Yves Netzhammer Manor-Preis Allerheiligen in Schaffhausen 1999

Schöne neue Cyberwelt

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Kein anderer Kunstsponsor hat es geschafft, sich so in die Kunstszene zu infiltrieren wie Maus Frères mit ihrem Manor-Preis. Mit Yves Netzhammer als Manor-Kunstpreisträger wagt sich der Sponsor in die Cyberwelt.

Die Neuen Medien haben die Museen erobert. Zu Kunst mit Fotografie und Video hat sich in den letzten Jahren ein Vokabular des Vergleichs und der Beurteilung gebildet. Doch Yves Netzhammer schafft seine Kunst ausschliesslich digital, das heisst in den Bandbreiten der von ihm genutzten 3D-Software. Damit verblüfft er Computer-Laien zum Vornherein. Ein Beurteilen der Arbeiten des jungen Künstlers ist zwangsläufig davon geprägt. Erst die Zukunft wird zeigen, ob die heutige Faszination dereinst zu revidieren ist.

Der Mensch hat die Tendenz Neuem mit Vertrautem zu begegnen. Und so ist denn die erste grosse Verblüffung angesichts der reichen, erzählerischen Bildprojektionen von Yves Netzhammer, dass sie an die „Mentalität Zeichnung“ der 60er/70er Jahre erinnert. Umsomehr als im Kunstmuseum Bern zur Zeit eine Retrospektive des Pioniers dieser Metamorphosen-Zeichen-Kunst zu sehen ist: André Thomkins (1930-1985). Doch Yves Netzhammer kennt die Arbeiten des Luzerners nicht. Die zur Zeit jüngste Künstlergeneration (die 70er Jahrgänge tauchen erst vereinzelt in der Szene auf) orientiert sich nicht am eben erst Gewesenen. Vorbilder sind Comic, Film und Fernsehen.

Frägt man Yves Netzhammer allerdings nach den seinen Arbeiten formal (nicht medial) sehr nah verwandten Zeichnungen des von Thomkins mitbeeinflussten Aldo Walker (geb. Luzern 1938), so stösst man auf eine reale Künstler-Freundschaft. Es ist die Reduktion auf eine einfache, von der sichtbaren Welt ausgehende, die Dinge mit der Phantasie des Strichs in Neues verwandelnde Gestaltungsart, welche die beiden Werke in einzelnen Zeichnungen – bei Netzhammer als Diaprojektionen oder Stills ab Bildschirm, bei Walker als Arbeiten auf Papier – zuweilen fast deckungsgleich macht. Dass Thomkins, Walker und Netzhammer von der Galerie Stähli in Zürich vertreten werden, sei nur am Rand angemerkt.

Es wäre indes falsch, mit dem Erkennen von Verwandtem, das Neue, Andere, Heutige bei Netzhammer zu unterschlagen. Netzhammers Dia-Projektionen, ebenso wie die vierteilige 3D-Installation sind, obwohl ausgesprochen gegenständlich, sehr viel abstrakter. Das heisst, das „Ich“ des Künstlers, das in den 70er Jahren dominant ist, spielt hier nur wenig eine Rolle. Es ist, als hätte sich die bildhafte Verwandlung der Körperfragmente wie Hände, Zungen, Knochen, Organe und der Dinge (Möbel, Architekturteile, Bauklötze etc.) von der Phantasie im Kopf in die Cyber-Welt des Computers verlagert. Dieses scheinbar Selbsttätige, das sich durch die dreidimensionale Gestaltung und das bewegte Geschehen massiv steigert, bestimmt die Rezeption.

Befragt man die Gefühle, die sich beim Betrachten einstellen, so sind da sehr ambivalente Regungen. Zum einen erinnert Yves Netzhammers Welt ans Kinderzimmer – an die beweglichen Glieder-Tierchen, mit denen man einst gespielt hat, an alle Arten von Baukästen, mit denen sich Neues bauen, aber ebenso wieder zerstören liess, an Kinderbuch-Illustrationen auch. Das ist, technischer Raffinesse zum Trotz, die harmlose Seite.

Gleichzeitig ist da aber auch das Wissen, dass die Software, die der Künstler nutzt, nicht für ihn geschaffen wurde. Dass sie im Bereich von Architektur und Design angewandt wird, beunruhigt nicht. Doch Netzhammer überträgt sie in eine „lebensweltliche“ Atmosphäre. Da werden Körper gezeugt, da wird mit dem Leben gespielt, da vermischen sich Mensch und Tier, da sind Zungen Leckgeräte, da spüren die Finger nicht mehr, was sie tun. Und auf einmal wird die Poesie sehr, sehr unheimlich. Zwar negiert der Künstler eine technokritische Denkweise. Dass das gerade das Gefährliche sein kann, erkannte indes schon Goethes Faust.

Vergleicht man die neuen Arbeiten des 29jährigen Künstlers mit jenen, die er vor zwei Jahren in der „Gewebeprobe“ am selben Ort zeigte, so ist eine grosse Entwicklung erkennbar. Sie lässt hoffen, dass der Künstler mit wachsender Lebenserfahrung noch einmal zu dichteren, rätselhafteren, vieldeutigeren Bild-Raum-Gestaltungen findet.

Was heute schon fest steht, ist, dass die Verleihung des Manor-Preises 1998 an Yves Netzhammer eine mutige und eine vielversprechende Auszeichnung ist. Diese ist umso wichtiger, als Schaffhausen über kein bedeutsames Kunstförderungsgesetz verfügt, andererseits die Auszeichnungen im Wohn- oder Heimatkanton oft der erste Schritt zu weiterer Anerkennung bedeuten. Der private Sponsor tritt hier an die Stelle der Oeffentlichkeit; eine Entwicklung, die immer mehr um sich greift. Von Manor wird sie seit der Einführung des „Vilan“-Preises in Luzern vor rund 15 Jahren grosszügig gehandhabt. Gesamthaft betrachtet ist diese Tendenzen indes nicht nur unproblematisch.

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