„Eiszeit” Kunstmuseum Bern 2000

Machen Männer kalte Kunst?

www.annelisezwez.ch           Annelise Zwez in Bieler Tagblatt Juli 2000

„Eiszeit” im Kunstmuseum Bern versteht sich als „dezidierte Spur” im Hinblick auf das Museum für Gegenwartskunst, das 2005 eröffnet werden soll. Aktuell führt die Spur zu einem Männermuseum.

Näherte man sich „Eiszeit” – einer Ausstellung mit gefrorenen Köpfen und kalten Bildern – nur unter thematischen Gesichtspunkten, müsste man sie in der Luft zerreissen. Zwar gibt es da als vieldeutigen Höhepunkt einen Tiefkühlraum mit einer Vielzahl von eisigen Selbstporträts von Franticek Klossner und andere Eiswürfel mehr, aber zu vieles ist thematisch an den Haaren herbeigezogen. Ums Thema geht es indes nur in zweiter Linie. Ganz primär will das Kunstmuseum Bern aufzuzeigen, dass es in den Berner Sammlungen (Stiftung Kunsthalle, Stiftung Kunst heute, Kunstmuseum etc.) bedeutende Werke gibt, für die es sich lohnt ein Museum für Gegenwartskunst zu errichten. Dieses soll 2005 im nahegelegenen, ehemaligen Progymnasium am Waisenhausplatz eröffnet werden.

So durchforsteten Ralf Beil und Marc Fehlmann – die beiden neuen Sammlungskuratoren des Museums – das Vorhandene und fanden dabei mit ziemlich viel Gedanken-Akrobatik heraus, dass Männer kalte Kunst machen. Das heisst, dass es die Künstler sind, die „Eiszeit”-Kunst machen, merkten sie eben gerade nicht. Denn auf die altfeministische Frage, warum in der Ausstellung ausschliesslich Männer vertreten seien, hiess die Antwort – horribile dictu: „Es ist ist uns nicht aufgefallen”. Und das nach 30 Jahren Frauenbewegung! Nun, wäre „Eiszeit” tatsächlich ein soziogesellschaftliches Männer-Thema, was an dieser Stelle bezweifelt sei, so liesse sich die Wahl ohne weiteres rechtfertigen. Doch so argumentieren wollen nicht einmal die Kuratoren. Als „dezidierte Spur” durch die vorhandenen Sammlungen im Hinblick auf ein öffentliches Gegenwartskunstmuseum ist der Ausschluss von Künstlerinnen hingegen nicht nur ein kulturpolitischer Lapsus, sondern auch ein Affront gegenüber allen, in Bern und anderswo tätigen Künstlerinnen. Die Folge-Frage, nämlich, ob es in den Berner Sammlungen schlicht und einfach keine Werke von Künstlerinnen habe, wird von Hans Rudolf Reust, Geschäftsführer des geplanten Museums für zeitgenössische Kunst, klar dementiert: „In den Berner Sammlungen gibt es überdurchschnittlich viel Kunst von Frauen”. Der Beweis wird anzutreten sein.

Ein pikantes Detail bezüglich der Ausstellung, das indirekt zugleich aufzeigt, wie Korrektive möglich gewesen wären: Zwei der besten Arbeiten stammen gar nicht aus vorhandenen Sammlungen, sondern wurden zur Vertiefung des Themas eigens für die Ausstellung konzipiert oder eingeflogen. Es handelt sich zum einen um die bereits erwähnte Eisporträt-Arbeit des 40jährigen Berners Franticek Klossner, die der Künstler „Hidden Assets” nennt und damit wohl so etwas wie „auf Eis gelegte Ideen” meint, zum anderen um eine fotografisch-installative Arbeit des Latinoamerikaners Inigo Manglano-Ovalle. Ausgehend von einer im Meer treibenden Eis-Scholle thematisiert der Künstler Migrationsbewegungen als Abfolge von Vereisen und Auftauen analog dem Wasser, das wir trinken, mit uns herumtragen und wieder abgeben. Zum Kunst betrachten gehört in diesem Fall bereit gestelltes Eiswasser trinken. Die beiden Arbeiten zeigen die gedankliche Spannweite, die den Faktor Eis in verschiedenste metaphorische Ebenen ausbreitet. Vielfach ist konkretes Eis gar nicht notwendig. So ist zum Beispiel das in teils lateinischer, teils kyrillischen, schwarzen und weissen Buchstaben auf eine sattrote Wand gesetzte Wort „Produkt” von Ian Anüll als Bild für den „kalten Krieg” eindrücklich.

Hingegen wirkt es konstruiert, die Malerei des in Bern ganz besonders verehrten, belgischen Künstlers Luc Tuymans als Eis-Malerei zu bezeichnen, obwohl eine Bildgruppe tatsächlich „Ice” heisst. Denn das Auf- und Abtauchen von Erinnerung, wie es Tuymans Kunst charakterisiert, hat nicht die Konsistenz harten Eises. Auch die wunderschöne Arbeit „White Noise” von Christian Marclay, die aus Tausenden von rückseitig an die Wand gepinnten Fotografien besteht, ist nur mit vielen Wendungen mit den „46 Weiss der Eskimos” in Verbindung zu bringen. Hingegen sind die in Bio-Technologie-Labors aufgenommenen Fotoarbeiten von Hans Danuser sowohl in sich wie bezüglich der Dimension von Eis als Garant für Lebensfrische äusserst pointiert. Und dasselbe gilt, mit einem Touch ins Makabre, für die mit Wasser gefüllten und in eine Kühltruhe gestellten Gummistiefel von Roman Signer. In Ironie kippt die Chose schliesslich mit Fischli/Weiss‘ „Untergang der Titanic” in einer mit Styropor-Eisschollen angefüllten Badewanne (Fotografie).

Summa summarum bleibt die Schlussfolgerung, dass man eine Gruppenausstellung zuweilen besser als solche deklariert, man zwängt sich dann nämlich nicht ein Korsett, das eh nicht so recht passen will.

Brochierter Katalog.