Highlights aus 40 Jahren Kunst in der Schweiz 1999

Eine Rücksicht ohne Provokationen

www.annelisezwez.ch   September 1999

Beat Wismer nimmt das 40-Jahr-Jubiläum des Aargauer Kunsthauses zum Anlass, in “seinem” Haus 40 Jahre Kunst in der Schweiz zu zeigen: Eine “ambitionierte Auswahl” voller Highlights; so konsensfähig, dass sie kaum jemanden provozieren wird.

Die dichte und qualitativ hochstehende Ausstellung über drei Etagen vermischt zwei Aspekte, die es von Anfang an zu differenzieren gilt: Das Aargauer Kunsthaus versteht sich bezüglich seiner Sammlung als “Haus der Schweizer Kunst” – mit Recht, schrieb Heiny Widmer dies doch schon 1972 als Leitlinie fest. Eine Ausstellung mit der Ambition 40 Jahre Kunst in der Schweiz “gültig und repräsentativ” zu zeigen, muss darum – so das Haus mit Weitblick angekauft hat – zwangsläufig eine Sammlungsausstellung sein. Die reich bebilderte Einladungskarte mit Werken aus der Aargauischen Sammlung oder, vereinzelt, langjährigen Deposita suggeriert eine solche Verknüpfung.

Die Ausstellung selbst ist allerdings bei genauem Verifizieren der Anschriften eine Mischung aus “Haben” und “Nichthaben” respektive “Möchtegernhaben”. Somit eine Ausstellung, die mehrheitlich Werke aus der Sammlung zeigt, gleichzeitig aber auf Lücken hinweist, die man gerne schliessen möchte. Ein durchaus sinnvolles Unterfangen, das man als Besucherin indes gerne a priori ein bisschen klarer definiert hätte. Schon Heiny Widmer zeigte 1974, also vor 25 Jahren, eine analoge, auf das gesamte 20. Jahrhundert ausgerichtete Ausstellung, die er jedoch klar als “Haben und Nichthaben” bezeichnete, nicht zuletzt weil das “Nichthaben” damals noch dominierte. Manches “Wunschstück” von einst ist heute Teil der Aargauer Sammlung.

Was es angesichts des Jubiläumscharakters von “’59 respektive ’99” ebenfalls zu bedenken gilt, sind die Beweggründe, die damals die Schweizer Kunst ins Zentrum rückten und heute das Haus charakterisieren. Für Heiny Widmer war der Satz: “Das Aargauer Kunsthaus versucht, eine Sammlung wichtiger Schweizer Kunst seit dem 18. Jahrhundert aufzubauen” ein Befreiungsschlag, der ihn – nach Annahme des Aargauischen Kulturgesetzes – davon entlasten sollte, vor allem Aargauer Kunst anzukaufen.

Es kommt hinzu, dass die Schweizer Kunst nach 1968 ein Selbstbewusstsein entwickelte, das einen solchen Schritt durchaus naheliegend erscheinen liess. Heiny Widmer beschränkte sich in seiner Zielsetzung aber nicht darauf, sondern schrieb im selben Statement: “Gleichzeitig ergänzt es seine Grafiksammlung auf internationaler Basis”. Glücklicherweise, so denken wir heute, hat der frühere Kunsthausdirektor den zweiten Teil nicht realisiert. Wenn Beat Wismer das Aargauer Kunsthaus heute international als “Haus der Schweizer Kunst” präsentiert, so entspricht das, anders als damals, einer (sinnvollen) Beschränkung angesichts einer Kunstszene, die sich mehr und mehr globalisiert. Richtigerweise wird nicht mehr von “Schweizer Kunst”, sondern ganz im Sinne von Ben Vautiers “La Suisse n’existe pas – Donc je suisse” von “Kunst in der Schweiz” gesprochen. Vielleicht hätte die Ausstellung gut daran getan, dieses Moment bewusster einzubringen, doch 40 Jahre Kunst(boom) in der Schweiz sind eh ein so grosses Thema, dass die Ausstellung zwangsläufig Vieles nicht zeigt.

Der Parcours beginnt im Parterre – eigentlich mit Werken der Zürcher Konkreten. Doch geschickterweise dominiert den Eingang eine Wort-Arbeit von Alex Hanimann, welche den ehrgeizig formulierten Anspruch der Ausstellung relativiert: ”Was wirklich oder was vorstellbar ist. Was möglich scheint. Was nicht vorhanden, unsicher oder unwahrscheinlich ist”, steht da in weissen Lettern auf schwarzem Grund. Die Zürcher Konkreten als Einstieg in die letzten 40 Jahre Kunst in der Schweiz anzusetzen, ist etwas gewagt respektive leicht retrospektiv, was indes der Ausstellung insofern entspricht, als dass – quasi auf der anderen Seite – das Klima der Jahrtausendwende noch kaum museal aufscheint.

Der Weg führt dann über Flashs auf die Zeit des Tachismus (Iseli, Schaffner, Fedier u.a.) und der expressiv-figürlichen Malerei und Skulptur (Kuhn, Varlin, Josephson) zur Pop Art (Gertsch, Matter, Müller, Raetz etc.). Im Obergeschoss dann Positionen der Konzeptkunst und der forschenden Innerlichkeit (Toroni, Walker, Suter, Winnewisser u.a.). Der ganz einer aus Privatbesitz stammenden Werkgruppe von Markus Raetz aus der Zeit der Aarauer Ausstellung (1981) gewidmete Oberlichtsaal gibt dem “Va et vient” des Aneinandergereihten Ruhe.

Sie gründet im Depositum der hölzernen “Riesen-Mimi” in Aarau. Sie gibt Markus Raetz zusammen mit weiteren Werken aber eine Position innerhalb der letzten 40 Jahre, die klar übertrieben ist. Auch wenn die “Töffahrer” und die “Netzhauttänzer” von 1979 chef-d’oeuvres sind. Es folgt als Kontrast ein Kabinett Dieter Roth, dann weitet sich der Weg zur “neuen Plastik” (Perrin), zu ersten Fotoarbeiten (Villiger), Videobändern (Hattan), deutet die “Wilden” an (Schifferle, Disler), den Körper als Thema (Cahn, Müller,Nussbaum), entzieht sich in die Sphären der Weite (Lüthi, Biberstein) und setzt Akzente mit Armleder, Schiess und Zaugg.

Im Soussol schliesslich sind die zeitgenössischen Positionen versammelt. Zu sehen ist eine überraschend überzeugende Präsenz von Videoarbeiten (Beratung: Eva Keller) mit Beispielen von Käthe Walser, Hubbard & Birchler, Karin Gemperle etc., aber auch Zeichnerisches (Bächli, Baumann), Fotografisches (Chiarenza/Hauser) und letztlich Trashiges (Thomas Hirschhorn).

Die Ausstellung ist qualitativ hochstehend, das steht ausser Zweifel und die Dichte kombiniert mit so Vielem, das nicht da ist, weil sich kein Platz dafür fand, dokumentiert die Notwendigkeit des Erweiterungsbaus eindrücklich. Gleichzeitig zeigt sie aber – logischerweise – die Ausrichtung des Hauses, die subjektive “Rücksicht” auf 40 Jahre Kunst in der Schweiz, bei der Emotionales, Triebhaftes, Unbewusstes nur am Rand anklingt und die vielgestaltigen Verunsicherungen durch die Auflösung gesellschaftlicher Konventionen und der Realität des Bildes erst vereinzelt Widerhall findet.

Das visuell Repräsentative dominiert, das Fragile, Transitorische ist kaum gewichtet. Alles in allem: Eine Ausstellung, die hochästhetisch ist, im Einzelnen wie im Ganzen überzeugt, aber wenig Mut zeigt, das “unsicher” und “unwahrscheinlich” im Text von Hanimann, ein “anders als alle andern” ebenso in den Raum zu stellen wie museal und lexikal Abgesichertes.