Ansprache anlässlich der Uebergabe des Trudy Schlatter Preises der Berner Frauenzentrale an das Frauen Kunst Forum Bern

September 1997

Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren

Vor drei Jahren, das heisst 1994, wurde das Frauen Kunst Forum Bern gegründet, mit dem Ziel, Schweizer Künstlerinnen in Bern eine Plattform zu bieten; nicht nur für die Präsentation ihrer Werke, sondern auch für die Diskussion darüber unter dem Stichwort „Frau“.

Damals wie heute fragen kritische Geister: Ist denn heute eine solche Institution (noch) notwendig?  Sie ist. Aber vielleicht muss man da ein wenig ausholen: Die Kunsthalle Bern zeigte 1994 drei Einzelausstellungen und drei Gruppenausstellun-gen. Die Weihnachtsausstellung und die Lückenbüsser-Ausstellung „Spuren“ nicht mitgezählt, waren das Präsentationen für 8 Künstler und 2 Künstlerinnen (Irene Schubiger und Nathalie Tison). Die Kunsthalle Zürich zeigte 1994 sechs Einzelausstellungen von sechs Künstlern; das Aargauer Kunsthaus im selben Jahr sieben Einzelausstellungen für sieben Künstler – sowie eine Gruppenausstellung, in der zwei Künstlerinnen vertreten waren (u.a. die Spanierin Susana Solano). Das Kunsthaus Zug zeigte sechs Einzelausstellungen für fünf Künstler und eine Künstlerin (Ruth Himmelsbach). Das Kunstmuseum Bern, um wieder ins Lokale, hier Bestimmende zurückzukehren, hatte – immer 1994 – neben Sammlungsausstellungen sechs Ausstellungen mit Werken von sechs Künstlern und einer Künstlerin (oder besser: Ehefrau, Margrit Linck) im Programm.

1994 war – statistisch gesehen – ein extremes Jahr, das Frauen hier und dort schlicht nicht mehr akzeptierten. Im Aargau – wo ich primär zuhause bin – formierte sich eine Gruppe, die eine Aussprache mit dem Konservator verlangte und schliesslich einen emotional befrachteten Vortragsabend veranstaltete. In Bern entstand – mit Langzeitwirkung – das Frauen Kunst Forum; über eine Berechtigung für die Initiative von Ester Adeyemi und einer Gruppe von Mitaktiven muss nach diesen Zahlen wohl kaum mehr gesprochen werden.

Doch die Zeit rennt, die Entwicklung ist turbulent. Im Oktober 1996 – dieses Datum, ganz einfach, weil es mir damals auffiel und ich nachzählte – stellte im Aargauer Kunsthaus die Genfer Plastikerin Carmen Perrin, in der Kunsthalle Basel die  Videokünstlerin Diana Thater und im Museum für Gegenwartskunst die Konzeptkünstlerin Andrea Zittel aus; in der Kunsthalle Bern war gleichzeitig die Zeichnerin Silvia Bächli, in der Kunsthalle Freiburg die Videokünstlerinnen Vanessa Beecroft und Julia Scher, im Centre d’art contemporain in Genf die Malerin, Fotografin und Objektkünstlerin Ingeborg Lüscher, im Kunsthaus Glarus unter dem Stichwort „Körper, Identität, Irritation“ vorwiegend Künstlerinnen (Bessie Nager, Ana Axpe, Rachel Mahler, Hannah Külling, Claudia di Gallo, Maya Rickli um nur einige zu nennen) sowie in einer Einzelausstellung Monika Dillier. In St.Gallen präsentierte das Kunstmuseum gleichzeitig die Minimal Art Künstlerin Karin Sander, die Kunsthalle Winterthur die Zürcher Konkrete Rita Ernst und in der Kartause Ittingen in Warth war immer noch die Installation von Jenny Holzer zu sehen.

Auch das ist statistisch extrem, aber ich denke nicht, dass es je zuvor einen Moment gab, in dem in Schweizer Museen und Kunsthallen – die Glarner Gruppenausstellung als 1 gerechnet –  gleichzeitig zwölf Einzelausstellungen von Künstlerinnen stattfanden.

Hätte das Frauen Kunst Forum dementsprechend per Ende 1996 unter dem Stichwort „Ziel erreicht“ schliessen müssen? Nein. Ich habe Ester Adeyemi diese Frage im Vorfeld des heutigen Abends selbstverständlich gestellt und sie hat dann einen Ansatz in den Vordergrund gestellt, den ich sehr schön finde. Es gehe ihr in ihrem Programm heute weniger denn je darum, „weibliche“ Kunst zu zeigen und auch nicht darum, einen Rapport über „arme, vernachlässigte Künstlerinnen“ zu erstatten, sondern um einen Bewusstseinsprozess. „Ich finde einen Ort, wo das Empfinden der Frau in seiner ganzen gesellschaftlichen Komplexität im Zentrum der Auseinandersetzung steht, heute so wichtig wie gestern“, sagte Ester Adeyemi sinngemäss. Und weiter: „In dem Moment, da jemand ins Frauen Kunst Forum tritt, ist der Blickwinkel gegeben: Was hat die ausstellende Künstlerin der Welt als Frau zu sagen. Da wird jedesmal ein Bewusstseinsprozess in Gang gesetzt, der sowohl von Frauen wie von Männern jedesmal neu erarbeitet werden muss. Es stellen sich Fragen nach der individuellen und persönlichen Identität, der Weltsicht, der Verantwortung, der Solidarität.“

Für Ester Adeyemi ist Kunst nicht primär Ausdruck einer aesthetischen Theorie, sondern eine Synthese der Intensität von Ausdruck und Inhalt. Wenn auch nicht direkt vergleichbar, so ist ihr doch Catherine Davids Dokumenta 97-Konzept, das von den Kunstschaffenden eine pointierte soziale, politische und ethische Haltung verlangt, nahe. Und ich denke, das kommt in vielen Ausstellungen, die hier stattfinden, zum Ausdruck, beinhaltet den Forums-Charakter und unterscheidet den Ort von einer Galerie. Hier werden nicht Märkte bearbeitet, sondern Möglichkeiten zur Auseinandersetzung angeboten, die – gegebenenfalls –  mit einer Arbeit einer Künstlerin bei sich zuhause ihre Fortsetzung findet.

Joseph Beuys würde das Frauen Kunst Forum zweifellos als geglückte „Soziale Plastik“ bezeichnen. Dass das nicht ein unternehmerischer Ansatz ist, liegt auf der Hand und darum freue ich mich, dass die Frauenzentrale mit ihrer finanziellen Geste etwas zum Fortbestand dieses Frauen Kunst Forums leistet und frage mich, etwas provokativ, warum es denn keine Männer-Zentrale gibt und schon gar kein Männer Kunst Forum. Ha, lachen sie vielleicht in sich hinein und rufen mir zu, ich solle doch einmal ins Parlament schauen oder eine Museums-Sammlung abschreiten, da seien doch die Männer-Foren.

Nein, das sind sie nicht. Ganz einfach, weil die Männer es nie gewagt und nie gelernt haben, nach sich selbst zu fragen. Die Frauen sind da heute viel weiter. Betrachtet man – zum Beispiel in der zur Zeit laufenden Ausstellung „Nonchalance“ im Centre Pasquart in Biel – wie vielen jungen Künstlern heute ihr eigener Körper, ihr eigenes Sein Thema ist, dann ist allerdings spürbar, dass ein Umdenken im Gang ist. Zählt man dann – immer noch die sehenswerte Ausstellung „Nonchalance“ von Christoph Doswald in Biel im Visier – zählt man dann allerdings die Frauen-Einzelpositionen – es gibt viele Teamarbeiten, u.a. Pipilotti Rist/Anders Guggisberg oder Sylvie Fleury/Sidney Stucki  –  so erschrickt man: Es ist nur eine einzige (gegenüber 13 Männern). Das darf doch nicht wahr sein in einer Ausstellung, die sich – mit etwas vollem Munde – als die grösste Uebersichtsausstellung über junge Schweizer Kunst seit dem „Stillen Nachmittag“ im Kunsthaus Zürich im Jahre 1987 versteht.

Tatsächlich hätte es alternativ wichtige Frauenpositionen gegeben, zum Beispiel Yoko,  Ana Axpe, Muda Mathis &Co., Simone Wicki, Syl Betulius &Co Gründler, um nur einige zu nennen. Schaut man dann aber näher hin und überlegt sich, wer von den jungen Schweizer Künstlerinnen mit 60er Jahrgängen, die zum Beispiel in den letzten Stipendiumsausstellungen Beachtung fanden und dementsprechend dabei sein könnten, stellt man fest, dass viele von ihnen nicht ins Thema passen, nicht „nonchalant“ arbeiten und sich auch nicht (mehr) mit ihrem eigenen Körper auseinandersetzen,  oder, wenn schon, dann sehr distanziert.

Sie beschäftigen sich vielmehr mit der Aussenwelt,  mit der Gesellschaft,  mit den Dingen, den Gegebenheiten, der Geschichte – auch jene der Kunst – und dies selten „nonchalant“, sondern mit sehr viel innerem Engagement. Ich denke da etwa an Ariane Epars, an Renée Levi, an Anna Amadio, an Theres Wäckerlin/Agathe Zobrist, an Marie José Burki, an Nika Spalinger, an Germaine Frey, an Silvia Gertsch,  an Gabriela Gerosa,  an Simone Zaugg,  Mo Diener,  Ester van der Bie,  Käthe Walser  usw. Somit ist festzustellen, dass mit der gesamthaft gesehen verstärkten Präsenz von Künstlerinnen in den öffentlichen Instituten – dass sich ausgerechnet Ulrich Look mit zwei Ausstellungen von Künstlerinnen von Bern verabschiedet, sei, zumindest spekulativ, als Omen zitiert – dass diese Präsenz nicht heisst: Frauenkunst ist  gleich Männerkunst und damit ein Frauen Kunst Forum überflüssig. Denn ganz offenbar haben sich die Ausrichtungen in den letzten Jahren zum Teil gekreuzt.

Ich weiss genau, wo mir dieses Fazit vor vielleicht zwei/drei Jahren so richtig unter die Haut ging; hier in Bern. Die Galerien hatten „Wochenende der offenen Tür“. Bei Bernhard Schindler stellte Koschta Reist aus, mir damals noch unbekannt. Ich schaute mir die skizzenhaften Malereien an, die sich ganz offensichtlich aus intimen Erinnerungen und im Unbewussten gelagerten Bildern formten. Obwohl ich klare Differenzen sah, kamen mir Silvia Bächli, Rosmarie Trockel und andere Künstlerinnen in den Sinn. Was soll das anno 1995 – das ist doch Frauenkunst aus dem 80er Jahren, dachte ich und schüttelte den Kopf. Da kommt der Galerist auf mich zu und fragt: Darf ich ihnen den Künstler vorstellen?

Mir stockte einen Moment lang der Atem, dann sagte ich: „Ja, doch, gerne“. Kotscha Reist, dessen Vornamen ich weiblich interpretiert hatte, war unzweifelhaft ein Mann und im Gespräch wies er auf Luc Tuymans, aber auch auf Rosmarie Trockel als Vorbilder. Daraufhin war mein Blick geschärft und ich bin seither unzählige Male auf diese „Umkehrung“ gestossen. Sie gilt selbstverständlich nicht für alle Künstler, aber doch für eine markante Zahl. Gleichzeitig fiel mir auf, dass junge Künstlerinnen immer konzeptueller zu arbeiten begannen.

Das kürzlich in Basel erschienene Buch von Gesprächen mit Künstlerinnen unter dem Titel „Nicht nur Körper“ ist hiefür bezeichnend. Und so stehen wir heute also vor dem Phänomen, dass der legendäre Satz von Meret Oppenheim aus dem Jahre 1975 wieder nicht stimmt: „Es gibt keine Frauenkunst und keine Männerkunst, es gibt nur Kunst.“ Die Qualität von Kunst hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Aber ihre Geschichte, ihre Inhalte, ihre Dringlichkeit, ihre Rezeption – kurz das Bewusstsein um Kunst wird auch heute unter dem Gesichtspunkt des Geschlechts erweitert und darum braucht es das Frauen Kunst Forum und darum bräuchte es eigentlich auch ein Männer Kunst Forum mit Besuchern jeglichen geschlechtlichen Empfindens.