Hans Ulrich Theilkäs Ausstellung Galerie Contempo Grenchen 1997

Vernissage Ansprache

Ausstellung und Videoinstallation von Hans-Ulrich Theilkäs in der Galerie Contempo in Grenchen

24. Mai 1997

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Hansueli

Seit nunmehr neun Jahren befasst sich der Berner Künstler Hans-Ulrich Theilkäs mit der Horizontlinie wie sie sich von einem ganz bestimmten Aussichtspunkt in der Nähe von Thun ergibt. Das gesamte Werk dieser Zeit heisst ganz einfach „Standort Riedhubel“. In einem Galerie-Gespräch, das im vergangenen September im Rahmen der Ausstellung des Künstlers in der Galerie Susanne Kulli in Bern stattfand, erzählte der Künstler trocken und gleichzeitig sehr präzis wie es dazu kam.

Er habe zunächst die Aussicht angeschaut und dabei den Variationsreichtum der Horizontlinie erkannt, wie sie sich aus der Begrenzung von nahen Büschen, fernen Bergen und einem Stück Stadt gegenüber dem Himmel ergebe. Auf ein A4-Blatt habe er sie zu zeichnen begonnen, dann gemerkt, dass ein Blatt nicht ausreiche, dass die Linie weitergehe. Da habe er ein weiteres angeklebt, um weiterzeichnen zu können. Dieses Tranchenhafte habe ihn dann erkennen lassen, dass die Horizontlinie etwas Kartographisches in sich trage, gleichzeitig den Kreis, und somit das Ganze, umschreibe wie auch einzelne unterteilbare Blick-Winkel. So kamen für den Künstler zwei Momente zusammen: Die Landschaft und die Möglichkeit ihrer Abstraktion.

Hans-Ulrich Theilkäs ist kein Plein-air Maler; er war – gemessen an neun Jahren Arbeit – nicht allzu häufig auf dem Riedhubel; sein Werk ist vielmehr eine konzeptuelle Atelierarbeit, die sich indes durch die immer selben Wurzeln, der Horizontlinie gleich, um eine definierte Achse dreht, in deren Zentrum er selbst als Schauender und Gestaltender steht. Hans-Ulrich Theilkäs ist 1949 geboren; wenn man seine Arbeit generationenmässig einordnen will, gelangt man dementsprechend zu den 70er Jahren als prägender Zeit. Eine Zeit, in der sich objektive und subjektive Wahrnehmungsmomente in vielfältigen, individuellen Konzepten verschränkten (für Bern ist da zum Beispiel Markus Raetz zu nennen).

Es war überdies eine Zeit, in der das Moment des Regionalen, des Ortsspezifischen eine wichtige Rolle spielte. Als kunstgeschichtlicher Hintergrund ist das für die Arbeit von Hans-Ulrich Theilkäs massgebend.

In jenem Galerie-Gespräch, das von Susanne Brändli auf Video aufgenommen wurde und darum greifbar ist, sprach Hans-Ulrich Theilkäs davon, dass der Standort für ihn eigentlich austauschbar sei, dass es nicht um die Horizontlinie „Standort Riedhubel“ gehe, sondern um eine Auseinandersetzung mit dem Horizont an sich.

In meinem etwas verzweifelten Versuch, dem Künstler nicht nur analytische, sondern auch emotionelle Statements abzuringen, habe ich ihm das provokativ nicht geglaubt. Weil für mich ein Standort, dessen Horizontlinie von Eiger, Mönch und Jungfrau, von Stockhorn und Glärnischkette, einem Stück Bern, einem Zipfel Jura und dem hügeligen Emmental bestimmt ist, für jeden Schweizer etwas fast Archetypisches beinhaltet.

Hans-Ulrich Theilkäs ging in seiner Replik immerhin so weit, dass er sagte, wenn ihm der Rundblick vom Riedhubel nicht gefallen hätte, wäre er wohl nicht darauf eingegangen. Wenn wir die Arbeiten und insbesondere die Videoinstallation betrachten, die Hans-Ulrich Theilkäs hier und heute zeigt, so können weder Sie noch ich die Linie, wie sie der Künstler einsetzt, bildhaft in die Landschaft zurückversetzen.

Bezeichnend ist, dass die Form, die ich mir am besten merken kann, die mir immer wieder Orientierungshilfe ist, realiter von einem Busch in der Nähe des Standortes stammt und durch diese Nähe markant ausgeformt ist, während Anderes sich in der Weite zur schwingenden Bewegung nivelliert. Es ist somit nicht die Geographie, sondern die tiefliegende Vertrautheit mit dem Ausgangsbild, die für mich Kern der Motivation des Künstlers ist, immer und immer wieder neue Aspekte aus dem Thema herauszuholen.

Ausgangspunkte der verschiedensten Annäherungen an die Horizontlinie sind zum einen „Spiele“ – im besten Sinn des Wortes – die sich mathematisch benennen lassen, zum anderen unterschiedlichste Medien und Malmittel. Beides können wir in der Ausstellung nachvollziehen. In der Grafik-Mappe, die aus Anlass der Ausstellung erschienen ist, macht es uns der Künstler verhältnismässig einfach – scheinbar einfach.

Es sind 24 Blätter, auf denen in additiver Reihe immer mehr 15°- Ausschnitte des Horizontkreises zu sehen sind. Sie fügen sich nicht zur zusammenhängenden Linie, sondern sind der optischen Höhe der Horizontlinie entsprechend übereinandergeschichtet. Da kann es also sehr wohl sein, dass der Jura und die Jungfrau sich im Bild durchkreuzen oder der Glärnisch ins Emmental zu stehen kommt.

Ich kann mir das Gesicht des Künstlers vorstellen, wenn er im Arbeitsprozess solche Begegnungen entdeckt hat. Meine Beispiele hier sind fiktiver respektive lustbetonter Art. Wir werden ja mit einer Landschaft konfrontiert, die es so nicht gibt; dennoch ist sie aber – bezogen auf den Standort – real. Die Rundumsicht können wir ja sowieso nie sehen – uns fehlt das Auge am Hinterkopf und die entsprechende Koordination im Hirn – wir sehen immer nur Teile. So ist es die künstlerische Freiheit des Künstlers, mit diesen Teilen neue, unverhoffte Kombinationen zu schaffen.

Dennoch ist es wohl gerade dieses Nichtsehenkönnen des Ganzen, das Hans-Ulrich Theilkäs animiert hat, ein Panorama zu schaffen; nicht eines wie es im 19. Jahrhundert Mode war, sondern als Videoinstallation, die wir hier zum ersten Mal sehen. Entstanden ist sie bereits 1995 in Zusammenarbeit mit der Berner Video-Künstlerin Susanne Brändli. Zu sehen ist – wie immer – die Horizontlinie und zwar in einer ebenso abstrakten wie präzisen Ausführung. So scheint die Linie still zu stehen, sich schlängelnd fortzusetzen und wir gehen mit ihr, drehen uns um uns selbst.

Vielleicht beginnen wir dabei über den Horizont an sich nachzudenken, werden uns bewusst, wie dominierend diese Linie ist bezüglich dessen, was wir sehen respektive nichtsehen und erkennen gleichzeitig wie zufällig diese Linie eigentlich ist. Denn es gibt sie ja gar nicht so – wir sind es, die – im konkreten Fall – Hunderte von Kilometer auf eine einzige Linie verkürzen und dabei Grössenordnungen „auf den Kopf stellen“. Und doch ist sie für uns Wahrnehmungs-Realität. Dieser scheinbaren Realität gibt die Videoinstallation vom Medium her eindrücklich Ausdruck. Denn der Streifen ist nichts als Licht. Auf dem Video ist die Linie weiss, hier aber mehrfarbig.

Einmal mehr zeigt sich, wie sehr Hans-Ulrich Theilkäs die Techniken, die er anwendet, auslotet, um ein Maximum an Wahrnehmungsmöglichkeiten herauszuholen. Indem die drei Grundfarben des Beam (des Farbprojektors) einzeln dieselbe Information vom Videoapparat her erhalten und indem die Farbstrahlen in ihrer Richtung übereinander angeordnet sind, zeigt sich die Horizontlinie als dreifarbiger Streifen: Blau, Rot und Grün. Blau,rot,grün – halt – wie heisst doch das Bild von Barnet Newman – Who’s afraid of yellow, blue and red?

Das sind doch die Grundfarben, das Grün ergibt sich aus der Mischung von Gelb und Blau. In der Projektion ist das Gelb aber enthalten – wie, wenn es eine Grundfarbe ist?  Es erscheint dort, wo sich rot und grün mischen. Auch das Orange, das da und dort aufscheint, ist nicht eine Mischung von rot und gelb, sondern von Blau und Rot. Und das Weiss ergibt sich dort, wo die drei Farben sich durch leichte Verschiebung treffen. Wir stossen da an eine grundlegende physikalische Eigenschaft, die in der Optik als additive respektive subtraktive Farbstruktur bezeichnet wird und die uns der Künstler in dieser Licht-Arbeit respektive in den leicht verschobenen Dreifarben-Drucken sehr schön aufzeigt. Im materiellen Bereich sind die Grundfarben Rot, Gelb und Blau.

Mischt man sie gleichwertig entsteht ein Grau. Im immateriellen Bereich hingegen sind die Grundfarben Rot, Grün und Blau und ihre Ueberlagerung ergibt Weiss. Mischen von Farben im materiellen Bereich führt zu einer kontinuierlichen Verdunkelung, im immateriellen Bereich hingegen zu einer stetigen Aufhellung. Es wäre einen philosophischen Abend wert, zu überlegen wie sich diese optischen Gesetzmässigkeiten in unseren Wertvorstellungen spiegeln.

Hier macht die additive Farbmischung klar, dass die Horizontlinie, die wir ja – wenn das Wetter nicht gerade verrückt spielt – als das Aufeinandertreffen von dunkler Materie und hellem Licht wahrnehmen, dass diese Horizontlinie im Video als Annäherung von der Licht- oder Himmelsseite her erfolgt, während sie in allen anderen Arbeiten von Theilkäs den Eigenschaften der Malmedien folgend, von der materiellen Seite her erfolgt. Und gerade das macht die Installation nicht zu einer technischen Variation eines unendlich bearbeiteten Themas, sondern zu einer anders nicht erreichbaren Aussage.Diese wird noch verstärkt durch das Stimmengewirr, das uns, analog zu Materie und Licht, die Grenze zwischen verstehen und nichtverstehen aufzeigt.

Ich denke nicht, dass der Künstler das alles vorausgesehen hat, aber er hat mit der ihm eigenen Präzision einen Weg beschritten, von dem er ahnte und hoffte, dass er Neues sichtbar machen würde. Diese intuitive Präzision, die unverhofft über sich selbst hinausweist, gibt es immer wieder in Hans-Ulrich Theilkäs Werk.

Ein anekdotisches Beispiel will ich Ihnen erzählen: Als ich nach meinem ersten Besuch hier das Video des besagten Gespräches in Bern visionierte, realisierte ich plötzlich, dass die 24teilige Kugelschreiber-Arbeit, um die es dort ging, auf den Farben blau, rot und grün aufgebaut ist. Aha, dachte ich mir, die Arbeit ist ja nach dem Video enstanden, also wollte der Künstler ausprobieren, was im materiellen Bereich passiert, wenn er mit den drei Licht-Grundfarben arbeitet und zwar so, dass sie sich nicht mischen, sondern vernetzen.

Das Video läuft dann weiter und plötzlich erklärt der Künstler – ich hatte das inzwischen wieder vergessen – dass sich die Farbwahl daraus ergeben habe, dass er mit Industrie-Kugelschreibern – Caran d’Ache als Sponsor sei Dank – arbeiten wollte und die gebe es nur in grün,rot und blau. Meine Konzept-Idee schien sich aufzulösen und doch ist sie natürlich gleichwohl darin enthalten, weil der Künstler die Kombination als tragfähig für einen 24-teiligen Zyklus erachtete. Was das heisst, können wir in dieser Ausstellung abschätzen, wenn wir die kleinen rot-blau-gelben Arbeiten betrachten, die der Künstler – diesmal mit Glas-Stiften, die gleichmässig Farbe abgeben – gezeichnet hat.

Mit unendlicher Ausdauer umkreist er darin die Horizontlinie, als wollte er etwas von der Dimension dessen,  etwas vom Gefühl der Unendlichkeit, das der Begriff „Horizont“ in unserer Empfindung auslöst, in bildnerische Intensität umsetzen. Wenn Sie den Künstler fragen, wird er von den unterschiedlichen Farbwerten sprechen, die er auf den drei unterschiedlich dunklen Drucken, die darunterliegen, mit dieser Methode erreichen konnte und die „andere Seite“ des Gedankens mit einem Lächeln quittieren. Präzision, Nähe, Klarheit ist dem Vermesser des Horizontes wichtig – aber wer vermisst nicht, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen? Und da treffen wir uns dann wieder im Gespräch – der zurückhaltende, ausdauernde Künstler und die gedankenfreudige Kunstkritikerin.

Ich danke fürs Zuhören.