Stephan Link Nesa Gschwend Müllerhaus Lenzburg 1999

Eigentlich sind blutrot und sattgrün dasselbe

www.annelisezwez.ch     Aargauer Zeitung März 1999

Alljährlich lädt die Kulturkommission der Stadt Lenzburg zwei in der Region tätige Künstler ein, im Gewölbekeller des unter Denkmalschutz stehenden, von Stapferhaus, Pro Helvetia und anderen kulturellen Institutionen genutzten Müllerhauses auszustellen. Gäste 1999 sind Stephan Link und Nesa Gschwend.

Überraschenderweise nennen Nesa Gschwend (geb. 1959) und Stephan Link (geb. 1963) ihre erste gemeinsame Ausstellung „Annäherung“. Der Dialog der materialbetonten Arbeiten der neu im Raum Lenzburg wohnhaften Künstlerin und des in der ehemaligen Wisa Gloria in Lenzburg arbeitenden Malers findet auf der Ebene der Ausstellungskonzeption wie auch der Werke selbst statt. Wenn Nesa Gschwend sagt: „So wie blutrot die Lebensfarbe des Menschen ist, so ist sattgrün das Leben der Pflanzen; darum ist rot eigentlich auch grün“, so betont sie Annährung über die Farbe. Sie schlägt eine Brücke zwischen den ikonenartigen, roten Wachstafeln aus eingeschmolzenen Opferkerzen und den oft auf Grün gründenden „Landschaften“ von Stephan Link. Wenn sie ergänzt: „Ähnlichkeit kann Ausdruck des Unähnlichen sein“, markiert sie aber auch Differenz.

Stephan Link, der brotberuflich als Restaurator tätig ist, verfügt über profunde Materialkenntnisse; sie sind real und im übertragenen Sinn Basis seines Schaffens. Obwohl seit rund 10 Jahren künstlerisch tätig, gelang ihm erst vor rund zwei Jahren so etwas wie ein kleiner Durchbruch. Mit einem Stipendium in Paris, fand der Künstler zur scheinbar banalen Erkenntnis, in Zukunft das zu malen, was er sehe. Damit wurden seine Motive und seine Liebe zu den Verarbeitungsmöglichkeiten von Malmaterialen quasi eins. Im Thema des Französischen Gartens fand er überdies eine Synthese von Gestaltung und Ordnung wie sie ihm entspricht. Ausstellungen und weitere Stipendien waren die Folge. Die Ausstellung in Lenzburg zeigt Oeffnung und Erweiterung auf dieser Basis.

Da sind einerseits die „Fragments de l’ermitage“, die Garten, Haus, Schloss, Kunst und den Maler als „ermite“ zu Einheit binden: Satte, an die Grenze der Materialität geführte Bild-Orte, die in verstärkter Reduktion an Intensität gewinnen. Da sind aber auch – äusserlich unspektakulär – „phonographische Landschaften“ – mit geschlossenen Augen notierte „Hör-Bilder“. Ferner sind fotoshop-bearbeitete, durch Unschärfe in Empfindungswelten gewandelte, mit Bienenwachs bemalte Prints nach eigenen Fotografien zu sehen. Sie sind in Doppelbildern mit grünen Pigment-Tafeln kombiniert. Obwohl von der Methode nicht neu, gelingt es dem Künstler durch die ergänzenden Arbeiten ein Gesamtbild seiner künstlerischen Recherchen zu zeichnen.

Sucht Stephan Link im Aussen den Spiegel der Vibrationen im Innern, schafft die vom Schauspiel und vor allem der Performance herkommende Nesa Gschwend Arbeiten, die Körperlichkeit ausdrücken und diese von innen nach aussen zugleich zu überwinden suchen. Ihre Materialien sind oft Erdölderivate, die Leben und Wandel verkörpern; zugleich ist die Thematik aber Transparenz und Austausch. Das Lebendige ist gleichzeitig das Geistige.

Im Vergleich zur ihrer grossen Einzelausstellung in der Elisabethenkirche in Basel 1998 sind die neuen Arbeiten in gewissem Sinn abstrakter geworden. Da sind zum Beispiel etwa drei Zentimeter dicke Paraffin-Tafeln, die rückseitig so modelliert sind, dass sie zu Licht-Tafeln werden. Die Assoziationen zu Röntgenbildern unseres Kopfes sind bewusst provoziert. Das Hirn als Schaltzentrale sowohl des Körperlichen wie auch des Körperlichkeit überwindenen Denkens.

Ähnlich und anders klingt die Thematik in den Buchobjekten an. Da werden Bücher – Konzentrate von Wissen und Denken – mit Graphit, Farbe, Bienenwachs und Schellack so lange bearbeitet, bis sie zu haptischen und zugleich intensiv schmeckenden Objekten werden. Hände und Köpfe sind erkennbar, aber auch Worte und Zahlen. Das Sehen, Tasten, Schmecken, Greifen wird in Papierarbeiten um Körper-Klang-Notate erweitert, die Zeichnen als (über Tonband) hörbaren Prozess zeigen.