeitung kamen, kennen wir. Warten wir hingegen darauf, dass Yahoo die eingegebenen Key-Wörter mit seinem Speichergut vergleicht und uns dann 657 „Matches“ präsentiert, weil wir zu wenig präzis gefragt haben, so nennen wir das mit einem ausgesprochen ungeduldigen Unterton „Warten“, weil wir uns a) der energetischen Dimensionen, die wir da anwählen, nicht bewusst sind und b) nicht in Mensch-Internet – kompatibler Form mit dem uns zur Verfügung stehenden Instrument umgegangen sind. Die beiden Vorgänge entsprechen sich aber, wenn auch auf verschiedenen Ebenen. Alle sprechen von „World Wide Web“ und schwärmen von der grenzenlosen Internationalität. Mir kommt der uralte Traum vom Fliegen in den Sinn. Und sie bedenken nicht, dass die Menschen auf der ganzen Welt einander sehr ähnlich sind und darum sehr oft auch ähnlich denken, und darum auch ähnliche Informationen ins Netz geben. Und darum kommt dann die grosse Enttäuschung, wenn nach dem weltweiten Warten eigentlich gar nichts so Spannendes herauskommt, weil wir von den 657 Uebereinstimmungen in der uns zur Verfügung stehenden Zeit nur deren 20 anwählen konnten, wovon mindestens 10 „NO DNS-Entry“ hatten, vermutlich gerade die, welche das Interessante enthalten hätten, denken wir vielleicht verärgert. Wir sehen somit, dass wir uns im Internet in Dimensionen bewegen, die wir noch gar nicht bewältigen, weil wir sie noch gar nicht richtig einschätzen können. Und das macht uns – wie der Künstler David Zehnder so ehrlich und so träf formuliert hat – „hilflos“. Und nicht nur wir als Surfende, als Internet-Nutzer und – Nutzerinnen erleben das, sondern auch die Informatiker, deren Denken und Vorgehen sich immer wieder als „nicht kompatibel“ erweist, weil die Struktur, in der sie sich bewegen, erst in Ansätzen erforscht ist und sich unseren Materiegesetzen nicht so ohne weiteres unterwirft. Damit meine ich nicht nur die Finessen der Codierungen, in der kleinste Abweichungen – ein Leerschlag, ein Gross- oder Kleinbuchstabe, ein falscher Gedankenstrich usw. – ein Datenchaos bewirken können. Ich meine auch die täglichen Irrationalitäten. Da funktioniert ein System und plötzlich, eines morgens, geht nichts mehr den gewohnten Weg, es kommen laufend Falschmeldungen, bis man die Internetexkursion aufgibt. Versucht man es dann aber – vielleicht 12 Stunden später – wieder, geht alles bestens. Das Warum wird nie geklärt. Es kann höchstens durch Wiederholung letztendlich empirisch beschrieben werden.

Zweifellos wird die Technik in den nächsten Jahren verbessert werden, weil diese Revolution, die wir da miterleben, ja nicht nur Forschung und Erkenntnis betrifft, sondern auch eine Umwälzung des weltweiten Wirtschaftssystems. Und es wird sich, wie in der Geschichte schon tausendfach, zeigen, dass Entwicklungen im Kern immer wirtschaftliche Gründe haben. (Man kann sogar die Hexenverbrennungen wirtschaftlich begründen.) Wobei Wirtschaft in sehr vielen Fällen gleichbedeutend ist mit Macht. Wir tun somit gut daran, die technischen Entwicklungen, die auch eine Verringerung des „Wartens“ bringen werden – so wir wirtschaftlich in der Lage sind, wieder und wieder einen neuen Computer, oder bald schon einen neuen Fernseher, der zugleich ein Computer ist, zu kaufen, unsere Leitungszugänge zu verbessern usw. – dass wir uns diese Entwicklungen zu Nutzen machen, dabei aber nicht vergessen, in welchen Dimensionen wir uns bewegen, nicht nur geistig, sondern als Menschheit insgesamt. Denn ich möchte Ihnen zum Abschluss einen letzten Quervergleich anbieten.

Dass sich die Computertechnologie und die Gentechnologie gleichzeitig rasant entwickeln, ist kein Zufall, denn sowohl die Struktur des Computers wie jene der Gene sind digital angelegt, das heisst sie beruhen auf den in Multiplikationsformen unendlichen – und ich meine das Wort „unendlich“ so wie es das Wort sagt – Variationsmöglichkeiten von 1 und 0. Nehmen wir nun noch das uralte chinesische Weisheitsbuch „I Ging“ dazu, das auf geistige und emotionale Werte ausgerichtet ist und ebenfalls digital angelegt ist, so müssen wir wissen, dass wir, in dem wir das Internet und weitere Computertechnologien nutzen, uns im Feld bewegen, aus dem wir selber gemacht sind, sowohl in unserer gesamten organischen Anlage wie unserer geistig-emotionalen. Und das birgt unendliche Gefahren. Vergessen wir nie, dass auch die Erkenntnis des spaltbaren Atoms auf der Forschungsebene nicht auf die Zerstörung der Welt angelegt war.

Mit anderen Worten, mit jedem „Warten“ auf Daten, sind wir sowohl praktisch wie ethisch herausgefordert. Im Praktischen können wir lernen, durch präzisere Fragestellungen, durch Einengung der Suchfelder  – ich persönlich benutze schon lange nur noch jene Search-Engines, die sich regional oder zahlenmässig eingrenzen lassen, gehe oft auch nach Ländern vor, betone somit das „Village“ im globalen Zusammenhang, weil mich die Ueberamerikanisierung des Netzes nur mässig interessiert – in diesem praktischen Feld können wir noch unendlich viel lernen, indem wir dranbleiben,üben und die technischen Möglichkeiten unserer Computer voll ausnützen – zum Beispiel stets mehrere Interessensstränge auf mehreren Fenstern gleichzeitig benutzen ( das verringert das „Warten“ enorm, so nicht am Punkt x der Fehler y auftritt und wir beim „Neustart“ endlich Zeit finden, auf die Toilette zu gehen). Im ethischen Feld hingegen, und dieses ist grundsätzlich von unendlich viel grösserer Tragweite, können – nein, müssen – wir extrem wachsam bleiben. Die Frage ist nur, ob die Machtstrukturen nicht schon heute so gross sind, dass meine Ethik überhaupt nicht mehr gefragt ist, ich somit längst Zappelphilipp einer neuen Weltmacht bin analog meiner Ohnmacht gegenüber dem atomaren Zerstörungspotential, das weltweit in Bunkern lagert. Ich danke fürs Zuhören und warte auf Ihre Fragen.