Vernissagerede für Balz Klöti anlässlich seiner Ausstellung im Kunstraum Aarau, 7. November 1997

Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Balz

Drei Jahre sind es her, dass Balz Klöti zum ersten Mal hier im Kunstraum ausgestellt hat. Sie erinnern sich:  Ueberdimensionierte menschliche Organe, aus Karton „modelliert“, mit wenig Farbe dem Körper angenähert; Netze aus Plastikröhrchen, auch sie dem Körper nachgeformt. Teile des Systems Leben. Und heute: Ein Tisch mit Kappen, zwei Walzen aus Waben, Rohrvitrinen mit Bestandteilen, transparent wirkende Bildzeichen, schwebend, rollend. Ein Weg. Gedanken.

Als Balz Klöti Ende der 80er Jahre als expressiver Maler am Rande von Gegen­ständlichkeit und puzzleartiger Erzählung in der Kunstszene Zürichs in Erscheinung trat, stiess das vorerst nur lokal auf Aufmerksamkeit. Dann, auf einmal, konkretisierte sich das, wonach er gesucht hatte. Das Erle­ben der Verquickung von Gesundheit, System und Krankheit am eigenen Körper war  äusserer Impuls für die Beschäftigung mit dem „Wunder Mensch“, so der Titel eines Buches im Atelier des Künst­lers. Doch gleichzeitig rückte das Thema Körper von allen Seiten in die Kunst, nicht zum ersten Mal. Der Körper als Refugium des Eige­nen in einer sich exponentiell in alle Richtungen ausweitenden Welt. Ein Körper freilich, der sich aufgrund unserer medialen Gewohnheiten nicht mehr primär als Figur präsentiert, sondern als Fragment. Balz Klöti war sich nicht im eigentlichen Sinn bewusst, mit seinen „Lungen“, mit dem überdimensionierten „Herz“, den „Kreislaufsystemen“ in einen Bereich zu stossen, auf den plötzlich alle reagierten, für ihn waren diese Arbeiten Weiterentwicklung, nicht Bruch und völlig Neues. Dennoch: Es hagelte Förderungspreise, Stipendien, Atelieraufenthalte, Ausstellungen. Es ist oft so, dass Künstler staunend – fragend auch –  zur Kenntnis nehmen, aufgrund komplexer Wahrnehmungsstrukturen plötzlich mit dem Richti­gen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Denn ebenso entscheidend wie das eigene Gestalten ist die Befindlichkeit derer, welche die Arbeiten sehen, wahrnehmen und mit ihrem Denken verquicken. Kunstproduktion und Kunstrezeption sind oft verknüpfter als man denkt. Die Nagelprobe folgt jedoch meist auf dem Fuss, denn nicht immer ist sicher, was Zu-Fall ist und was, wie einem inneren Antrieb entspricht. Was wir heute hier als neue Arbeiten von Balz Klöti sehen, erlaubt eigent­lich erst die gültige Interpretation dessen, was vor drei Jahren hier war.

Wir sehen zunächst, dass die Entwicklung sehr starke Abstraktions­momente mit sich gebracht hat. Das heisst, die starke, emotionale Wirkung, die seine roh geformten, unmittelbar körperlichen, Arbeiten ausgelöst haben – als Moment eines dekonstruktiven, radikalen Umgangs mit den Teilen des Selbst – war nur bedingt die Zielsetzung der Arbeiten. „Um mit dem Körper arbeiten zu können, musste ich ihn mir zunächst einmal anschauen, ihn nachbauen, ihn begreifen in seiner über Leben und Tod bestimmenden Bedeutung, seiner Komplexität und seiner Fragilität“, sagt der Künstler rückblickend. Das analytische Moment war also sehr wichtig. Das erklärt aspektweise, warum die unmittelbare Körperlichkeit relativ schnell wieder aus dem Werk verschwunden ist. Sie hatte ja eigentlich durch die Verwendung von Karton und Plastik, durch die improvisierte Arbeits­weise geradezu Skizzencharakter. Es ging um das Erforschen des Körperlichen, nicht um dessen Repräsentanz. Dennoch bin ich schon ein bisschen erschrocken als ich im Atelier des Künstlers sah, wie manche der damaligen Werke heute in Teile zerlegt, scheinbar achtlos da und dort in Gestellen verstauben. Gut, dass Balz Klöti eine Art plastisches Tagebuch führt, in Vitrinen Versatzstücke des Werk-Körpers aufbewahrt, um bei Bedarf das Ganze zumindest rekonstruieren zu können. Eine Art Back Up sozusagen. Vergänglichkeit und Rekonstruktion wird in unserer, immer luftiger werdenden Welt, in der Bildung und Auflösung einander immer näher rücken, wohl bald einmal ein virulentes Thema werden.

Das steht hier aber nicht im Zentrum. Ihm stellten sich auf seiner Forschungsreise bald einmal Fragen nach der Form, dem Abbild, der Simulation, dem Raum, dem Aussen- und dem Innenblick. Das heisst, es ging ihm darum, ins System Leben, Körper, Empfindung einzudrin­gen und aus dem Innen wieder zum Ausdruck zu bringen. Paradoxer­weise waren ja die Körperteile aus unserem Innern nicht Innenbil­der, sondern Aussenbilder. Ein schönes Beispiel für diesen Wandel ist zweifellos die aus Gips und Wachs geschaffene Mützenarbeit, da sie auf den ersten Blick Irritation schafft. Einerseits sehen wir sofort, wonach die Formen gebildet sind, spüren aber sogleich auch die Nähe von Schädeldecken. In der Art der Präsentation kommt ein humoristisches, aber zugleich auch ein makabres Moment ins Spiel. Selbst wenn wir dürfen, haben wir keine Lust, uns eine dieser Kappen aufzusetzen. Ihre Funktion als etwas Schützendes rückt in den Hintergrund, hebt sich auf, weil die Empfindung von Verletz­lichkeit, ja gar von Tod – möglicherweise von gewaltsamem Tod –  stärker ist. Was in den älteren Arbeiten als Teile des Systems Leben erschien, trotz Fragmentierung eigentlich nicht vom Tod sprach, ist hier in eine gedanklich wesentlich komplexere Struktur gestellt, die allerdings auch sehr viel mehr Gedankenarbeit fordert als die relativ einfach und unmittelbar lesbaren, früheren Körper­fragmente.

Es ist eigenartig, mit jenen Arbeiten wirkte Balz Klöti eigentlich jünger als er ist, um die 35 Jahre vielleicht, und somit auch ganz stark auf das, was wir als 90er Jahr Klima bezeichnen, ausgerich­tet. Die Arbeiten hier jedoch zeigen ihn stärker als Vertreter seiner effektiven Generation, jener der heute 40/45 jährigen. Denn sein Weg ging nicht auf der Oberfläche weiter, ging nicht von Körper zu Gesellschaft, zu Mediatisierung, zu Club Culture und Nonchalance, sondern in die aufgeriffene Thematik hinein, letztlich zur Frage, aus welchen Strukturen Leben überhaupt wächst. In der Mützenarbeit springt noch etwas hin und her, ist das Aeussere und das Innere im Austausch. Wenn wir hören, dass Balz Klöti die beiden Walzen „Landschaften“ nennt, kippt das Gedanken­feld ganz nach innen. Denn da ist nichts, das mit einer äusseren „Landschaft“ in Verbindung zu bringen wäre; der Körper aber klingt nach wie vor an; die Waben erinnern uns an  Zellstrukturen und vielleicht auch daran, dass die DNS-Moleküle, welche die gesamte Erbinformation enthalten, in jeder einzelnen Zelle, ob pflanzlich, tierisch oder menschlich in identischer Form enthalten sind, dass eine Zellstruk­tur somit eigentlich – den Vitrinen gleich – ein Reservoir für Lebensformen ist. „Simulation“ sei ihm wichtig, sagt Balz Klöti und schlägt eine Brücke zu einem Thema, das uns heute eminent beschäf­tigt: das Leben zwischen natürlicher Evolution und technischer Manipulation.

Doch halt, Gedankenflüge sind eines, bleiben wir an der Kunst, zunächst ganz konkret. Die Walzen sind analog zu früheren Arbeiten aus Karton, aus Einzelteilen geformt, nun aber mit einer Wachsmi­schung versteift und natürlich auch versinnlicht. Die heimliche Berührung ist ein wichtiger Teil der Wahrnehmung. Ich habe erst vor einigen Wochen, in einer Ausstellung von Nesa Gschwend in Basel, beim Berühren ihrer gewachsten und geölten Buchobjekte realisiert, wie uns die mediatisierten 90er Jahre die haptische Erfahrung steh­len und bin überzeugt, dass gele­gentlich eine Gegenbewegung dieses Manko thematisieren wird. Das sinnliche Moment als Querverbindung zum Körper, zur Empfindung ist Balz Klöti wichtig; wir sehen es auch in der hautartigen Erschei­nung der Bildarbeiten, in den gewachsten Spulen und Stoffen in den Vitrinen. Doch ebensowichtig ist dem Künstler heute der plastische Charakter seiner Arbeiten im Raum; es zeigte sich ihm, dass nur ganz bestimmte Körpervolumen die inhaltliche Zielrichtung seiner Vorstellungen aufzunehmen vermögen. Im gemeinsamen Schauen haben wir dann gemerkt, dass es immer Bewe­gungskörper sind, die sich gedanklich aus ihrer statischen Struktur zu winden vermögen und dadurch ein Schweben, ein Rollen, ein Abwic­keln suggerieren. Die konstruktiv-runde Tunnelform aus gewachstem Planpapier scheint sich, bei gutem Licht, vom Untergrund abzuheben. Die Spule, die in ihrer Zeichenhaftigkeit her von ganz, ganz weit her daran erinnert, dass Balz Klöti, vor der Schau­spielschule respektive der Schule für Gestaltung seine Ausbildungszeit einmal mit einer Lehre als Elek­triker begann, die Spule nimmt die Plastikröhr­chen der Kreislaufsysteme auf, zeigt jedoch nicht das Definierte, sondern weist auf das Potential von Entwicklungen in der Zeit, analog zu den Walzen.

Ich denke da liegt der Kern der Erneuerung, die Balz Klöti in den letzten Jahren durchlaufen hat, nämlich die Wandlung vom Definier­ten, von der Anatomie des Körper, zum Möglichen, zur potentiellen Lebens-Form und zwar in der ganzen Ambivalenz dessen, was die Naturwissenschaften heute wissen und können. Die Versatzstücke, die Balz Klöti in den Vitrinen aufbewahrt, erhalten dadurch plötzlich eine Dimension, die weit über die Dokumentation künstlerischer Experimente hinausgeht. Und wenn wir, quasi den Kreis schliessend, gedanklich zu den Mützen zurückkehren, den Schalen, die der Schä­deldecke gleich das Hirn schützen, und daran denken, dass wir sie anfänglich mit Leben und Tod in Verbindung gebracht haben, so öffnen sie sich nach Abschreiten des gesamten Gedankenfeldes noch einmal komplexer, indem zum Schutz, zur Verletzlichkeit auch die Fähigkeit zu verletzen, zu zerstören hinzugedacht werden muss.

Ich danke fürs Zuhören.