Präsentation der Skulpturenkette „Baden/baden“, geschaffen von Mitgliedern des Verbandes Schweizer Bildhauer- und Steinmetzmeister, für die Jahresversammlung in Baden, 28. August 1998

Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich darf Ihnen eine 37gliedrige Skulpturenkette vorstellen, die Bildhauer und Bildhauerinnen Ihres Verbandes geschaffen haben. Wird der Bildhauer- und Steinmetzmeister zum Künstlerverband? Ich hoffe, nein. Denn es ist eine erfreuliche Entwicklung, dass die funktionale Gestaltung in den letzten Jahren massiv an Bedeutung gewonnen hat, zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden ist. In einer Zeit, da sie bei Mc Donalds von Chicago über Baden bis Peking mehr oder weniger denselben Schnellimbiss kaufen können und die Menschen vom Nord- bis zum Südpol dieselben Jeans tragen, hat Gestaltung als Ausdruck des Persönlichen eine ganz neue Wichtigkeit erlangt. Denken Sie an Designer-Möbel, an junge Modekollektionen, an die „freitag“-Taschen usw. Denken Sie an den Design-Preis Schweiz und an die Umbenennung der Stipendien für angewandte Kunst in Gestaltungspreise Schweiz.

Der Steinbildhauer als Designer? Ja und nein. Design ist ein Modewort; es heisst nichts anderes als Gestaltung von Form und Funktion. Früher sagte man Kunsthandwerker, heute sagt man Designer. Das sind Aeusserlichkeiten. Sie sind aber Ausdruck einer Aufforderung neu zu sehen, Neues zu gestalten, sich einer neuen Zeit zu stellen. Und darum gehört diese Skulpturenkette in diesen Kontext. Man ist sich in Ihrem Verband bewusst geworden, dass nur hochstehende, persönliche Gestaltung die Distanz zur Massenware zeigt. Und dass eine erfolgreiche Zukunft nur auf diesem geschwungenen Weg mit tausend Möglichkeiten erreicht werden kann. Viele von Ihnen, fast alle, die hier mit einer Arbeit vertreten sind, haben mit Grabsteinen zu tun, mit gestalteten Zeichen der Erinnerung an Menschen, die ihr Leben hier unter uns abgeschlossen haben. Die Funktion von Grabsteinen ist nicht vergleichbar mit Möbeln, Taschen, Kleidern. Sie ist offener, hat aber dennoch klar den Auftrag in Form und Gestaltung die Erinnerung an einen Menschen zu symbolisieren. Die Schrift ist die einfachste Form, das Gestalten mit Zeichen und Symbolen die schwierigere, das Formen einer Skulptur als Metapher für einen Menschen die anspruchsvollste, aber vielleicht auch die schönste.

Diese Skulpturenkette hier hat scheinbar nichts mit Grabmälern zu tun und doch ist das eine das andere. Sie wollen ja mit einem Grabmal nicht den Tod darstellen, sondern das Leben, also genau das, was all diese Skulpturen hier auch intendieren. Es kommt hinzu, dass all dieser Vielfalt dieselbe Norm zugrunde liegt – ein Würfel von ca. 25 m 25 Zentimenter. Sie kennen doch das mit den Normen und Vorschriften. Und doch ist da eine grosse Vielfalt entstanden. Der scheinbar freie Auftrag, eine Skulptur zu gestalten, die das Thema „baden“ illustriert, hat jüngere und ältere unter Ihnen, Lehrlinge und Erfahrene, Männer und Frauen  – in Ihrem Beruf löst sich ja die alte Geschlechtertrennung in schöner Weise immer mehr auf – die Idee der Skulpturenkette hat viele zu Gestaltungen angeregt, die über das Alltägliche hinausgehen. Traditionelle Kunstformen spiegeln sich in den figürlichen Lösungen – gestatten Sie mir die Frage, warum eigentlich Frauen so gerne baden, während die Männer, soweit ich sie hier sehe, vor allem Taucherbrillen tragen? Die Kunst der Geometrie hat zu Skulpturen animiert, die mit Mass und Zahl Balancen schaffen. Die Illustrations- und Comicwelt war Impuls zu Gestaltungen mit erzählerischem, da und dort gar humorvollen Charakter. Die Abstraktion, welche die Kunst des 20. Jahrhunderts massgeblich geprägt hat, spiegelt sich in Skulpturen, die das Thema Wasser symbolisch aufnehmen; was liegt da näher als Variationen zur Form der Welle. Ich will hier nicht auf einzelne Arbeiten eingehen, auch wenn mir, wie Ihnen, die einen – aber vielleicht nicht dieselben – besser gefallen als andere. Denn das widerspräche der Idee Skulpturenkette mehrfach: Daniel Poffa und Daniel Christen, welche mit der aufwendigen Umsetzung ihrer Idee ein bleibendes Erinnerungszeichen an die Badener Jahresversammlung 1998 geschaffen haben, sie wollten keine Jurierung, keinen Wettbewerb, sondern Solidarität. Gemeinsam etwas schaffen als Symbol für die gemeinsamen Zielsetzungen des Verbandes. Dass die Bildhauerinnen und Bildhauer, die Steinmetzbetriebe und die Steinwerke alle mitgemacht haben, finde ich toll. Und ich muss Ihnen auch ehrlich gestehen, dass ich diese Skulpturenkette nicht hätte jurieren wollen – das Niveau scheint mir zu ausgeglichen – was hier durch Handwerk überzeugt, macht dort durch Gestaltung Spass, was da bildhauerisch reich ist, spannt sich dort als Präzision aus. So wäre das Jurieren etwas sehr Subjektives geworden. Ist das nicht immer so, mögen sie mich fragen, die ich immer wieder in Jurien mitwirke. Doch ich muss Ihnen sagen, nein, das ist nicht immer so; in den Jahresausstellungen, die in vielen Kantonen um die Weihnachtszeit stattfinden, ist manchmal sehr schnell klar, was schon in der ersten Runde rausfällt. Dass das hier, im Kontext der gestellten Aufgabe, nicht der Fall ist, spricht für die Teilnehmenden.

Kein Wettbewerb also, aber auch keine Regel ohne Ausnahme: Gleich im Anschluss an meine Worte werden Daniel Poffa und Daniel Christen drei ausserkantonalen Teilnehmenden – ihre Gesamtzahl umfasst etwa die Hälfte der Arbeiten, die Sie hier sehen –  drei Bildhauern re­spektive Bildhauerinnen, deren Skulpturen sie in bezug auf das Thema besonders originell fanden, mit einem Buch Dankeschön sagen für ihre Solidarität mit der aargauischen Idee. Dass ich nur teilweise ähn­lich gewählt hätte, zeigt, was ich vorhin gesagt habe.

Nochmals Stichwort „Solidarität“. Es findet seinen eindrücklichsten Ausdruck darin, dass diese Skulpturenkette keine Gruppenausstellung, sondern ein Werk ist. Dieses soll zwar, wenn möglich als Ganzes, eventuell aber auch elementweise, verkauft werden, aber nicht mit dem Ziel, die Verbandskasse zu konsolidieren, sondern dem Zentrum für körperbehinderte Kinder in Baden-Dättwil einen Chèque übergeben zu können. Es gibt viele gemeinnützige Insitutionen – dass hier ein Zentrum für Körperbehinderte gewählt wurde, finde ich besonders sinnvoll, weiss doch gerade jeder Bildhauer und jede Bildhauerin, was körperliche Kraft bedeutet.

Zurück zur Gestaltung, zurück zur inhaltlichen Bedeutung der Skulpturenkette. Was all diese Arbeiten verbindet ist das Material Stein. Schauen selbst Sie, die sie alle diese Steine kennen, die Vielfalt an, welche die Kette zeigt, vom weissen Marmor zum roten Lavastein, zum wasserblau geäderten Azul Macauba, so heisse der Stein aus Brasilien, habe ich mir sagen lassen. Vom grauen Mägenwiler zum roten Main-Sandstein, vom St. Triphon zum Veroneser usw. Stein ist ein faszinierendes Material. In der zeitgenössischen Kunst spielt es im Moment zwar kaum eine Rolle – da ist zur Zeit alles im Begriff, sich digital aufzulösen – dafür ist seine Bedeutung in der Architektur – denken Sie nur an Mario Botta – unvergleichlich grösser als vor 20 Jahren. Der Grabstein – der Name sagt es – ist immer aus Stein. Eisen- und Holzkreuze weisen meist auf Ausserordentliches, manchmal auch Persönliches. Doch zentral ist, im christlichen Umfeld, der Grabstein. Er erinnert zum einen an den Stein vor dem Grab Jesu, somit an Tod und Auferstehung, doch da ist noch viel mehr. Was die „Strahler“ und die Kristallsucher schon lange wussten, wird heute auch auf naturwissenschaftlicher Ebene erkannt. Der Stein ist verdichtetes Leben, denn Leben ist in seiner abstrakten Form nichts als Energie. Der Stein ist gebundene Energie. In der chemisch-geologischen Forschung kann man heute sogar nachweisen, dass die Entstehung der Steine vor 2 Milliarden Jahren an der Basis ein bakterieller, somit organischer Prozess war zu einer Zeit, da es auf der Erde noch keinen Sauerstoff gab. Das Material, mit dem Sie arbeiten, ist voller Geheimnisse, so wie Leben und Tod auch. Und wenn die Menschen in unserem Kulturkreis immer das Bedürfnis hatten, Gräber mit Steinen zu kennzeichnen, so war das intuitiv wohl schon immer Ausdruck davon. All das in Gestaltung umzusetzen ist ihre anspruchsvolle Aufgabe. Sie mögen seufzen und denken, die da spricht, weiss nichts vom Alltag im Umgang mit Kundschaft. Da haben sie teilweise recht. Aber ich denke, es ist Ihre Aufgabe, hier mehr zu sein als Steinhauer, nämlich Gestalter im umfassendsten Sinn des Wortes. Denken Sie zurück an die Zeit des Bauhauses, dessen Ziel es war Kunst und Leben zu vereinen. Je mehr sie darüber nachdenken, desto anspruchsvoller wird ihr Beruf, aber auch desto spannender. Ich wünsche Ihnen und dem Verband eine spannende Zukunft.