Vernissagerede für Urs Jost

anlässlich seiner Ausstellung bei „impress“ in Olten 19. April 1998

Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Urs

Ich habe in meinem Haus in Lenzburg eine Unmenge von Büchern zum Thema bildende Kunst. Das 20. Jahrhundert habe ich unten im Büro, die Kunstgeschichte oben in der Wohnung. Dies aus der Ueberlegung, dass für mich als primär auf zeitgenössische Kunst ausgerichtete Kritikerin das 20. Jahrhundert für Recherchen im Vordergrund stehe. Und nun merke ich, dass ich – im Vorfeld von Texten und Ansprachen immer häufiger oben im Lehnstuhl sitze mit einem Stapel von Büchern, insbesondere zur italienischen – manchmal auch der flämischen – Malerei des 15ten bis 17ten Jahrhundert. Früher war es maximal die Klassische Moderne, die nachzuschlagen war, nun sind es die Früh- und/oder Spätgotik, zuweilen die Renaissance und hier, bei Urs Jost, der Barock.

Der Begriff „Postmoderne“ wird oft mit einem unterschwellig negati­ven Klang als „Recycling der Kunstgeschichte“ bezeichnet. Wobei diese – wenn man in die 90er Jahre schaut – schon in den 60er Jahren beginnt – rückwärts natürlich. Die neuen Arbeiten von Urs Jost sind ein gutes Beispiel dafür, dass dieses neue Zurückschauen äusserst spannend sein kann.

Lassen Sie mich zunächst aber ein paar gegenwartsbezogene Fakten ausbreiten. Was wir in dieser Ausstellung sehen sind Holzschnitte. Sie entsprechen somit von der Basis der Technik her dem einfachsten und ältesten Druckverfahren überhaupt. Nur ist die Art und Weise wie Urs Jost mit dem Holzschnitt umgeht durch und durch zeitgenössisch. Ueberlegen wir uns dazu zwei, drei Punkte:

Wenn wir an Holzschnitte in der zeitgenössischen Schweizer Kunst denken, so kommen uns wahrscheinlich zuallererst die grossformatigen Drucke von Josef Felix Müller, eventuell auch von Martin Disler in den Sinn, und darum herum fügen sich Beispiele von Werner Otto Leuenberger, Peter Emch, Gaspare Otto Melcher und – hier im Solo­thurnischen – sicher auch von Peter Wullimann. Zu nennen ist auch Franz Eggenschwiler, dessen Holzdrucke allerdings ebensowenig im engeren Sinn Holzschnitte sind wie die Holzstiche von Franz Gertsch. Mit Ausnahme von Peter Wullimann – also ausgerechnet dem hier in den Region tätigen – haben die genannten Holzschnitte klar erzähleri­schen, figürlichen Charakter, was grossmehrheitlich der Tradition des Holzschnittes sowohl in der Kunst wie in der Illustration entspricht. Urs Jost weicht nicht davon ab, und doch. Denn es ist mit Ueberraschung verbunden, beim zweiten Blick auf seine Arbeiten zu merken, dass diese Füsse und Hände und Beine und Arme nicht zufällige Form-Konstellationen in einem ungegenständlichen Umfeld sind, sondern das, was sie uns zunächst als Schein zu vermitteln scheinen, nämlich Körper-Landschaften. Der Begriff ist in meinem Text mit Bindestrich geschrieben: Körper-Landschaft. Das heisst die beiden Teile sind gleichwertig, mehr noch, sie sind das eine im andern. Weil es das in Wirklichkeit aber nicht gibt, sind sie zugleich weder das eine, noch das andere, sondern etwas Neues, das sich durch die beiden Assoziationsfelder Körper und Landschaft erst ergibt. Interessant ist dabei – wir werden das gleich im Detail sehen – dass die Form vom Körperlichen herkommt, die Präsentation in mehreren, auf Landkarten-Leinwand aufgezogenen Teilen aber von der Landschaft respektive der Topographie. Die Verknüpfung findet also auf mehreren Ebenen statt.

Urs Jost hat mir bei meinem Atelierbesuch Einblick in den Rückwärts­gang gewährt. Dabei waren nicht die Druckplatten, die das Aha-Erleb­nis auslösten – im Gegenteil, da wurde die Verwirrung noch grösser, weil ich mir – mit Druckprozessen wenig vertraut – die Umkehrung nicht vorstellen konnte. Es waren Transparentpapiere mit erkennba­ren, figürlichen Konstellationen in Form von linearen Zeichnungen, die mich den Weg nachvollziehen liessen.

Das zentrale, künstlerische Motiv von Urs Jost, der ja Maler, Bild­hauer, Radierer und Holzschneider in einem ist, wenn auch nicht zeitgleich, war – mit wenigen Ausnahmen – immer schon körperbetont und zwar weniger in einem porträthaften Sinn als vielmehr im sinnli­chen Verschlingen mehrerer Körper – wobei Zärtlichkeit und Aggres­sion oft nahe beieinander sind. Aus zweidimensionalen Arbeiten dieser Art nahm Urs Jost Ausschnitte, kombinierte, vergrösserte sie zu all-over-Kompositionen – das heisst die ganze Fläche bedeckende. Durch das Ausschneiden und das Vergrössern verloren die Figuren ihre unmittelbare Leserlichkeit, das heisst sie wurden in Bezug auf das ursprüngliche Bild zu Fragmenten, zu bildnerisch autonomen Teilen. Diese Zeichnungen übertrug der Künstler auf die Pavatexplatte, die ihm als Druckstock diente. Mit anderen Worten, die rund 12 verschie­denen Holzschnitte, die wir hier in unterschiedlichster Kombination sehen, entstanden aufgrund solcher Vorzeichnungen, auch wenn wir das eigentlich kaum mehr sehen; davon später mehr. Das Recycling-Vorge­hen, das Urs Jost hier anwendet, ist ein durch und durch zeitgenös­sisches. Die vielen technischen Reproduktionsverfahren von der Foto­grafie über das Fotokopiergerät bis zum Computer haben unseren Respekt gegenüber dem Bild als Abbild einer gegebenen Realität aufgelöst. Das heisst, Bilder sind für uns zu Material geworden, mit dem sich spielen lässt. Erkannt haben das schon die Dadaisten mit ihren Collagen, doch sind die Versatzstücke dort erkennbar, verschmelzen heute die Ebenen und werden zu einer virtuellen Wirklichkeit. Urs Jost überträgt dieses Prinzip, das gängigerweise mit technischen Bildern praktiziert wird, auf seine originalen, künstlerischen Arbeiten. Ueber das Moment des Recycling im Sinne des Wandels vom einen ins andere, findet man übrigens auch die Verbin­dungslinie zu der vom Umbau des Druckateliers inspirierten Installa­tion, die Urs Jost im Rahmen von „Zwischen-Nutzung“ 1996 in der alten Rentsch-Fabrik realisierte – ein Projekt, das ich schreibend begleitet habe.

Auf dem Weg zu den neuen Arbeiten von Urs Jost kommen dann zwei weitere Momente dazu – ein traditionelles und eine zeitgenössisches. Urs Jost bearbeitet die Pavatexplatte mit einer motorbetriebenen Fräse. Das erinnert unzweifelhaft an die Motorsäge, die Künstler von Müller über Penck bis Baselitz seit den 80er Jahren für ihre Holz­skulpturen einsetzen. Andererseits verrät die Art und Weise der aus der Handbewegung heraus schraffierenden Fräsbewegungen, dass Urs Jost die Geschichte des Holzschnittes sehr wohl kennt, denn ähnli­ches Vorgehen – von Hand natürlich –  charakterisiert den Holz­schnitt der 10 Jahre, etwa bei Ignaz Epper, bei Gregor Rabinowitch und – hier am nächsten – bei Hans Trudel. Die Rundungen erzeugen gewölbte Form ohne dass hiefür eine lineare Umrisslinie notwendig wäre. Sind die Künstler der 10er Jahre durch Begrenzungen und Richtungswechsel dennoch auf Formerkennung konzentriert, so lässt Urs Jost gerade hier möglichst viel offen, indem er sich ganz auf die Halbkreisbewegung mit der Fräse konzentriert.

Dann der Druckprozess – meist sind es zwei, manchmal auch drei Platten, die Urs Jost leicht verschoben übereinanderlegt, und so – im Gegensatz zum Schwarz/Weiss des frühen Jahrhunderts – malerische Wirkung erreicht, die noch um eine Farbe gesteigert wird durch den Einbezug des hellen, lichtgebenenden Papiers, das in der optischen Wirkung die Plastizität massgeblich bestimmt.

Urs Jost hatte schon während der Ausbildungszeit an der Schule für Gestaltung in Zürich eine grosse Affinität zur künstlerischen Aeus­serung als zugleich handwerklichen wie gestalterischen Prozess. Massgebliches druckgraphisches Wissen hat er sich dort angeeignet. Aber wie immer braucht es eine Reihe von Zu-Fällen (ein Wort, das ich konsequent mit Bindestrich schreibe), die ihn mehrfach  – am liebsten sage ich – in die Druckerschwärze tauchten. Dass seine Lehrmeister zu zweien Mal starben, kurz nachdem Urs Jost sich bei ihnen eingelebt hatte, ist tragisch und schicksalshaft. Die meisten von Ihnen wissen, dass Urs Jost, zusammen mit Anja Sitter, in Olten eine Druckwerkstatt betreibt – aufgrund von Urs Josts Biographie eine geradezu logische Entwicklung. Dass darin die Maschinerie für den Hochdruck – also auch für den Holzschnitt – komplett vorhanden ist, gehört indes bereits wieder zu jener schwer fassbaren Ebene, in der sich Dinge quasi von selbst lenken. Dass der Hochdruck zur Zeit wenig en vogue ist, veranlasste Urs Jost, mit einer eigenen Arbeit – die, welche wir hier sehen – quasi zu beweisen, dass der Hochdruck sehr wohl immer noch experimentelle Möglichkeiten birgt.

Dass er damit recht hat, zeigt die grossartige und einmalige Arbeit, dich ich hier mit Worten begleiten darf. Sie überzeugt nicht zuletzt darum, weil Urs Jost technisch so versiert ist, dass er innerhalb des künstlerischen Prozesses spielen kann – mit Farben, mit Abdecken und damit Vertiefen einzelner Partien, mit bewegten und ruhenden Zonen usw. Er geht aber – und das scheint mir entscheidend – über die Technik hinaus, indem er mehrere Holzschnitte miteinander kombi­niert – sie, wie eingangs bereits erwähnt, zur Landkarte macht. Wieder sind die einzelne Holzschnitte Fragmente, mit denen sich Neues bauen lässt, nämlich Landschaft. Ich glaube nicht, dass ein Einzelblatt diese Assoziation auslösen würde. Sie entsteht aufgrund der Konstellationen, in welche Urs Jost seine Blätter bringt und zwar darum, weil wir diesen Blick von oben auf eine Topographie aus der Geographie zu kennen meinen. Unser Schauen hat somit sehr viel mit Gewohnheit zu tun. Man bedenke aber, dass es sich bei den Körpern um Vergrösserungen handelt, die darum im Blatt fragmenta­risch erscheinen, während es sich bei der Landschaft um Verkleine­rungen aus weiter Distanz zu handeln scheint. Verschiedenstes trifft somit aufeinander und plötzlich sind wir an der Grenze einer Diskus­sion um Wahrnehmung. Dass Urs Josts Arbeiten auch dies auslösen kann, spricht für ihre Qualität.

Wir haben Motiv, Form und Technik bisher sehr sachlich betrachtet. Die Motivation eines Künstlers für die eine oder andere Idee entspringt indes nie reiner Sachlichkeit. Ausschlaggebend ist die emotionale Beziehung, in diesem Fall zum Thema Körperlichkeit, die Urs Jost als etwas unmittelbar Präsentes, kraftvoll Wirkendes, Fleischliches zum Ausdruck bringen möchte. Und zwar nicht als persönliche Befindlichkeit im Sinne der 90er Jahre, sondern als etwas, das sich im Bild selbst formt, sich als Bildausdruck auf uns überträgt. Der Distanz schaffende Druck – im Gegensatz etwa zur spontanen, direkt aus dem Körper fliessenden Zeichnung – hat hier seine inhaltliche Begründung. Denn keines Fall geht es hier um Graphik im Sinne von Vervielfältigung, sondern um spezifischen, nur über die gewählte Technik so erreichbaren Ausdruck. In der Suche nach Ablösung vom Individuellen verkoppeln sich Urs Josts Arbeiten mit dem, was ich eingangs mit dem Begriff „Barock“ meinte. Im Gegen­satz zu den Silhouetten in den heutigen Modejournalen, liebte der Barock das Ueppige, das Vielfigurige, das Grossformatige, das sich Drehende, das Göttliche in mächtigen, himmlischen Landschaften.  Dass all dies im Zeichen absoluter Macht und sinnlicher Mystik stand, interessiert Urs Jost nicht. Er betrachtet die Bilder, von Rubens zum Beispiel, nicht mit kunstgeschichtlichem Blick, was wohl die Leute des 18. Jahrhunderts auch nicht taten, sondern in Bezug auf die Art und Weise wie sich darin Körperlichkeit manifestiert, und er überträgt das Erspürte in seine Welt. Doch nicht nur den Barock liebt er, sondern auch das späte Mittelalter mit seinen Visionen zwischen Himmelfahrt und Höllensturz. Allein auch hier geht es nicht um Religion und Weltsicht, sondern vermutlich genau um jene sinnliche Wirkung, die sich schon die kirchliche Macht des 15. Jahr­hunderts zu ihren Zwecken eigen machte. Wir sehen, dass im Persönli­chen die Gleichzeitigkeit von Körper und Landschaft eigentlich noch nicht aufscheint, sie gehört in den künstlerischen Prozess, der sich gerade in einer Technik mit vielen Schritten in viele Richtungen öffnen kann.

Ich danke fürs Zuhören.